"Sicherlich ist es vom Gefühl her erst einmal beängstigend, aber die Nachbeben sind nicht so schlimm, dass man nicht kommen könnte. Die Kulturstätten sind wieder eröffnet", sagte Zilly. Für die Menschen sei der Tourismus als Einnahmequelle wichtig. Die bisherige Haupteinnahmequelle Landwirtschaft sei durch das Erdbeben vor gut drei Monaten weggebrochen.
Monsun verschärft Situation nach Erdbeben
"Es ist momentan mehr der Monsun, der die Bevölkerung belastet und das Land beeinträchtigt", sagte sie. Der Monsun führe seit anderthalb Monaten zu Erdrutschen. Für die Menschen sei die Unterkunftssituation nach wie vor schwierig. Der Aufbau gestalte sich auch schwierig, weil die Regierung bestimmte Erlasse verabschiedet habe, nach denen der Wiederaufbau durchgeführt werden solle. Zudem sei die Regierung mehr mit der Ausarbeitung der Verfassung beschäftigt, was den Prozess weiter verzögere, sagte Zilly. Hilfsorganisationen und die Verwaltung verteilten Wellbleche, damit die Menschen mindestens ein Dach über dem Kopf hätten. Die Regierung gibt pro Haushalt eine Hilfe von 150 Dollar.
Am 25. April wurde der Himalaya-Stat vom stärksten Erdbeben seiner Geschichte getroffen. Mehr als 8,1 Millionen Menschen sind bis jetzt noch von dem Beben direkt betroffen.
Das komplette Interview zum Nachlesen:
Peter Kapern: Jetzt erreichen wir in Katmandu am Telefon Barbara Zilly von der Welthungerhilfe. Guten Tag, Frau Zilly!
Barbara Zilly: Guten Tag!
Kapern: Frau Zilly, ich habe eingangs die Situation kurz nach dem Erdbeben in Nepal beschrieben mit der Formulierung "ganze Regionen des Landes lagen in Trümmern". Wäre das auch heute noch, 100 Tage später, die richtige Beschreibung?
Zilly: Die Situation ist immer noch sehr, sehr schwierig. Viele Wiederaufbauarbeiten müssen geleistet werden. Es sind ja erst drei Monate vergangen. Und wir dürfen nicht vergessen, dass auch die Nachbeben immer noch stattfinden. Es gibt immer regelmäßig Erdbeben über vier. Und insofern dauert es natürlich auch Zeit, aufzubauen. Außerdem hat die Regierung auch bestimmte Erlasse durchgegeben, dass Aufbauarbeiten nur nach bestimmten Richtlinien erfolgen. Und im Moment ist noch nichts freigegeben.
Kapern: Diese anhaltenden Nachbeben, von denen Sie da berichten, richten die weiterhin Schäden an, immer wieder Schäden? Kommen dabei noch Menschen um oder zu Schaden. Oder welches Ausmaß muss man sich unter einem Erdbeben der Größe vier vorstellen?
Zilly: Es ist im Moment mehr der Monsun, der vor allem die Bevölkerung belastet und auch das Land hier schwer beeinträchtigt. Der hat ja vor ungefähr eineinhalb Monaten angefangen. Und es gab jetzt auch am Wochenende wieder starke Regenfälle, die zu Erdrutschen führen und auch zu Überschwemmungen. Heute Morgen in der Zeitung gab es die Aussage, dass 90 Leute betroffen waren, davon einige Tote. Und das ist natürlich schwierig. Die Beben haben insofern noch eine Auswirkung, dass die Bevölkerung ja traumatisiert ist. Die hat bisher noch keine Möglichkeit gehabt, sich ganz davon zu befreien. Und es ist natürlich auch Angst, die da mitschwebt: Könnte noch einmal ein größeres Erdbeben kommen?
Kapern: Nach dem Erdbeben hat hier eine Zahl die Runde gemacht, die macht Beobachter schier fassungslos: Acht Millionen Menschen sollen durch das Erdbeben obdachlos geworden sein. Eine unvorstellbare Zahl, zumal in einem so armen Land. Wie leben diese Menschen jetzt?
Zilly: Ja, das ist wirklich erschreckend. Und die meisten haben ihre Unterkünfte verloren. Und es wurde über Nothilfeleistungen von vielen internationalen NGOs und auch der Regierung Mittel verteilt, um die Unterkünfte aufzubauen, also Gegenstände wie Wellbleche. Und momentan sind einige Dörfer vorangekommen. Dann wurde von der Regierung auch Geld transferiert, ungefähr 150 Dollar pro Haushalt. Das ist angelaufen, ist aber auch noch nicht genug. Auch die Welthungerhilfe, wir haben Wellbleche verteilt, die sind in verschiedenen Distrikten angekommen, die Leute haben es jetzt benutzt, um zumindest mal ein Dach über dem Kopf zu haben. Es ist aber noch lange nicht genug.
Kapern: Das sind aber doch alles nur Provisorien, die da auch 100 Tage nach dem Erdbeben immer noch errichtet werden. Wenn man eine Zeltplane, ein Wellblech, eine Folie hat.
Zilly: Klar. Aber es ist natürlich, es dauert Zeit. Ich meine, Nepal ist eines der ärmsten Länder der Welt. Es ist chronisch unterernährt und chronisch betroffen. Das heißt, um den Bauern jetzt wieder einen Wiederaufbau – die haben ja auch ihre ganzen Lebensgrundlagen verloren. Wenn man daran denkt, dass das alles Farmer sind und die im Moment wenig Saatgut haben, auch ihre landwirtschaftlichen Mittel verloren haben und so weiter. Das dauert natürlich einfach Zeit, bis das wieder zurechtkommt.
Kapern: Worauf konzentriert sich die Welthungerhilfe in Nepal gerade?
Zilly: Eigentlich sind wir in der Wiederaufbauphase angelangt. Das heißt, wir haben mit der Nothilfe, bei der wir planen und Nahrungsmittel und diese Wellbleche verteilt haben, sind wir eigentlich jetzt vorbei. Wir versuchen jetzt, unser laufendes Programm in die Wiederaufbauphase zu integrieren mit dem Schwerpunkt Ernährungssicherung, was wir auch vorher schon gemacht haben, Landwirtschaft. Wir haben auch im Programm vor allem den Wiederaufbau von Schulen. Es wurden ja insgesamt fast 7.000 Schulen zerstört. Und wir sind da im Wiederaufbau, gemeinsam mit einer Spezialisten-NGO, die heißen Emergency Architekten und haben verschiedene Assessments durchgeführt von den Schulen und werden da sechs Schulen aufbauen. Außerdem gehen wir auch weiterhin in Trainings für Jugendliche, denn Nepal hat ja sehr, sehr viele Jugendliche und ist auch sehr stark betroffen von Migration. Und wir versuchen, den Jugendlichen einen Job zu vermitteln, vor allem auch im landwirtschaftlichen Bereich. Denn Landwirtschaft macht noch einen hohen Anteil des Bruttoinlandsprodukts aus, bis zu 30 Prozent.
Kapern: Nun gibt es noch eine weitere Einnahmequelle Nepals neben der Landwirtschaft, und das ist der Tourismus. Und der fehlt jetzt nach dem Erdbeben. Kann man, Frau Zilly, guten Gewissens Touristen dazu aufrufen, jetzt nach Nepal zu reisen, damit die Menschen im Land wieder eine Chance haben, Geld zu verdienen?
Zilly: Ja, unbedingt. Die Leute sind angewiesen auf das Geld, Tourismus macht ja auch einen großen Beitrag für das Land aus. Und die Kulturstätten sind eröffnet wieder, man kann sich also einige der ..., man kann sich das anschauen. Sicherlich, es ist vielleicht vom Gefühl her beängstigend, wenn man bedenkt, dass es noch Nachbeben gibt, aber die sind nicht so schlimm, als dass man nicht kommen könnte. Und ja, ich fordere schon dazu auf, dass Leute ins Land kommen.
Kapern: In den ersten Tagen nach dem Beben hat es Berichte über eine völlig überforderte Administration gegeben. Hat sich das mittlerweile geändert?
Zilly: Es hat sich etwas gelegt. Ich meine, am Anfang war ja das Ganze Land geschockt. Und natürlich auch die Leute in der Regierung. Es gab ja Mechanismen, die haben auch gegriffen, aber spät zum Teil. Und im Moment ist Nepal sehr beschäftigt politisch mit der Verfassung, die ist ja noch nicht verabschiedet worden, was auch ein bisschen den Prozess verhindert im Moment. ...
Kapern: Hallo?
Zilly: Jetzt war es gerade weg, Entschuldigung.
Kapern: Also die Verwaltung funktioniert mittlerweile ein bisschen besser in Nepal, sagen Sie?
Zilly: Genau, richtig. Es haben sich die anfänglichen Schwierigkeiten, auch schnell zu reagieren auf so ein großes Desaster, auf das ja im Prinzip keiner erst mal so vorbereitet war – es kam ja unheimlich überraschend. Man wusste zwar, dass so ein Desaster stattfinden kann, aber wann, ist natürlich immer unklar. Und Nepal ist gekennzeichnet von kleineren Katastrophen, die wiederholen sich jährlich, mit Überschwemmungen und Erdrutschen und so weiter. Aber mit solch einem Ausmaß waren natürlich viele überfordert.
Kapern: Nepal 100 Tage nach dem großen Erdbeben. Das war Barbara Zilly, die in Katmandu für die Welthungerhilfe versucht, den Menschen im Lande zu helfen. Frau Zilly, Danke, dass Sie heute Morgen Zeit für uns hatten. Und ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Arbeit in Nepal!
Zilly: Vielen Dank!
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