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100 Tage Große Koalition
Krisenfeste Zwangsehe

Als Zwangsehe ist die aktuelle Bundesregierung vor 100 Tagen an den Start gegangen. Der hätte kaum turbulenter sein können: Edathy-Affäre und Friedrich-Rücktritt sorgten für Wirbel. Als Regierungspartei tritt seitdem vor allem die SPD in Erscheinung.

Von Gudula Geuther, Stephan Detjen und Frank Capellan |
    Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) lachen während einer Unterhaltung in Meseberg (Brandenburg) bei der Klausurtagung des Bundeskabinetts.
    Gelöste Stimmung zwischen Kanzlerin Merkel und Vizekanzler Gabriel in Schloss Meseberg. (dpa picture alliance / Maurizio Gambarini)
    Politische Beziehungskisten sind Vertrauenssachen. Das gilt für das Verhältnis zwischen Wählern und Gewählten genauso wie für die Beziehungen zwischen den Regierenden untereinander. Niemand weiß das besser als Angela Merkel. Vertrauen ist für die Bundeskanzlerin die empfindliche Leitwährung ihrer Politik. Deshalb ist sie heute vor 100 Tagen, am 17. Dezember vergangenen Jahres, da angekommen: auf dem vorläufigen - vielleicht auch dem endgültigen Zenit - ihrer Karriere:
    "Auch wenn ich aus Entgegennahme des Blumengebindes den begründeten Eindruck gewonnen habe, dass Sie die Absicht haben, die Wahl anzunehmen, frage ich Sie der guten Ordnung halber: Nehmen Sie die Wahl an?"
    "Herr Präsident, ich nehme die Wahl an und bedanke mich für das Vertrauen."
    Angela Merkel ist die Virtuosin der Vertrauen bildenden Maßnahmen und des kalten Vertrauensentzugs in der Politik. Beides hat sie in den ersten hundert Tagen ihrer dritten Amtszeit wieder bewiesen. In ihrer Partei, in ihrer Koalition und im Wahlkampf:
    "… dass sie uns vertrauen! Und Vertrauen ist ein ganz hohes Maß, was wir jetzt wahren müssen, dass wir rechtfertigen müssen und darum geht es in den nächsten Jahren."
    Die bittere Lehre, die Merkel aus der letzten Wahlperiode ziehen musste, hat ihr noch einmal vor Augen geführt, wie trügerisch politische Vertrauensverhältnisse sein können, gerade dann, wenn sie besonders vollmundig in der Öffentlichkeit zelebriert werden:
    "Um 2 Uhr 12 waren wir mit der Arbeit fertig, um 2 Uhr 15 sagen wir Horst und Guido zueinander."
    "Das ist der Beginn einer großen Freundschaft."
    Das Platzen der schwarz-gelben Seifenblasen hatte die Grundeinstellung geprägt, mit der Merkel jetzt ihre dritte Regierung aufbaute. Keine großspurigen Gesten, kein Auftrumpfen. Bis an den Rand der Unkenntlichkeit duckte sich die Union auf Weisung ihrer Vorsitzenden während der Koalitionsverhandlungen hinter der Führungsspitze der SPD weg.
    Koalition steht auf einem belastungsfähigen Fundament
    Kleinere Rempeleien, vorlaute Interviewäußerungen in den ersten Regierungswochen ließ die Kanzlerin ungeahndet passieren. Eine Regierungsklausur im brandenburgischen Meseberg sollte Ende Januar den symbolischen Auftakt der echten Regierungsarbeit besiegeln. Erste Papiere zur Rentenreform lagen auf dem Tisch, Vizekanzler Gabriel hatte ein ambitioniertes Eckpunktepapier zur Energiepolitik mitgebracht. Und es sollte sich zeigen: Wenn es um die wirklich gewichtigen Vorhaben geht, steht diese Koalition auf einem belastungsfähigen Fundament:
    "Danke der Bundeskanzlerin für die sehr gute Vorbereitung. Die Tatsache, dass jetzt alle darum gebeten haben, im Sommer noch mal hier zu tagen, hat uns dazu veranlasst zu sagen, na, wir wollen dass alle, die da jetzt am Tisch sitzen, vier Jahre lang Gelegenheit haben, hier zusammenzukommen."
    Rücktritt von Hans Peter Friedrich
    Der CSU-Politiker Hans-Peter Friedrich bei seiner Rücktrittserklärung in Berlin
    Der CSU-Politiker Hans-Peter Friedrich ist vom Amt des Landwirtschaftsministers zurückgetreten (picture alliance / dpa / Tim Brakemeier)
    Doch es dauerte gerade einmal drei Wochen, da war klar, dass man jedenfalls in dieser Runde nicht mehr zusammenkommen würde.
    "Ich möchte Ihnen mitteilen, dass ich der Frau Bundeskanzlerin heute angeboten habe meinen Rücktritt vom Amt des Bundeslandwirtschaftsministers…"
    Der Rücktritt von Hans Peter Friedrich war kein Angebot aus eigenen Stücken gewesen. Kühl kalkulierend hatte die Kanzlerin ihrem Minister das Vertrauen und damit den politischen Boden unter den Füßen weggezogen. Friedrich, der in der Edathy-Affäre zum Klotz am Bein der Union zu werden drohte, wurde abgeräumt, damit CSU-Chef Seehofer und seine Leute die Vertrauensfrage spitz in Richtung SPD wenden konnten:
    "Es geht um Vertrauen, das ist gestört und welche Antworten gibt’s darauf, das ist die zentrale Frage heute Abend."
    Edathy-Affäre sorgt für Wirbel
    Früher als irgendjemand das erwarten konnte, hat die Edathy-Affäre die Verhältnisse in der Koalition durcheinander gewirbelt und auf die Probe gestellt. Innerhalb weniger Tage war die SPD, die in der Startphase mit ihren sozial- und energiepolitischen Initiativen der Motor des Regierungsbündnisses zu sein schien, in die Defensive geraten:
    "Ich verstehe jeden in der Union, der über die Ereignisse der vergangenen Tage irritiert, enttäuscht und auch erzürnt und verärgert ist."
    Musste SPD-Chef Sigmar Gabriel zur Beruhigung der erhitzten Unionsgemüter eingestehen. Und Angela Merkel durfte einmal mehr als die präsidiale Kanzlerin erscheinen, die nur die Wähler im Blick zu haben scheint, wenn die Vertrauensfrage aufgeworfen wird.
    "Wir haben alles dafür zu tun, dass es Transparenz gibt, dass es Vertrauen gibt in den Rechtsstaat und wenn hier Zweifel entstehen, dann sind wir alle Diener des Rechtsstaats."
    Tatsächlich allerdings hatten die Diskussionen in Folge der Edathy-Affäre einen hoch sensiblen Punkt im inneren Räderwerk der Koalitionsmechanik getroffen. Denn mit SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann stand nach dem Friedrich-Rücktritt derjenige im Sperrfeuer der Unionskritik, der wie kaum ein anderer im Regierungsalltag dafür zu sorgen hatte, dass der von der Spitze vorgegebene Kurs von der parlamentarischen Breite des Bündnisses mitgetragen wird.
    Neue Statik für Zusammenspiel der Partner
    Zugleich wurde in den ersten 100 Tagen deutlich, dass Merkel und Gabriel im Zeichen der Edathy-Affäre eine neue Statik für das Zusammenspiel der Partner entworfen haben.
    "Also ich bin zu keinem Treffen eingeladen."
    Pflegt Unionsfraktionschef Volker Kauder knapp angebunden zu antworten, wenn er nach dem ersten Treffen des Koalitionsausschusses gefragt wird, der eigentlich die Schaltstelle des Regierungsbündnisses sein soll. Regelmäßig, so heißt es im Koalitionsvertrag, wolle man sich in dem Gremium treffen, um dort Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zu besprechen und in Konfliktfällen Konsens herbeizuführen.
    Doch bis heute hat man sich noch nicht einmal darüber verständigt, wer - außer den drei Parteivorsitzenden - dem Koalitionsausschuss überhaupt angehören soll. Zwei Mal sollte der Ausschuss tagen, jedes Mal wurde daraus am Ende stets ein Spitzentreffen von Merkel, Gabriel und Seehofer - natürlich: streng vertraulich.
    "Dieses Gespräch findet heute Abend statt in dem Geist, dass wir alle die gleiche Verpflichtung haben, nämlich den Rechtsstaat so zu leben, dass die Menschen den Eindruck von Transparenz haben und dass die Menschen den Eindruck haben, dass Sie Vertrauen in unsere Abläufe haben können."
    Außenminister Frank-Walter Steinmeier als Stabilitätsanker
    Großansicht von Frank-Walter Steinmeier in seiner Entourage
    Außenminister Frank-Walter Steinmeier in Kiew (dpa / Tim Brakemeier)
    Die enge Abstimmung der Parteivorsitzenden scheint schlüssig, denn die Edathy-Affäre wurde auch für das Verhältnis der Kanzlerin zu ihrem Vize zur Belastungsprobe. Geschwätzigkeit verachtet Merkel über alles, Glück für Gabriel, dass es mit CSU-Minister Friedrich ein Konservativer war, der die brisante Information als Erster weitergab. Dass Merkel durchaus nachtragend sein kann, ließ sie den SPD-Vorsitzenden 2010 spüren. Damals hatte Gabriel eine vertrauliche SMS der Kanzlerin öffentlich gemacht - wochenlang war die CDU-Chefin stinksauer.
    Längst aber haben die beiden zu ihrem guten Draht zurückgefunden, den sie schon in der ersten Großen Koalition pflegten. Und auch ein anderer, den meisten Deutschen nach wie vor extrem sympathischer Sozialdemokrat, erweist sich angesichts der aktuellen Spannungen mit Russland als Stabilitätsanker dieser Regierung: Außenminister Frank-Walter Steinmeier.
    "Das hier ist kein Schauspiel vor den Medien, was hier stattfindet. Das ist die ernsteste Krise in Europa, die wir in den letzten 20, 25 Jahren hatten."
    Hatte Vorgänger Westerwelle die Kanzlerin immer wieder in die Bredouille gebracht, etwa mit seiner unklaren Haltung zum Militäreinsatz in Libyen, so agiert Steinmeier in der Krim-Krise ganz so wie es auch ihrem Politikstil entspricht: Vorsichtig, abwägend, besonnen. Sehr zur Freude auch des SPD-Chefs:
    "Einer verdient in diesen Tagen unseren Respekt für seine Arbeit, das ist Frank-Walter Steinmeier. Aber das ist auch Angela Merkel als Bundeskanzlerin!"
    Sie hatte Gabriel in Oppositionszeiten noch als Geschäftsführerin einer Nicht-Regierungsorganisation verspottet, inzwischen ist er voll des Lobes für Angela Merkel. Leicht fällt dem Wirtschaftsminister das auch, weil bisher vor allem seine SPD als Regierungspartei in Erscheinung tritt:
    "Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten verstehen sich als Motoren dieser Großen Koalition…"
    SPD will punkten
    In den Meinungsfragen spiegelt sich das allerdings noch nicht wieder, die Strategie ist dennoch klar: Die SPD will liefern … und punkten!
    "Der Mindestlohn wird kommen, und das ist die gute Nachricht des Tages!"
    Sie hat gut Lachen. Es scheint, als würde Andrea Nahles ihren Lackmustest als Arbeitsministerin bravourös bestehen. 8,50 Euro pro Stunde von 2015 an - CDU und CSU müssen diese Kröte schlucken. Nur mit Blick auf Langzeitarbeitslose und Jugendliche unter 18 Jahren konnten den Sozialdemokraten kleine Zugeständnisse abgerungen werden.
    "Ich freue mich, dass unser Anliegen, einen flächendeckenden Mindestlohn umzusetzen, der in Ost und West gleichermaßen gilt und alle Branchen umfasst, eingelöst werden kann!"
    Als SPD-Generalsekretärin hatte sie den Mitgliedern ihr Ja zur Großen Koalition insbesondere mit der Aussicht auf diesen Mindestlohn schmackhaft gemacht. Wort hält sie aber auch mit dem Versprechen, einen Beschluss des letzten Bündnisses mit der Union zu korrigieren. Die abschlagsfreie Rente mit 63 nach 45 Beitragsjahren soll ab Juli im Gesetzesblatt stehen - ein Herzensanliegen der Sozialdemokraten, die damit ihr Verhältnis zu den Gewerkschaften wieder ins Lot bringen.
    Zugleich aber muss Nahles die Mütterrente umsetzen. Frauen, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, werden auf Drängen der Union bessergestellt:
    "Das ist ein wichtiger Akt der Gerechtigkeit, aber es ist auch ein wichtiges Zeichen gegen Altersarmut und deshalb werden wir das durchsetzen!"
    160 Milliarden Euro wird das Rentenpaket bis 2030 kosten. Geld, das nicht von den Steuer-, sondern allein von den Beitragszahlern kommen soll - der Griff in die Rentenkasse ist beschlossen, Beitragserhöhungen werden die Folge sein.
    Experten sprechen schon von einem Menetekel dieser Koalition, weil beide Seiten Wahlversprechen zu Lasten der jüngeren Generation einlösen. Die SPD-geführten Ministerien preschen aber auch mit anderen Plänen voran. Verbraucherschutzminister Heiko Maas bringt die Mietpreisbremse voran, Familienministerin Manuela Schwesig setzt das im Koalitionsvertrag vereinbarte "Elterngeld plus" um: Väter und Mütter, die zugunsten ihrer Kinder auf Teilzeit gehen, werden damit gefördert - eine Idee, die eigentlich aus der Feder ihrer christdemokratischen Vorgängerin Kristina Schröder stammt.
    "Paare in Deutschland wünschen sich überwiegend Zeit für Familie und Zeit für den Job zu haben. 60 Prozent wünschen sich das, 14 Prozent machen das nur. Das ist ein Zeichen, das wir den Wünschen der Familien nicht gerecht werden in Deutschland!"
    Umstrittene Frauenquote
    Als Schwesig allerdings eine Familienarbeitszeit forderte, eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit für junge Eltern, wurde sie von der Kanzlerin brüsk abgewatscht. In den Augen der Sozialdemokratin der Hinweis, einen Nerv getroffen zu haben, ein Thema, das auch die Union besetzen möchte. Auch um die in konservativen Reihen umstrittene Frauenquote dürfte es noch heftige Kontroversen geben, gestern erst hat die Familienministerin ihre Vorstellung präsentiert, in Aufsichtsräten von DAX-Konzernen einen Frauenanteil von 30 Prozent per Gesetz durchzusetzen.
    Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes als Herausforderung
    Das größte Vorhaben dieser Koalition aber will der SPD-Vorsitzende persönlich nach den Osterferien auf den Weg bringen: Die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Gelingt Sigmar Gabriel sein „Meisterstück Energiewende“, könnte ihm das 2017 den Sprung ins Kanzleramt ermöglichen. Verständlich daher, dass Angela Merkel die Zuständigkeit vorsorglich auch für ihre Seite reklamiert:
    "Das wird ein Projekt der gesamten Bundesregierung und nicht ein Projekt nur eines Ministers. Nur gemeinsam können wir das schaffen."
    Dass die Sozialdemokraten nicht mehr Einfluss bekommen als ihnen nach ihrem mageren Wahlergebnis gebührt, darauf ist vor allem CSU-Chef Horst Seehofer bedacht. Mit seinem Widerstand gegen den Mindestlohn ist er weitgehend gescheitert, zunehmend schießt sich der bayerische Ministerpräsident nun auf die Stromtrassen Pläne des sozialdemokratischen Energieministers ein.
    "Wenn es um die Stromtrassen geht, wird zuerst die Notwendigkeit geprüft und zweitens die Machbarkeit!"
    Eine umstrittene Ost-Süd-Verbindung, die auch Braunkohlestrom aus der Lausitz transportieren würde, will Seehofer verhindern. Die CSU macht Gabriel für den ersten Ministerrücktritt verantwortlich und erwartet daher Zugeständnisse des Energieministers.
    CSU mit magerer Bilanz
    Ansonsten ist die Bilanz der CSU mager. Der PKW-Maut für Ausländer werden kaum Chancen zugebilligt, Verkehrsminister Alexander Dobrindt konzentriert sich erst einmal auf eine deutliche Ausweitung der Zahlungen für LKW. Was also hat die Union nach 100 Tagen Großer Koalition auf der Habenseite?
    "Wir halten Wort. Wir haben gesagt: Wir wollen in dieser Legislaturperiode ohne neue Schulden auskommen!"
    Die Konsolidierung des Haushaltes - wie ein Mantra trägt sie Wolfgang Schäuble vor sich her. Tatsächlich ist der Finanzminister auf gutem Wege, sein Ziel zu erreichen. 2015 soll die Neuverschuldung bei Null sein. Und darin könnte in den Augen der Kanzlerin am Ende das größte Verdienst ihrer dritten Amtszeit liegen. Nach den ersten 100 Tagen zieht die Opposition jedoch eine magere Bilanz - der Linken-Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi:
    "Zunächst hat die Koalition den gesamten Bundestag in einen Zwangsstreik geschickt, weil sie nicht zu Potte kam. Dann haben sie sehr viel geredet und so gut wie nichts beschlossen. Und dann streiten sie sich über alles, was sie so ewig lange ausgehandelt haben im Koalitionsvertrag. Letztlich waren sie nur bei zwei Sachen sehr schnell: Das waren zusätzliche Vizepräsidenten, zusätzliche Staatssekretäre und Diätenerhöhung."
    "Der Koalitionsvertrag hat über 130 Prüfaufträge. Da ist ganz viel Verschieben, Verschieben. Oder Versprechen und doch noch nicht Liefern."
    So auch die Grüne Fraktionsgeschäftsführerin Britta Haßelmann. Sich mit solcher Kritik Gehör zu verschaffen, das ist für die Opposition in dieser Legislaturperiode besonders schwer. Mit zusammen 127 Sitzen im Bundestag, 20 Prozent, kämpfen Grüne und Linke um Wahrnehmung. Ein Sitz mehr im Parlament allerdings verschafft der Linken die Oppositionsführerschaft - in der sich Fraktionschef Gregor Gysi mit großer Ernsthaftigkeit sonnt.
    "Es ist eine neue Herausforderung, und zwar deshalb, weil ich ja auch das Oppositionsbedürfnis der CSU-, CDU- und SPD-Wählerinnen und Wähler befriedigen muss. Und trotzdem muss ich mich natürlich in erster Linie an unser Potenzial, an unsere Klientel wenden. Und das immer hinzukriegen ist nicht immer einfach. Dazu gehört, dass man Alternativen anbietet, die aber auch für einen CSU-Wähler glaubwürdig sein müssen."
    Ukraine verschafft der Linkspartei ein Alleinstellungsmerkmal
    Wie weit das gelingt, liegt im Auge des Betrachters. Als Kernthemen der hundert Tage gibt Gysi für seine Fraktion die Überwachung durch US- und britische Geheimdienste an - und die Ukraine. Mit einer im Vergleich zu den anderen Parteien verständnisvollen Haltung zu Russland, die der Linken ein Alleinstellungsmerkmal verschafft. Und sie, nach vorsichtigen gegenseitigen Annäherungen, wieder weiter von SPD und Grünen entfernt, und damit auch von möglichen späteren Koalitionen.
    Die Grünen verweisen auf den Einfluss auf die Bundespolitik über ihre sieben Regierungsbeteiligungen in den Ländern – etwa in der Energiepolitik. Und sonst?
    "Uns geht’s um die inhaltliche Arbeit. Wir wollen eine Konzeptopposition im Deutschen Bundestag sein…"
    Sagt die Grüne Fraktionsgeschäftsführerin Britta Haßelmann.
    "Und wenn man sich den NSA-Untersuchungsausschuss ansieht, den Untersuchungsauftrag, diese massenhafte Ausspähung von Daten wirklich konsequent aufzuarbeiten, dann trägt das eine ganz klare grüne Handschrift und ist für mich ein Beleg dafür: Wir arbeiten hier inhaltlich konstruktiv und verfolgen mit Hartnäckigkeit Sachen."
    NSA-Untersuchungsausschuss spaltet
    Tatsächlich haben sich gerade bei diesem Thema Grüne und Linke sehr weitgehend durchgesetzt gegen die Koalition. Bei einem Untersuchungsausschuss, dem schärfsten Schwert der Opposition, scheint das eine Selbstverständlichkeit. Das war es hier freilich nicht. Denn rein formal bedarf die Einsetzung des Ausschusses 25 Prozent der Stimmen im Parlament - und mithin auch die Formulierung des Auftrages.
    "Wir hatten natürlich auch immer die Möglichkeit, wenn uns hier wesentliche Fragen abgeschnitten werden, eventuell zu klagen, um das durchzusetzen. Und dadurch, dass das im Hintergrund stand, haben dann SPD und Union mitgemacht bei diesem Untersuchungsauftrag."
    So stellt es der Grüne Konstantin von Notz dar. Die Koalition verweist dagegen auf das gemeinsame Interesse an der Aufklärung und darauf, dass sie der Opposition habe entgegenkommen wollen. So oder so - der NSA-Untersuchungsausschuss illustriert das Problem der Minderheitenrechte; noch verhandeln die Fachleute und beraten die Ausschüsse.
    "Spätestens im April wissen wir, was wir kriegen und was wir nicht kriegen und dann können wir auch entsprechend handeln."
    Vieles ist geklärt, vielfach ist die Koalition der Opposition schon entgegengekommen. Wie im NSA-Untersuchungsausschuss so soll auch in anderen zukünftigen schon durch die Zusammensetzung gewährleistet sein, dass die Opposition als Ganze Akten anfordern und die Vernehmung von Zeugen verlangen kann. Es soll nicht einfach einen Beschluss des Bundestages über die Oppositionsrechte geben, sondern eine Änderung der Geschäftsordnung.
    Nur: Ab hier ist auch die Opposition in ureigener Sache nicht einig: Die Grünen wollen gesetzliche Änderungen, Die Linke legt vor allem Wert auf die Möglichkeit der Normenkontrolle – und droht anderenfalls mit dem Gang nach Karlsruhe.
    Und es zeichnet sich ab, dass den Grünen ein Anliegen versagt bleiben wird: Mehr Rederecht im Plenum des Bundestages. Einige Minuten hat die Große Koalition zugestanden. Fraktionsgeschäftsführerin Haßelmann reicht das nicht.
    "Lebendiger Parlamentarismus lebt davon, dass wir Argumente auch austauschen können und es nicht zu einer Selbstbeschäftigung der Großen Koalition kommt."