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100. Todestag von Engelbert Humperdinck
Der ewige "Ein-Werk-Komponist"

Engelbert Humperdinck gelangte mit seiner Oper "Hänsel und Gretel" zu weltweitem Ruhm. Noch heute wird der Komponist oftmals – und zu Unrecht - auf das "Weihnachtsmärchen" reduziert. Vor hundert Jahren ist der musikalische Ziehsohn Richard Wagners gestorben.

Von Stefan Zednik |
    Ein Bild eines Mannes mittleren Alters mit runder Brille und großen, weit schwingendem Schnurrbart.
    Engelbert Humperdinck ließ sich am 1. Mai 1892 so fotografieren (imago images / Mary Evans)
    "Hilf, hilf bitte, und mach mir etwas recht Hübsches, Volkstümliches! Es ist dies mein wohlgelungenstes Werkchen und so recht mein Lieblingskindchen."- Diese Aufforderung Adelheid Wettes, der Schwester Engelbert Humperdincks, ist der Geburtsmoment von "Hänsel und Gretel". Das "Familienübel", wie sein Schöpfer es nannte, eroberte nach der Weimarer Uraufführung durch Richard Strauss 1893 die Bühnen der Welt im Fluge.
    Komponist Engelbert Humperdinck und seine Villa auf einer historischen Fotografie. 
    Buch über Engelbert Humperdinck - "Märchenerzähler und Visionär"
    Ein "One-Hit-Wonder" könnte man ihn nennen: den Komponisten Engelbert Humperdinck. Seine Oper "Hänsel und Gretel" machte ihn weltweit berühmt, überstrahlt jedoch bis heute seine anderen Werke. Anlässlich Humperdincks 100. Todesjahres beleuchtet ein neues Buch dessen vielfältiges Leben und Schaffen – auch jenseits der Märchenoper.

    Studien in Köln und München

    Engelbert Humperdinck wird am 1. September 1854 als Sohn eines Gymnasialdirektors und einer Kantorentochter in Siegburg geboren. Der Vater erweckt bei dem Jungen das Interesse an klassischer Literatur, die Mutter vermag vor allem die musikalischen Neigungen zu fördern. Nach Abschluss der Schule gelingt es Engelbert, die anfänglichen Widerstände des Vaters gegen die Musik zu überwinden, er beginnt ein Studium der Komposition am Konservatorium in Köln. Der Preis der Frankfurter Mozartstiftung für junge Komponisten ist die erste einer Reihe von auch finanziell wichtigen Auszeichnungen. In München setzt er seine Studien an der Königlichen Musikschule fort und lernt den Großmeister jener Tage kennen: Humperdinck, der begeisterte Wagnerianer, spricht bei Richard Wagner vor und erhält bald die ersehnte Antwort.
    "Junger Freund, hätten Sie nicht Lust, nach Bayreuth zu kommen? Es gäbe dort allerlei für Sie zu tun, was Ihnen vielleicht Spaß machen würde.

    Von Richard Wagner fasziniert - und ausgenutzt

    Humperdinck wird Assistent bei Wagners letztem großen Projekt, dem "Parsifal"- redigiert, instrumentiert, korrigiert, bereitet Aufführungsmaterial vor, und die ein oder andere kompositorische Detailarbeit ist nachgewiesenermaßen von ihm. Wagner wusste Menschen stets ebenso zu faszinieren wie zu nutzen, um nicht zu sagen auszubeuten. So ist der 28-jährige Humperdinck einerseits beseelt, andererseits nicht ganz glücklich auf dem Grünen Hügel, denn er sehnt sich nach: "... künstlerischer Freiheit, in der ich frei vom Banne wenn auch genial großartiger, aber doch nicht eigener Ideen wieder einmal mein eigenes Ich aussprechen kann."

    Späte künstlerische Emanzipation von Wagner

    Mit Wagners Tod 1883 findet er diese Freiheit, und er probiert sich aus: als Kapellmeister in Köln, als musikalischer Gesellschafter des Industriellen Krupp, als Musikkritiker, als Hochschullehrer an verschiedenen Konservatorien, als Lektor im Mainzer Schott-Verlag. Doch erst spät gelingt es ihm, sich von seinem musikalischen Ziehvater auch künstlerisch zu befreien. Zehn Jahre nach Wagners Tod schafft er den Durchbruch als Komponist.
    Bei dem Musik- und Musikbuchverlag Schott Music wird am 17.12.2015 in Mainz (Rheinland-Pfalz) ein altes Notenblatt ausgestellt, welches der Komponist Ludwig van Beethoven zu seinen Lebzeiten seinem Lektor mit Änderungsanweisungen (rot) zurückgeschickt hatte.
    Auszeichnung vor 240 Jahren - Bernhard Schott: Der Herr der Noten
    Der Schott-Musikverlag ist seit 250 Jahren erfolgreich. Dessen Gründer Bernhard Schott erkannte schon früh die Zeichen der Zeit und produzierte Notenwerke als Kupferstich für das musikbegeisterte Bürgertum. 1780 erhielt er für seine Handwerkskunst durch den Mainzer Kurfürsten eine besondere Auszeichnung.
    "Hänsel und Gretel" ist ein Sensationserfolg, die Oper verschafft Humperdinck finanzielle Unabhängigkeit. Er widmet sich längere Zeit fast ausschließlich dem Komponieren, im Feld der Oper befasst er sich viel mit Märchen. Und schafft die seinerzeit ebenfalls erfolgreichen "Königskinder" und ein "Dornröschen".

    Ein letzter Romantiker?

    Er selbst hielt das "Kinderstuben-Weihfestspiel", wie er "Hänsel und Gretel" selbstironisch mit Bezug auf Wagner bezeichnet, keineswegs für sein bestes Stück, schätzt spätere Werke durchaus höher ein. Die letzten zwanzig Jahre seines Lebens verbringt er als hochgeehrter Professor der Königlichen Berliner Musikhochschule meist fern der rheinischen Heimat. Engelbert Humperdinck stirbt am 27. September 1921 im mecklenburgischen Neustrelitz. Auch mit seiner – heute wenig bekannten – Zuneigung zum Lied ist er einer der vielleicht letzten Vertreter einer musikalischen Romantik.