
"1001 Nacht" eröffnet einen riesigen Erzählkosmos mit selbstbewussten Frauen, fiesen Dämonen, exzessiven Partys, reisenden Händlern, Familienintrigen und Mordkomplotten.
Die ältesten erhaltenen arabischen Fragmente stammen aus dem 9. Jahrhundert, es gibt noch frühere indische und persische Elemente. Die Verfasser sind anonym. So muss niemand mit seinem oder ihrem Namen für die teils gewalttätigen und freizügigen Inhalte geradestehen. Für die Aufnahme in die Sammlung gab es nur ein Kriterium: Spannung!
Schahrasad als Erfinderin des Cliffhangers
Schahrasad erzählt um ihr Leben – und wir hören zu. Eine intelligente junge Frau tritt mit dem Versprechen an, Nacht für Nacht eine noch aufregendere Geschichte zu erzählen. So will sie ihr Leben retten, sowie das aller Frauen im „Inselreich von Indien und China“. Denn dort herrscht der grausame König Schahriyar und bringt jeden Morgen eine Frau um. Die mutige Schahrasad begibt sich freiwillig in seine Hände, um das Morden zu beenden. Und sie nimmt ihre Schwester Dinarasad mit.
Schahrasad erfindet die Prototypen des Cliffhangers, lange bevor es den Begriff überhaupt gibt. Storytelling aus dem 10. Jahrhundert trifft Hörbedürfnisse des 21. Jahrhunderts: „1001 Nacht“ ist gewissermaßen die Mutter aller Serien. Und vielleicht sogar aller Podcasts?
Das waren unsere Überlegungen, als wir vor fast zwei Jahren Claudia Ott besuchten, die Übersetzerin von „Tausendundeine Nacht“, um uns mit ihr intensiv über das Werk auszutauschen.
Schahrasad agiert schließlich wie ein richtig guter Host, der Folge für Folge in Bann zieht. Jeden Morgen unterbricht sie ihre Erzählung und verspricht eine noch spannendere Fortsetzung. Geschickt verwebt sie die Geschichten und hält ihr Publikum in Atem.
Vier Monate im Hörspielstudio
Für unseren Podcast haben wir das weitergedacht: Schahrasad spricht die Zuhörenden direkt an, während der König Schahriyar und die Schwester Dinarasad in den Hintergrund treten. So rückt der Geschichtenkosmos von 66 ausgesuchten Nächten ganz nah.

Die Auswahl hat für uns die Dichterin Safiye Can getroffen, anschließend hat die Hörspielregisseurin Judith Lorentz den Text für die Studioaufnahmen bearbeitet. Wochenlang kam die Schauspielerin Roxana Samadi als Schahrasad ins Hörspielstudio, um gemeinsam mit Judith Lorentz eine ganz eigene Erzählweise vor dem Mikrofon zu entwickeln: unmittelbar, lebendig, intim.
Alle Verse und Sprichwörter sind zweisprachig auf Deutsch und Arabisch (gesprochen von Susana AbdulMajid) inszeniert, das Original scheint immer wieder hindurch. Die Rahmengeschichte erzählt die Schauspielerin und Sängerin Jasmin Shakeri. Wir haben bewusst auf einen klassischen männlichen Erzähler verzichtet, um schon stimmlich eine neue Perspektive auf die gewalttätige Vorgeschichte zu ermöglichen.

Insgesamt ergeben alle Episoden rund 8 Stunden Hörspiel. Die Komposition und Musik für „1001 Nacht“ stammt von Philipp Johann Thimm mit der Perkussionistin Roshanak Rafani an Daf, Tombak und Bendir; Nabil Arbaain an der Oud; weitere Sounds von Rosaceae).

Fragen an 1001 Nacht
Was bedeutet es, sich im Jahr 2025 mit „1001 Nacht“ zu beschäftigen? Wie spricht eine Jahrhunderte alte Geschichtensammlung zu uns Menschen im 21. Jahrhundert? Wir haben uns viele Fragen gestellt, im Universum von „1001 Nacht“ recherchiert und zu neun Themen ausführliche Gespräche geführt.
Populär war „1001 Nacht“ immer, es gehört zu einer Unterhaltungs- und Bildungsliteratur, die aufgeschrieben wurde, um vorgetragen zu werden, ein Text zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Über Zeiten und Regionen hinweg entwickelt, bewegen sich die Erzählungen seit über 300 Jahren – seit der ersten Übersetzung ins Französische - auch zwischen Europa und arabischer Welt.
Längst hat sich die Geschichtensammlung verselbstständigt. Einige Figuren und Motive werden immer wieder neu interpretiert und angeeignet. Die Zahl „1001“ ist zur Chiffre für eine große Menge geworden, „1001 Nacht“ selbst steht für alles Geheimnisvolle und Luxuriöse aus „dem Orient“, häufig stereotyp.
Die berühmteste Geschichtenerzählerin der Welt
Schahrasad – Scheherazade – Schehersad… die verschiedenen Schreibweisen im Deutschen spiegeln auch ein Stück Übersetzungsgeschichte. Je nachdem, ob der ursprünglich persische Name Schahrasad eher persisch oder arabisch interpretiert wird, und je nachdem, ob er in eine französische, englische oder deutsche Aussprache übertragen wird, ergeben sich unterschiedliche Schreibweisen. Gemeint ist jedoch stets die gleiche Heldin.
Mit seinem soziologischen Blick erläutert der Islamwissenschaftler Reinhard Schulze, dass Frauen in der muslimisch-arabischen Welt des 8. Jahrhunderts durchaus Zugang zu Bildung hatten, vor allem in der Weltstadt Bagdad. Insofern hat Schahrasad eine historische Basis. Die Figur ist glaubwürdig, und das musste sie auch sein, um überhaupt so populär werden zu können.
Auch der islamische Theologe Ali Ghandour weiß die Geschichten historisch einzuordnen und mit bestimmten theologischen Konzepten abzugleichen. Die Rolle des Schicksals etwa, oder die Freizügigkeit vieler Geschichten. Für ihn erzählt „1001 Nacht“ als Quelle auch von muslimischem Alltag, davon, wie Menschen ihren Glauben lebten.
Wenn auch einige Motive und Geschichten älter sind als der Islam, hat sich das Werk doch wesentlich in verschiedenen arabisch-muslimischen Reichen entwickelt. Das war für uns ein Beweggrund, den Podcast mit Beginn des Ramadan 2025 zu veröffentlichen.
Ich werde nicht eher gehen, als bis ich die Geschichte der anderen gehört habe.
So heißt es immer wieder in „1001 Nacht“. Laufend werden Figuren dazu aufgefordert, ihre Geschichte zu erzählen, manchmal unter Androhung einer Todesstrafe. Manchmal retten sie dadurch das Leben eines anderen, manchmal erzählen sie aus reiner Lust an bizarren, dramatischen, witzigen Geschichten. Das Werk ist ein starkes Plädoyer für aufregendes Erzählen - und für das Zuhören.
1001 Nacht
Nach der Neuübersetzung von Claudia Ott
Auswahl der Geschichten: Safiye Can
Hörspielbearbeitung und Storytelling: Judith Lorentz und Roxana Samadi
Mit Roxana Samadi, Jasmin Shakeri und Susana AbdulMajid
Besetzung: Kathi Bonjour
Regieassistenz: Vanessa Gräfingholt und Delia Lang
Expertin für Arabisch: Heba Tebakhi
Übersetzung und philologische Beratung: Claudia Ott
Copyright der Übersetzung: Verlag C. H. Beck
Redaktionelle Mitarbeit: Matthias Karow
Komposition und Musik: Philipp Johann Thimm
Weitere Musik: Roshanak Rafani (Daf, Tombak und Bendir), Nabil Arbaain (Oud) und Rosaceae
Ton: Andreas Stoffels und Susanne Beyer, sowie Alexander Brennecke, Frank Klein und Christoph Richter
Regie: Judith Lorentz
Dramaturgie: Sabine Küchler und Julia Tieke
Deutschlandfunk 2025
Auswahl der Geschichten: Safiye Can
Hörspielbearbeitung und Storytelling: Judith Lorentz und Roxana Samadi
Mit Roxana Samadi, Jasmin Shakeri und Susana AbdulMajid
Besetzung: Kathi Bonjour
Regieassistenz: Vanessa Gräfingholt und Delia Lang
Expertin für Arabisch: Heba Tebakhi
Übersetzung und philologische Beratung: Claudia Ott
Copyright der Übersetzung: Verlag C. H. Beck
Redaktionelle Mitarbeit: Matthias Karow
Komposition und Musik: Philipp Johann Thimm
Weitere Musik: Roshanak Rafani (Daf, Tombak und Bendir), Nabil Arbaain (Oud) und Rosaceae
Ton: Andreas Stoffels und Susanne Beyer, sowie Alexander Brennecke, Frank Klein und Christoph Richter
Regie: Judith Lorentz
Dramaturgie: Sabine Küchler und Julia Tieke
Deutschlandfunk 2025

...und wir hören zu: im Podcast und im Radio
Bis zum 17. Mai: Jeden Montag bis Samstag eine Folge 1001 Nacht vor den 17 Uhr Nachrichten im Programm von Programm von Deutschlandfunk Kultur.
Am 29. März 2025 erzählen wir eine ganze Nacht lang hindurch: die Spezialnacht mit allen Hörspielfolgen und vielen Gesprächen drum herum, ab 19 Uhr 05 – kurz nach Sonnenuntergang - bis zum nächsten Morgen um 6 Uhr 55, wenn gerade die Sonne aufgegangen ist.