"In der Waldorfschule geht es eigentlich immer darum, dass die Kinder nicht nur mit dem Kopf lernen, sondern dass sie ihr Herz dabeihaben und dass sie auch ihre Willenskräfte aktivieren", sagt Henning Kullak-Ublick, Bund freier Waldorfschulen.
"Die inhaltliche Ausrichtung ist doch sehr altmodisch geblieben", findet Heiner Ullrich, Erziehungswissenschaftler.
"Wir sind nicht mehr die Freakshow, die den ganzen Tag ihren Namen tanzen", erklärt Kai Jüde-Marwedel, Geschäftsführer einer Waldorfschule in Köln.
"Waldorfschulen sind in ihrem Kern autoritär", sagt Helmut Zander, Religionshistoriker.
Und Tamino, ein Waldorfschüler, meint: "Es ist schon angenehmer. Man hat nicht so einen Stress."
Vor einhundert Jahren, am 7. September 1919, wurde in Stuttgart eine damals neuartige Schule eröffnet. Die Idee dazu hatte Emil Molt, Chef der Zigarettenfabrik Waldorf-Astoria, der für die Kinder seiner Arbeiter eine eigene Schule gründete - die Waldorfschule, benannt nach der Zigarettenfabrik.
"Religiöser Kult"
Mit dem Konzept und der Lehrerausbildung beauftragte der Unternehmer Molt einen Mann, der damals bereits viele Anhänger hatte: Rudolf Steiner, Publizist, Vortragsredner und - Begründer der Anthroposophie, also einer Weltanschauung, nach der es nicht nur eine materielle Welt gibt, sondern auch eine geistige, eine übersinnliche Welt.
Bei der feierlichen Eröffnung der Schule sagte Rudolf Steiner:
"Und ist es nicht schließlich eine höchste heilige, religiöse Verpflichtung, das Göttlich-Geistige, das ja in jedem Menschen, der geboren wird, neu erscheint und sich offenbart, in der Erziehung zu pflegen? Ist dieser Erziehungsdienst nicht religiöser Kult im höchsten Sinne des Wortes?"
"Steiner ist kein Reformpädagoge, sondern ein weltanschaulicher Führer, von dem man erwartet hat, dass er eine Schule gründet", sagt Heiner Ullrich, Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Mainz; zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Reform- und Alternativschulen: "Und dass sie sich so erfolgreich ausbreiten würde, das hätte er wahrscheinlich selbst nicht erwartet."
Alternative zum staatlichen Schulsystem
Weltweit gibt es heute mehr als 1.100 Waldorfschulen, 245 davon in Deutschland. Hierzulande sind sie als Ersatzschulen staatlich anerkannt und werden größtenteils aus öffentlichen Mitteln finanziert. Darüber hinaus sind die Eltern angehalten, einen einkommensabhängigen Beitrag für den Unterhalt der Schule zu leisten.
Waldorfschulen sind Gesamtschulen, in denen Mädchen und Jungen unabhängig von ihrer Leistungsstärke in der Regel vom ersten bis zum zwölften Schuljahr gemeinsam lernen, in altershomogenen, festen Klassenverbänden.
Viele Eltern, die ihre Kinder in eine Waldorfschule schicken, tun das, weil sie eine Alternative zum staatlichen Bildungssystem suchen. Eine Pädagogik, in der es nicht primär um Zensuren, Prüfungen und Abschlüsse geht. Sondern um eine ganzheitliche Sicht auf das Kind.
Unterricht wie vor 100 Jahren
Dass Waldorfschulen mit der Anthroposophie stark weltanschaulich geprägt sind, sei vielen Eltern gar nicht bewusst, meint der Schulforscher Heiner Ullrich:
"Die Eltern werden zum Engagement herangezogen, aber über die Pädagogik der Waldorfschule können sie nicht mitbestimmen. Die liegt dogmatisch fest im Werk Rudolf Steiners, auf das sich die Waldorflehrer bis heute beziehen. Und zwar hochgradig, über 90 Prozent geben an, dass sie sich intensiv mit der Anthroposophie beschäftigen."
Grundlage sei bis heute der Kurs, den Rudolf Steiner für die ersten Lehrer der Waldorfschule entwickelte: "Und da gibt es eben Kennzeichen der Unterrichtskultur, die wir heute nur noch in den Waldorfschulen finden."
Gartenbau statt Lehrbuch
Was aber sind die Kennzeichen der Waldorfschule? Von außen fällt die oftmals typische Bauweise der Schulhäuser auf, mit organischen Formen und kaum rechten Winkeln. Viele wissen auch: In einer Waldorfschule lernen Kinder, ihren Namen zu tanzen, im Fach Eurythmie.
In Waldorfschulen gibt es keine Noten. Auch keine Zensuren-Zeugnisse und kein Sitzenbleiben. Es gibt keine Lehrbücher. Dafür aufwendig gestaltete Tafelbilder.
Und die Epochenhefte, in denen die Schüler die behandelten Themen handschriftlich festhalten. Gartenbau sowie handwerkliches und künstlerisches Arbeiten nehmen breiten Raum ein in der Waldorfschule, ebenso das Theaterspielen.
Bedeutung der Klassenlehrer
Zu den Kennzeichen der Waldorfschule gehört auch die besondere Stellung der Klassenlehrer. Während der ersten acht Schuljahre soll es idealerweise keinen Wechsel geben.
Ein erstes Schuljahr in der Kölner Michaeli Schule, einer freien Waldorfschule: Die Kinder sitzen auf Holzbänken im Kreis. Die Klassenlehrerin geht herum und begrüßt nacheinander jedes Kind einzeln mit Namen und Handschlag. Auch das ist eine Tradition in der Waldorfschule.
Zum Unterrichtsbeginn sagen die Kinder den Morgenspruch auf, den Rudolf Steiner für die ersten vier Schulklassen vorgesehen hat. Auch in diesen Worten kommt die anthroposophische Weltanschauung mit ihren religiösen, mystischen und esoterischen Elementen zum Vorschein:
"Der Sonne liebes Licht,
Es hellet mir den Tag;
Der Seele Geistesmacht,
Sie gibt den Gliedern Kraft;
Im Sonnen-Lichtes-Glanz
Verehre ich, o Gott,
Die Menschenkraft, die Du
In meine Seele mir
So gütig hast gepflanzt,
Dass ich kann arbeitsam
Und lernbegierig sein.
Von Dir stammt Licht und Kraft,
Zu Dir ström‘ Lieb‘ und Dank."
Es hellet mir den Tag;
Der Seele Geistesmacht,
Sie gibt den Gliedern Kraft;
Im Sonnen-Lichtes-Glanz
Verehre ich, o Gott,
Die Menschenkraft, die Du
In meine Seele mir
So gütig hast gepflanzt,
Dass ich kann arbeitsam
Und lernbegierig sein.
Von Dir stammt Licht und Kraft,
Zu Dir ström‘ Lieb‘ und Dank."
Die Klassenlehrerin – oder hier in der Kölner Michaeli Schule ein Team von zwei Klassenlehrerinnen – ist zuständig für den sogenannten Hauptunterricht. Das sind die ersten beiden Stunden an jedem Schultag. Hier wird in Epochen unterrichtet, das heißt, mehrere Wochen lang steht ein Fachgebiet im Vordergrund.
Im Unterricht dieser ersten Klasse wird viel gesungen, auf einer Waldorf-Flöte gespielt, es werden Reime aufgesagt. Zum Schreiben und Malen setzen die Kinder sich später auf den Boden – die Holzbänke werden dann zu Tischen.
Das kleine Einmaleins stampfen
Doch im ersten Teil der Stunde gibt es viel Bewegung – zum Beispiel mit rhythmischem Gehen und Hüpfen. Auch so kann man die Dreier-Reihe lernen.
"Also wenn man sich in einer ersten Klasse die Zahlenreihen oder das kleine Einmaleins anguckt, das kann man mit den Kindern laufen, das kann man mit den Kindern rhythmisch klatschen, dann können sie das sprechen, das heißt, das geht erstmal ganz über die Bewegung, über das Rhythmusgedächtnis", erklärt Henning Kullak-Ublick, er ist Sprecher beim Bund Freier Waldorfschulen.
Lange Zeit hat er selbst als Waldorflehrer gearbeitet und sagt: "Eigentlich wird jeder Unterrichtsgegenstadt, jeder Lernzusammenhang so aufgebaut, dass die Kinder erstmal eigene Erfahrungen machen, dass sie eigene Tätigkeiten machen, dass sie das dann künstlerisch verarbeiten, dann auch reflektieren, was sie erlebt haben und dass sie daraus die entsprechenden Gedanken entwickeln."
Und das alles ohne Noten und Sitzenbleiben. In der Waldorfschule könne man die Kinder nicht mit Zensuren erpressen, sagt Henning Kullak-Ublick:
"Wir Lehrer sind immer darauf angewiesen, dass wir einen so interessanten Unterricht machen, dass die Kinder von sich aus daran Feuer fangen und von sich aus lernen wollen. Und ich glaube, das ist in dieser Radikalität in der Tat ein Alleinstellungsmerkmal der Waldorfschule."
Doch das wohl wichtigste Alleinstellungsmerkmal der Waldorfschule ist und bleibt die Anthroposophie. Sie ist zwar kein eigenes Unterrichtsfach, bildet aber die weltanschauliche Grundlage der Waldorf-Pädagogik.
Anthroposophie in vielen Lebensbereichen
Die Anthroposophie durchdringt heute noch weitere Lebensbereiche: Dazu gehören Demeter-Höfe, auf denen die von Rudolf Steiner entwickelte bio-dynamische Landwirtschaft betrieben wird.
Es gibt Drogeriemärkte, Seifenhersteller und Banken, die anthroposophisch arbeiten – ebenso wie Ärzte und Krankenhäuser, die anthroposophische Medizin praktizieren. Auch eine Kirche hat Steiner gegründet: die Christengemeinschaft mit heute mehreren zehntausend Mitgliedern.
Anthroposophen gehen davon aus, dass es hinter den materiellen Dingen eine geistige, übersinnliche Dimension gibt, in die Eingeweihte durch hellseherische Fähigkeiten Einsicht erlangen können. Damit verbunden ist der Glaube an die Reinkarnation, Anthroposophen sprechen von "wiederholten Erdenleben".
"Konkret: In der Pädagogik sollte der Lehrer wissen, welche Reinkarnationen die Kinder hinter sich haben", erklärt Helmut Zander, Professor für Religionsgeschichte an der Universität Fribourg in der Schweiz. Die Anthroposophie gehört zu seinen Fachgebieten.
"In der Medizin sollte die Ärztin oder der Arzt die kosmischen Kräfte kennen, die etwa in Heilmitteln wirken. Und in der Landwirtschaft muss klar sein, dass die anthroposophische Möhre nicht nur deshalb wächst, weil kein Dünger und natürlich Stoffe im Boden sind, sondern weil sie teilhat an kosmischen Energien, die ihr Wachstum fördern und ihren Geschmack ausprägen."
Von der Theosophie zur Anthroposophie
Geistiger Vater all dieser Ideen ist Rudolf Steiner. Geboren 1861 im Dorf Kraljevec, das damals zu Ungarn gehörte, heute liegt es in Kroatien. In Wien studiert Steiner Mathematik und Philosophie, er beschäftigt sich mit Goethe, dessen naturwissenschaftliche Schriften er bis 1897 herausgibt.
Dann stößt er zur Theosophischen Gesellschaft, einer esoterischen Vereinigung. Steiner-Biograf Helmut Zander: "Und da findet Steiner einen neuen Lebenssinn und wird sehr schnell Chef der deutschen Theosophen und übernimmt das theosophische Denken."
Zum theosophischen Denken gehört etwa die Vorstellung einer geistigen, höheren Welt. Und die Idee, dass Menschen unterschiedliche Hüllen haben, vom materiellen, physischen Leib über den geistigen Ätherleib bis zum Astralleib und dem geistigen Ich.
Steiner bekennt sich zur Lehre von Reinkarnation und Karma, schreibt ein Buch mit dem Titel "Theosophie", verbreitet die Ideen der Theosophen als Vortragsredner. Doch 1912 kommt es zum Bruch, wegen eines Streits mit der Präsidentin der Theosophischen Gesellschaft.
Anthroposophie mit Absolutheitsanspruch
Es ist die Geburtsstunde der Anthroposophischen Gesellschaft, deren Ehrenpräsident und wichtigster Wortführer Steiner wird.
"Die Theosophie ist die Mutter der Anthroposophie. Im Herzen hat er theosophisches Gedankengut auch in seiner Anthroposophie gepflegt", so Helmut Zander.
Rudolf Steiner muss ein charismatischer Mann gewesen sein. Viele Anthroposophen sehen in ihm bis heute einen spirituellen Führer. Sein Porträt, das ihn mit dichtem Haar und ernstem Blick zeigt, hängt wohl in fast jeder Waldorfschule.
"Ohne Rudolf Steiner gäbe es die Waldorfschule nicht", sagt der ehemalige Waldorflehrer Hennin Kullak-Ublick. "Und es ist durchaus fruchtbar und produktiv, wenn man sich mit den Grundlagenwerken von Rudolf Steiner auseinandersetzt."
Allerdings ist die Pädagogik von Rudolf Steiner nicht unumstritten. Die Anthroposophie habe einen Absolutheitsanspruch, sagt der Religionshistoriker und Theologe Helmut Zander, denn die Erkenntnis höherer Welten sei nicht verhandelbar.
Der Waldorfschule attestiert Zander etwas Autoritäres: "Im Kern war Steiner der Meinung, dass die Lehrerin oder der Lehrer auch eine Eingeweihte ist, ein Eingeweihter. Dass sie Erkenntnis höherer Welten haben.
Das heißt, die Lehrerin, der Lehrer ist eine extrem starke Figur in der Waldorfpädagogik. Und ich würde sagen – sehr verkürzt – Waldorfpädagogik ist eine Pädagogik vom Lehrer aus und nicht vom Kind aus. Ja, Waldorfschulen sind in ihrem Kern autoritär."
"Ich glaube, man muss hier unterscheiden zwischen autoritär und Autorität", entgegnet Henning Kullak-Ublick vom Bund freier Waldorfschulen: "Das betrifft ganz besonders die ersten Schuljahre, wo die Kinder eine große Sehnsucht danach haben, von Menschen umgeben zu sein, denen sie wirklich vertrauen können und die ihnen Fenster zur Welt öffnen. Das ist es, was wir unter Autorität verstehen und sogar mit dem Begriff der geliebten Autorität versehen."
Rassistische Aussagen bei Steiner
Tatsächlich sah Rudolf Steiner im Lehrer auch so etwas wie einen Priester. Der Erziehungswissenschaftler Heiner Ullrich sieht das kritisch: "Weil er das Kind auch unter dem Gesichtspunkt des Karmas und der Reinkarnation betrachtet und weil der tiefste Sinn des Erziehens ist, dass man dem Individuum auf dem Weg der Vergeistigung beisteht. Und das sind, denke ich, seelsorgerische Qualitäten. Das ist eine sehr schwierige Dimension. Das macht ein Lehrer normalerweise nicht an unseren Regelschulen."
Doch nicht nur die Funktion der Waldorflehrer sorgt für Debatten. Auch einige Aussagen von Rudolf Steiner geben Anlass zu Diskussionen. So sprach Steiner etwa von menschlichen Rassen, wobei die weiße Rasse die zukünftige sei.
2007 war die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien sogar kurz davor, zwei Bücher von Steiner in den Index jugendgefährdender Medien aufzunehmen, weil sie "zum Rassenhass anreizten", wie es hieß. Abgewendet wurde dieser Schritt schließlich, weil der Verlag eine kommentierte Auflage ankündigte.
"Von linken Anthroposophen bis zur Betonfraktion"
Der Bund freier Waldorfschulen reagierte im gleichen Jahr mit der "Stuttgarter Erklärung" und distanzierte sich darin von jeder Form der Diskriminierung. Henning Kullak-Ublick räumt ein, dass manche Aussagen in Steiners Werk aus heutiger Sicht rassistisch wirken, das gelte aber eben nicht für Steiners Weltbild:
"Insofern tun wir uns tatsächlich schwer damit, Rudolf Steiner als einen Rassisten zu bezeichnen, denn nach der Erfahrung, die wir mit ihm gemacht haben, ist er das nicht."
Der Religionshistoriker Helmut Zander empfiehlt den Anthroposophen eine stärkere Abgrenzung von den problematischen Aussagen ihres geistigen Mentors – allerdings warnt er auch vor pauschalen Urteilen:
"Das anthroposophische Milieu ist hochdifferenziert - von offenen, linken, bürgerlichen, grünen Anthroposophen und einer Betonfraktion auf der anderen Seite, die der Meinung sind, dass die Rassentheorie Steiners doch irgendwie stimmt."
Zurück zur Waldorfschule, über die man nicht sprechen kann, ohne das Fach Eurythmie zu erwähnen. In der Kölner Michaeli Schule unterrichtet die gebürtige Brasilianerin Marcia Ferreira die anthroposophische Bewegungskunst, in der es darum geht, Sprache und Musik mit bestimmten Körperformen und Tanzschritten auszudrücken.
"Wenn wir ganze Alphabet lernen, dann kann jeder auch seinen Namen tanzen. Also man kann einfach die Buchstaben zusammennähen in der Bewegung", so Ferreira.
Eurythmie ist ein Pflichtfach für Waldorfschüler – von der ersten bis zur letzten Klasse. An diesem Tag sind es Oberstufenschüler, also Teenager, die sich in zarten Baumwollschühchen über den Holzboden bewegen. Ihre Aufgabe ist es, Gedichte in bestimmte Bewegungsformen zu übertragen. Die Lehrerin übt mit ihren Schülern.
Es gehe in diesem Fach um Bewegung und Ästhetik, sagt die Eurythmielehrerin, aber auch darum, das Gedächtnis zur Ruhe zu bringen – eine Voraussetzung, um Gelerntes zu behalten. "Die Eurythmie ist auch eine soziale Kunst. Die Schüler in einer Gruppe müssen so aufeinander achten, dass wenn die Musik zu einem bestimmten Punkt kommt, alle sich in der gleichen Form bewegen", sagt Ferreira.
"Wir müssen nicht jeden Tag an Rudolf Steiner denken"
Fast 300 Schüler besuchen die Michaeli Schule. Viele stammten aus linksliberalen, bildungsbürgerlichen Familien der Kölner Südstadt, erzählt Schulgeschäftsführer Kai Jüde-Marwedel: "Wir haben weniger Waldorfeltern, die das schon sind, wenn sie zu uns kommen, sondern die entwickeln sich mit der Entwicklung ihres Kindes dazu."
Jüde-Marwedel war selbst Waldorfschüler. Auch bei ihm im Schulbüro hängt das Porträt von Rudolf Steiner.
Der sei zwar nach wie vor ein Impulsgeber, "aber wir müssen jetzt nicht jeden Tag an ihn denken. Sondern wir müssen in dem, was wir tun, seinen Impuls weitertragen. Und ich denke oft, Rudolf Steiner wäre daran gelegen, wenn diese Schulen weiter auf diesem Modernisierungspfad, auf dem wir uns definitiv befinden, weitergehen."
Lebensläufe von Waldorfabsolventen
Die meisten ehemaligen Waldorfschüler bewerten ihre Schulzeit übrigens positiv. In einer Erhebung gaben mehr als 80 Prozent an, den Unterricht als sinnvoll erlebt und sich wohl gefühlt zu haben.
Waldorfschulen führen überdurchschnittlich viele Schüler zum Abitur. Das mag auch an den ganz überwiegend akademisch gebildeten Elternhäusern liegen, dennoch zeigt es, wie leistungsfähig die Waldorfschule ist.
Allerdings: In der Oberstufe müssen die Waldorf-Abiturienten ebenso pauken wie die Schüler an staatlichen Schulen, denn dann kommt es auch für sie auf gute Noten an. Und oft brauchen sie dann Nachhilfestunden.
Der Schulforscher Heiner Ullrich: "Wenn man darauf schaut, was Waldorfschüler später für Berufe wählen, dann fehlen häufig die ökonomischen, die kaufmännischen und die MINT-Berufe. Sie gehen viel stärker in soziale, künstlerische, selbstständige Berufe. Und das zeigt, dass sie eben eine ganz spezifisch ausgerichtete, hochkulturelle Bildung genossen haben in der Schule."
Rudolf Steiner hat nicht mehr erlebt, was aus den Schülern seiner ersten Waldorfschule geworden ist. Er starb im März 1925 – keine sechs Jahre nach der Schulgründung, im Alter von 64 Jahren.