Anja Buchmann: Hört man Ufa in Köln, dann denkt man unter anderem an den Ufa-Filmpalast, einem alten Riphahn-Gebäude aus dem Jahr 1931, das jahrelang brach lag und Ende 2016 endlich neu eröffnet wurde. Am 17. Dezember 1917 wurde die Ufa gegründet, feiert im Jahr 2017 als Hundertjähriges und heute beginnt ein Symposium der Deutschen Kinemathek, gemeinsam mit der Ufa: "Linientreu und populär – zu neuen Aspekten der Ufa-Unternehmensgeschichte zwischen 1933 und 1945". Wolf Bauer ist Filmproduzent und Co-Geschäftsführer der Ufa. Jetzt zugeschaltet im Studio in Berlin – Herr Bauer, erstmal guten Tag. Und was halten Sie von dem Titel "linientreu und populär"?
Wolf Bauer: Ich grüße Sie, Frau Buchmann. Der Titel ist ja gemeinsam definiert zwischen der Deutschen Kinemathek und der Ufa, und wir hatten das Bedürfnis, zum Jubiläum "100 Jahre Ufa" einen wichtigen Teil der Firmengeschichte intensiver zu beleuchten: nämlich die Zeit zwischen 1933 und '45, in der die Ufa Teil des nationalsozialistischen Propagandaministeriums war.
"Das war ein Exodus"
Buchmann: Nocheinmal ein kurzer Blick zurück in die Geschichte: Also es begann tatsächlich mit Alfred Hugenberg, Medienmogul, DNVP-Vorsitzender und unter Hitler kurzzeitig Reichswirtschaftsminister. Der hat die Ufa 1927 aufgekauft und '33 dann an die NSDAP quasi übertragen. Da wurde noch die Reichsfilmkammer gegründet und so, alle jüdischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen und ab '37 die Ufa dann verstaatlicht. Welche bekannten Regisseure, Autoren, Schauspieler et cetera mussten in der Zeit eigentlich gehen?
Bauer: Das war tatsächlich ein Exodus. Das muss man sich wirklich dramatisch vorstellen. Am 30. Januar '33 waren die Wahlen, die die Nationalsozialisten an die Macht gebracht haben – drei Tage später schon hat man sich gemeinsam, Hitler war da anwesend, eine der letzten Produktionen der Weimarer Zeit angeschaut, "Morgenrot". Und dann ging das Schlag auf Schlag. Innerhalb von wenigen Wochen entwickelte sich, sozusagen, eine monopolistische Filmwirtschaft, die insgesamt unter dem Dach der Ufa formiert wurde.
"Wir spielen bei der Sozialisation eine große Rolle"
Buchmann: Mit Propagandafilmen einerseits, von Leni Riefenstahl zum Beispiel, "Triumph des Willens", andererseits aber auch einer sehr großen Unterhaltungsfilm-Industrie, mit Komödien, Revuefilmen und so weiter; Stars wie Heinz Rühmann, Hans Albers, Zara Leander – die eigentlich völlig unpolitisch daherkamen. Welche Rolle spielten die?
Bauer: Es ist ein großes Thema, die Wirkungsmacht von bewegten Bildern. Bis heute übrigens, bis hin zu den Online-Medien, wo wir heute diese Wirkungsmacht wieder betrachten können. Die scheinbar unpolitische Unterhaltung hat immer auch ein Wertebild, hat immer auch ein Menschenbild zur Grundlage, zeigt immer auch eine Haltung zur Welt. Und die Erkenntnis, die man daraus gewinnen kann, ist, dass alles, was wir Produzenten, Autoren, Regisseure kreieren, erfinden, an Erzählungen, an Geschichten, an Serien – selbst an Showformaten - tragen bei zu der Art und Weise, wie unsere Zuschauer die Welt sehen und wie sie die Welt interpretieren. Sie müssen sich vorstellen: Heute die Dynamik bei einer täglichen Serie wie "Gute Zeiten, Schlechte Zeiten" - wir spielen bei der Sozialisation von Jugendlichen eine nachgewiesen große Rolle und müssen natürlich genau überlegen, welche Figurenführung wir zu welchem Zeitpunkt gestalten, damit wir am Ende in der Sozialisation von Jugendlichen auch verantwortungsvoll agieren können.
"Diskussionen über drei Generationen"
Buchmann: Und Sie haben auch … Sie zeigen ein großes Interesse, Sie, also die Ufa, an filmischer Darstellung von geschichtlichen Themen, haben viele Filme und Mehrteiler zur NS-Zeit, auch zur deutschen Teilung, produziert. Hat das auch etwas mit der Erkenntnis und der gerade von ihnen angesprochenen Erkenntnis der Verantwortung zu tun? Und, kurze Frage hinterher: Da gab es zum Teil aber auch herbe Kritik, zum Beispiel bezüglich des Mehrteilers "Unsere Mütter, unsere Väter". Der wurde ja von der New York Times geradezu als Propagandafilm bezeichnet.
Bauer: Wir sind fest davon überzeugt, dass man Zeitgeschichte in der Tiefe darstellen kann und sie den Zuschauern nahebringen kann. Zeitgeschichte, die sozusagen relevant ist für ein Verständnis von historischen Abläufen. Auch das Thema "Unsere Mütter, unsere Väter" war so geprägt, dass im Grunde die Schicksale unserer Elterngeneration vorgeführt werden sollten.
Buchmann: Naja, die Kritik war ja, dass die sich selbst aufopfernden Arier, in Anführungsstrichen, obwohl nicht ohne Schuld da quasi als Helden gefeiert wurden.
Bauer: Also ich halte das für vollkommen abwegig. Das ist definitiv in keiner Weise ein revanchistisches Programm gewesen, im Gegenteil: Es hat, das wissen wir ja, Diskussionen in Familien ausgelöst, über drei Generationen! Auch unter dem Gesichtspunkt: Was haben unsere Großeltern, oder Eltern, in dieser Zeit gemacht? Wie haben sie sich verhalten? Wie haben sie, sozusagen, Entscheidungen treffen müssen, sich auf die eine oder andere Seite zu stellen? Wo sind sie möglicherweise schuldig geworden? Das waren elementar wichtige Fragen und ich will Sie daran erinnern, dass diese Wirkungsmacht, auch von historischen Erzählungen, spätestens nachgewiesen war, als die Serie "Holocaust" im Fernsehen lief. Übrigens weltweit. Damals von einem berühmten amerikanischen Regisseur, Marvin Chomsky, realisiert. Und ganz ehrlich: Für die Kritiker machen wir unsere Programme definitiv nicht. "Unsere Mütter, unsere Väter" war weltweit ein sensationell erfolgreiches Programm und in der Wahrnehmung vieler ist genau das so angekommen, wie ich das gerade formuliert habe - die Frage zu stellen: Was haben unsere Eltern und Großeltern in dieser Zeit gemacht? Unter welchen Zwängen haben sie agiert? Was haben sie möglicherweise falsch gemacht? Wo haben sie Schuld auf sich geladen? All diese Themen zu diskutieren, war zu diesem Zeitpunkt genau richtig, bevor die Generation der Großeltern nicht mehr am Leben ist.
"Die größten Teile unseres Programms sind zeitgemäß"
Buchmann: Sie scheinen allgemein großes Interesse schon auch an alten Stoffen zu haben? Nächstes Jahr, zum Beispiel, planen Sie was zu "100 Jahre Bauhaus". Sicherlich ein spannendes Thema, aber wo bleiben die aktuelleren Themen?
Bauer: Wenn Sie sich unser Programm-Portfolio anschauen: Die heutige Ufa ist der größte Programm-Createur und -produzent in Deutschland und produziert ungefähr tausend Stunden hochwertiges Programm pro Jahr. Davon sind die größten Teile zeitgemäß - contemporary, wie wir sagen. Insofern ist das, was wir historisches Drama nennen, eher nur ein Randbereich. Das haben Sie jetzt, in der letzten Zeit, gesehen bei "Charité" – einer neuen Reihe für die ARD, die beim Publikum ganz besonders gut angekommen ist, mit über 8,5 Millionen Zuschauern. Das ist heute ganz selten, dass man so eine Art Lagerfeuer-Effekt noch erreichen kann. Das ist aber ein sechsteiliges Werk – und wenn Sie davor schauen: Davor war da noch "Deutschland '83", eine achtteilige Serie aus der Zeit des Kalten Krieges, eine Spionagegeschichte. Das liegt schon nicht so weit zurück…
Buchmann: Vor kurzem noch "Der gleiche Himmel"…
Bauer: "Der gleiche Himmel", auch sozusagen eine Spionagegeschichte aus den siebziger Jahren. Aber wenn Sie das zusammenzählen, kommen Sie auf pro Jahr vielleicht 20 Stunden historisches Programm. Und alles andere ist aktuell, zeitgemäß und spiegelt sozusagen unsere Lebensrealität heute wieder.
Buchmann: Herzlichen Dank! Wolf Bauer, Co-Geschäftsführer der Ufa. Das Symposium "Linientreu und populär" hat heute begonnen in Berlin, in der Deutschen Kinemathek am Potsdamer Platz und geht bis morgen. Mit Vorträgen, Diskussionen und Filmvorführungen. Vielen Dank nochmal, Herr Bauer.
Bauer: Dankeschön, Frau Buchmann.
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