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100. Todestag Paul Ehrlich
Erforscher des Immunsystems

Sein wissenschaftlicher Ruf war so global wie sein Arbeitsgebiet, die Infektionen: Auf dem internationalen Medizinerkongress in London 1913 feierte man Paul Ehrlich als einen der größten Forscher der Welt. Am 20. August 1915, vor 100 Jahren, starb der Mediziner an einem Herzinfarkt.

Von Andrea Westhoff |
    Der deutsche Arzt und Forscher Paul Ehrlich sitzt zwischen riesigen Stapeln Papier.
    Der deutsche Arzt und Forscher Paul Ehrlich. (imago)
    Arzt, Serologe, Immunologe, sogar Chemiker – man findet verschiedene Berufsbezeichnungen für Paul Ehrlich. Und alle stimmen ein bisschen. Studiert hat er Medizin, aber von Beginn an arbeitet er eigentlich lieber im Labor als am Krankenbett. Das betont auch die große Paul-Ehrlich-Ausstellung im Medizinhistorischen Museum der Berliner Charité:
    "Sie werden auch in den Vitrinen immer wieder kleine Farbfläschchen entdecken, die für Ehrlich damals eben in dieser ersten Phase die größte Rolle gespielt haben."
    Färbung als Grundlage für Erkenntnisse
    "Ehrlich färbt am längsten", sollen seine Kommilitonen gewitzelt haben. Denn am liebsten experimentiert er mit den kurz zuvor entdeckten synthetischen Farbstoffen, um Gewebezellen und Krankheitserreger genauer zu untersuchen. Das ist Grundlage für alle seine späteren Erkenntnisse, sagt Museumsdirektor Professor Thomas Schnalke:
    "Er denkt also: Die Farbstoffe, wenn die schon in die Zelle können, könnte man doch eigentlich auch Farbstoffe zu Wirkstoffen ummünzen - mit therapeutischen Erfolgen."
    Zunächst allerdings verläuft der wissenschaftliche Weg des 1854 geborenen Paul Ehrlich recht holprig: Er arbeitet eine Zeit lang als Assistenzarzt an der Charité, geht für zwei Jahre mit seiner Familie nach Ägypten, um seine Tuberkulose auszukurieren, und werkelt schließlich in seinem privaten kleinen Labor. Erst 1891, als Robert Koch ihn an sein neu gegründetes Berliner Institut für Infektionskrankheiten holt, kann er sich ganz seinen immunologischen Forschungen widmen, der Wirkung von Toxinen und körpereigenen Gegengiften. Zusammen mit Emil von Behring arbeitet Ehrlich an einem Heilmittel gegen die gefährliche Kinderkrankheit Diphtherie:
    "Man hatte 1888 entdeckt, dass das Diphtheriebakterium ein Gift produziert, das die Krankheit verursacht."
    Behring hat das Anti-Toxin gegen das Diphtheriegift entdeckt, aber erst dank Ehrlichs akribischer Versuchsreihen entsteht daraus ein wirksames und vor allem massenweise herstellbares Heilserum:
    "1894 wurde das Diphtherieheilmittel eingeführt und da ist auch noch Ehrlichs Name explizit erwähnt, während der später ja oft dann auch hinten runterfällt und dieses Diphtherieheilmittel vor allem ja Behring zugeordnet wird."
    Was Ehrlich noch jahrelang mit tiefer Bitterkeit erfüllt. Auch um den Streit zwischen den beiden großen Forschern zu beenden, bekommt Paul Ehrlich 1896 eine eigene Forschungsstätte, das Institut für Serumforschung und Serumprüfung. Damit zieht er dann 1899 nach Frankfurt am Main und legt so den Grundstein für das heute weltberühmte Paul-Ehrlich-Institut.
    "Zum Erfolg braucht man vier G's: Geduld, Geschick, Geld und Glück."
    So lautet Ehrlichs Arbeitsmotto. Tatsächlich kommt für ihn in diesen Jahren alles zusammen: Mit Geduld entwickelt er aus der Arbeit am Diphtherieserum seine sogenannte "Seitenkettentheorie" über die Funktion des menschlichen Immunsystems. Einige Details sieht man heute zwar etwas anders ...
    "... aber die Grundidee quasi hat Ehrlich damals schon ganz richtig erkannt, für die er später dann den Nobelpreis bekommt."
    Nobelpreis im Jahr 1908
    Und zwar den für Medizin, 1908, zusammen mit dem russischen Forscher Ilja Metschnikoff. Paul Ehrlich ist außerdem ein geschickter Netzwerker, würde man heute sagen: Er arbeitet mit Wissenschaftlern aus der ganzen Welt zusammen, pflegt gute Kontakte zur Industrie und gewinnt Sponsoren für sein Forschungsinstitut in Frankfurt. Hier widmet er sich nun vor allem der Suche nach der sogenannten Zauberkugel, nach synthetischen Arzneimitteln, die direkt und ausschließlich den Krankheitserreger angreifen.
    "Wir müssen zielen lernen, chemisch zielen lernen."
    Die erste dieser Chemotherapien, wie Ehrlich sie selbst nennt, ist ein Mittel gegen die Syphilis, das Salvarsan, das 1910 auf den Markt kommt. Das entfacht allerdings einen überaus heftigen Streit, in dem auch Ressentiments gegen den jüdischen Wissenschaftler spürbar werden. Man wirft ihm mangelnde medizinische Sorgfalt und vor allem Bereicherung vor. Die Anschuldigungen kann Ehrlich in mehreren Prozessen zwar entkräften, aber sie zehren an seiner Gesundheit – allerdings auch die mehr als 20 Zigarren täglich.
    Als er 1914 doch noch den ersehnten ordentlichen Lehrstuhl an der neuen Frankfurter Universität bekommt, ist Paul Ehrlich schon sehr krank. Er stirbt mit 61 Jahren am 20. August 1915 an den Folgen eines schweren Herzinfarkts.