Nahost
100 Tage Krieg im Gazastreifen

Vor 100 Tagen hat die militant-islamistische Terrororganisation Hamas in einem beispiellosen Überfall Israel angegriffen. Der Krieg, der seitdem im Gazastreifen geführt wird, ist der längste zwischen Israel und den Palästinensern seit der Gründung Israels vor 76 Jahren. Der Großteil der Bevölkerung Gazas ist auf der Flucht. Wie ist die Lage im Kriegsgebiet, und warum ist noch kein Ende der Kämpfe in Sicht? Ein Überblick.

    Palästinenser gehen an den Überresten zerstörter Gebäude in Gaza-Stadt vorbei.
    Zerstörte Gebäude in Gaza-Stadt (dpa / AP / Mohammed Hajjar)

    Wie begann der Gaza-Krieg?

    Am 7. Oktober überfiel die Hamas Israel und ermordete mehr als 1.200 Menschen, vorwiegend Zivilisten. Hunderte Kämpfer drangen auf israelisches Gebiet vor und verschleppten auch rund 250 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen. Laut israelischen Angaben wurden allein am Tag des Angriffs aus dem Gazastreifen mindestens 2.200 Raketen auf Israel gefeuert.
    Unmittelbar nach dem Überfall der Hamas begann die israelische Armee nach eigenen Angaben, Ziele der Hamas im Gazastreifen zu bombardieren. 20 Tage später rückten Bodentruppen ein. Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde wurden bisher fast 24.000 Menschen in dem abgeriegelten Küstengebiet getötet. Die Zahlen lassen sich nicht unabhängig überprüfen, doch verweisen die UN und andere Beobachter darauf, dass sich die Angaben der Behörde in der Vergangenheit als insgesamt glaubwürdig herausgestellt hätten.

    Wie ist die humanitäre Lage?

    Das UNO-Palästinenserhilfswerk UNRWA erneuerte seinen Appell für eine humanitäre Feuerpause im Gazastreifen. "Massenhafter Tod, Zerstörung, Vertreibung, Hunger, Verlust und Trauer haben in den vergangenen 100 Tagen die von uns allen geteilte Menschlichkeit befleckt", erklärte UNRWA-Generalkommissar Lazzarini.
    1,4 Millionen Binnenflüchtlinge müssten in heillos überfüllten, mit unzureichenden Sanitäranlagen ausgestatteten Notunterkünften hausen. Die große Mehrheit der Menschen sei zutiefst traumatisiert. Nur 15 der 36 Krankenhäuser im Gazastreifen sind nach Angaben der UNO teilweise funktionsfähig, sodass die medizinische Versorgung kurz vor dem Zusammenbruch steht.
    Weltweit gibt es seit Monaten immer wieder Proteste gegen das Vorgehen Israels. Zudem muss sich Israel aktuell vor dem Internationalen Gerichtshof gegen den Vorwurf des Völkermords verantworten. Die israelische Regierung hat den Vorwurf mehrfach mit Nachdruck zurückgewiesen und beruft sich auf das Recht zur Selbsverteidigung.

    Wie viele Geiseln befinden sich noch in den Händen der Hamas?

    In den vergangenen Wochen hat die Hamas - auch aufgrund internationaler diplomatischer Bemühungen - zahlreiche Geiseln freigelassen. Mindestens 132 Geiseln befinden sich nach israelischen Angaben allerdings noch im Gazastreifen. 25 von ihnen seien vermutlich tot, teilte eine Regierungssprecherin mit.
    Die Geiseln werden wahrscheinlich in den weitläufigen Tunnelanlagen der Hamas festgehalten. Eine gewaltsame Befreiung der Verschleppten durch das israelische Militär gilt Berichten zufolge als nahezu undurchführbar. Die von der Hamas angelegten Tunnel durchziehen demnach auf Hunderten Kilometern den gesamten Gazastreifen. Viele Angehörige der Geiseln sprechen sich daher für eine Verhandlungslösung aus. Erst am Samstagabend demonstrierten wieder zehntausende Menschen in Tel Aviv. Viele warfen der israelischen Regierung vor, nicht genug für die Freilassung der Geiseln zu tun. Auch Bundesaußenministerin Baerbock betonte erneut, sich ebenfalls für die Freilassung der Entführten einzusetzen.

    Ist eine Verhandlungslösung denkbar?

    Der israelische Ministerpräsident Netanjahu hat wiederholt die Entschlossenheit seines Landes im Krieg gegen die Hamas bekräftigt. Erst gestern sagte er, niemand werde Israel aufhalten. Es sei möglich und notwendig, bis zum Sieg weiterzumachen. Die Militäroffensive im Gazastreifen habe bereits die meisten Hamas-Bataillone eliminiert, so Netanjahu.
    Trotz internationaler diplomatischer Bemühungen und zwischenzeitlicher Feuerpausen sei derzeit an Friedenslösungen nicht zu denken, sagte Friedensforscherin Claudia Baumgart-Ochse bereits Anfang Dezember im Deutschlandfunk. Für eine langfristige Befriedung müsse die Frage nach einem palästinensischen Staat wieder zum Thema werden. Zunächst wolle Israel jedoch die Bedrohung durch die Hamas vollständig beseitigen.
    Dass dieses Vorhaben schwierig werden dürfte, schätzt die israelische Tageszeitung "Haaretz". Israel sei noch weit davon entfernt, seine Kriegsziele zu erreichen, heißt es dort unter Berufung auf Sicherheitskreise. Die israelische Militärführung sei vom Umfang der Hamas-Tunnel im Gazastreifen überrascht worden. Die Führungsspitze der Terrororganisation Hamas sei darin relativ gut vor Angriffen geschützt, schrieb das Blatt.

    Wie könnte die Zukunft des Gazastreifens aussehen?

    Über ihre langfristigen Pläne nach einem Sieg über die Hamas hat sich die israelische Regierung bisher nur vage geäußert. Netanjahu etwa sagte, Israel werde nach dem Krieg für unbestimmte Zeit die Sicherheitsverantwortung für den Gazastreifen übernehmen. Gleichwohl hieß es aus Regierungskreisen, Israel sei nicht daran interessiert, das Gebiet zu regieren. Verteidigungsminister Gallant betonte, nach dem Krieg würden weder Israel noch die Hamas den Gazastreifen regieren.
    Der Islamwissenschaftler Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik betonte im Deutschlandfunk, es führe kein Weg daran vorbei, dass Palästinenser im Gazastreifen die Macht übernähmen. Vor allem in Washington scheine es derzeit das bevorzugte Szenario zu sein, dass "palästinensische Technokraten" in Zukunft eine Regierung stellten. Zudem könnten Länder wie die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain oder Marokko Unterstützung für den Sicherheitsapparat schickten. Unabhängig davon dürfte der Wiederaufbau des Gazastreifens viele Jahre dauern.

    Auf welche Regionen könnte sich der Krieg ausweiten?

    Der Konflikt hat sich längst auf mehrere Länder im Nahen Osten ausgeweitet und droht zu eskalieren. Fast täglich wird Beschuss zwischen Israel und den vom Iran unterstützten Hisbollah-Kämpfern im Libanon gemeldet. Vom Iran unterstützte Milizen griffen außerdem US-Streitkräfte im Irak und in Syrien an.
    Zudem haben die schiitischen Huthi-Rebellen im Jemen, die ebenfalls vom Iran unterstützt werden, immer wieder zivile Frachtschiffe im Roten Meer beschossen. Mehrere große Reedereien haben daher die Schifffahrt in der Region ausgesetzt. Vor wenigen Tagen bombardierten das US-amerikanische und das britische Militär mehr als ein Dutzend Ziele der Huthis im Jemen. Im Jemen kam es daraufhin zu Protesten. Die Huthis kündigten an, ihre Angriffe fortzusetzen.

    Weiterführende Informationen

    Über die Entwicklungen im Nahen Osten halten wir Sie auch in einem Nachrichtenblog auf dem Laufenden.
    Diese Nachricht wurde am 14.01.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.