"Die Musik lebt in der Bewegung der Wasser, im Wellenspiel wechselnder Winde; nichts ist musikalischer als ein Sonnenuntergang!"
Als Claude Debussy 1903 diese Worte notiert, reift in ihm gerade die Idee von "La Mer" – sinfonischen Skizzen über das Meer. Er ist Anfang vierzig und fühlt sich als Komponist verpflichtet, neue musikalische Perspektiven zu suchen. Professor Bernd Goetzke von der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover.
"Debussy hat selbst beklagt, dass er das zu spät verstanden hat, dass die Natur unsere wichtigste Inspirationsquelle als Komponist sein müsste. Er war kein religiöser Mensch, aber wenn er vor einem Sonnenuntergang stand oder vor dem Meer, dann war das für ihn so etwas Ähnliches wie eine religiöse Andacht."
Kompromisslos im Leben und in der Musik
Debussy wird am 22. August 1862 geboren und wächst in Paris auf. Im Elternhaus spielt das Musische keine Rolle. Eine Schule besucht er nicht. Aber dank einiger Mäzene wird er als Zehnjähriger zum Klavierstudium am Pariser Konservatorium angenommen. Bald zeigt sich, dass sein Drang zur Musik nur schwer mit akademischen Konventionen vereinbar ist.
"Er wollte einfach komponieren. Sein innerer Kompass war auf diesen Leitstern ausgerichtet. Das machte ihn natürlich überhaupt nicht einfach. Aber er muss unglaublich anregend im Gespräch gewesen sein. Er hatte eine wunderbare Ironie, die allerdings manchmal auch in Richtung Sarkasmus ging. Aber er musste mit jemandem vertraut sein. Wenn er das nicht war, blieb er stumm wie ein Fisch. Und Smalltalk gab's bei ihm nicht."
Auch in der Musik ist Debussy kompromisslos, vor allem bei eigenen Werken. Immer wieder überarbeitet er sie. In den Jahren nach 1900 formuliert Debussy seine Vorstellungen auch in Musikkritiken, die er unter dem Pseudonym "Monsieur Croche" schreibt:
"Auf jeden Fall versuche ich, die gängige Musik zu vergessen, weil sie mich daran hindert, jene zu hören, die ich noch nicht kenne oder erst 'morgen' kennen werde."
Debussys Oper polarisierte
Auf der Pariser Weltausstellung von 1889 hatte Debussy die Pentatonik der außereuropäischen Musik kennen gelernt. Seither spielt sie in seinen Ideen einer "Musik von morgen" eine Rolle. Über die diskutiert er mit Erik Satie und Paul Dukas, aber auch mit Literaten wie Stéphane Mallarmé, Pierre Louÿs und Maurice Maeterlinck.
Mit der Uraufführung seiner einzigen vollendeten Oper "Pelléas et Mélisande" polarisiert Debussy 1902 die Pariser Musikwelt. Befürworter loben den freien Umgang mit Sprache. Gegner kritisieren die vermeintlich regelwidrige Verwendung von "Melodie, Harmonie und Rhythmus".
Er selbst bemerkt dazu: "Gibt es ein Gesetz, das den Komponisten daran hindert, diese drei Elemente in ein anderes Mischungsverhältnis zu bringen? Ich glaube nicht."
Jahrelang hat Debussy an "Pelléas et Melisande" gefeilt. Es ist ein Prozess der Selbstfindung, in dem er sich auch am übergroßen Vorbild Richard Wagner abarbeitet.
Bis zuletzt plagen Debussy finanzielle Sorgen
"Debussy fühlte sich in einer Falle, aber er liebte Wagner. Dann besann er sich auf seine französischen Wurzeln, auf Rameau und Couperin, und sagte, da ist etwas im Wesen der Musik, was ich in mir spüre, und die neue Musik, die ich schreiben werde, wird diese Wurzeln nicht verleugnen."
In den letzten Lebensjahren rücken Klavierwerke und Kammermusiken stärker in den Fokus, in denen er seine formale Vielfalt und seine innovative Harmonik noch einmal verfeinert. Debussy stirbt am 25. März 1918. Bis zuletzt plagen ihn finanzielle Sorgen - auch, weil er sich dem musikalischen Mainstream nicht unterwerfen will. Gerade das macht ihn zu einem Wegbereiter für die Musik des 20. Jahrhunderts.