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103-jährige Büttenrednerin Anny Hamm
Die unermüdliche Närrin vom Bodensee

"Wenn ich den Narrenmarsch hör, dann juckt‘s bei mir" - Anny Hamm zeigt keine Anzeichen von Fastnachtsmüdigkeit. Seit Jahrzehnten feiert sie die närrische Tradition in der kleinen Stadt Überlingen am Bodensee. Dort tritt sie als Büttenrednerin auf - auch noch mit 103 Jahren.

Von Thomas Wagner |
    Beim Narrentreffen in Elzach präsentieren sich am 17.1.1999 die traditionellen Figuren der Narrenzünfte aus Rottweil, Oberndorf, Überlingen und Elzach: Federhannes, Schantle, Schuttig und Hänsele (l-r).
    Die Fastnacht hat in Überlingen eine lange Tradition - Anny Hamm hat sie lange begleitet. (dpa/picture alliance/Rolf Haid)
    "Augenblick, ich schlag‘s grade mal auf", spricht eine jüngere Dame zu ihrer Mutter. Die beteuert:
    "Brille? Ach, das ist groß genug. Das kann ich ohne."
    Eine geräumige Altstadtwohnung in Überlingen am Bodensee, dunkle Massivmöbel, auf dem Esszimmertisch stehen Kaffetassen aus wertvollem Porzellan: Anny Hamm blättert zusammen mit ihrer Tochter Roswitha das 40-seitige Manuskript durch, das vor ihr legt. Dass Anni Hamm keine Brille zum Vorlesen braucht, grenzt an ein kleines Wunder: Denn Anny Hamm ist 103 Jahre alt.
    "Die Leute, die da bei der Fasnet lande, die solltet au a Späßle verstanden. Und sich nicht wehre‘ und sich nicht sperre‘, wenn ‚se verhohnepielet wäre."
    "Ich war schon immer verrückt"
    Immer wieder liest Anni Hamm den Text laut vor. Jeder Satz muss sitzen. Denn heute, am Rosenmontag, ist ihr großer Tag. Die 103-jährige tritt vor das Publikum – als wohl älteste Büttenrednerin der Republik.
    Tochter Roswitha blättert derweil in einem Fotoalbum mit alten Schwarz-weiß-Bildern.
    "Hier haben wir ein paar Aufnahmen von der Überlinger Fasnacht", erklärt sie. "Die Anny Hamm, sie sieht man hier. Flott, so eine stattliche Person. Sie war immer gut aufgestellt. Und hier, im Jahr 1959, haben wir die Gruppe als Bananenpflücker."

    "Da kam mal ein Schlager: Komm, Mr. Delemann, Deleman Banana", erinnert sich Anny Hamm. "Und da haben wir Plantagenarbeiterinnen und –arbeiter gemacht, dann haben wir da eine Staude gehabt von eineinhalb Zentnern Bananen. Und da haben wir am Eingang, also an der Theke immer zuerst den Schlager gesungen: ‚Komm Mr. Deleman, Delemann Banana.‘"
    Kreativ, spontan, politisch
    Fasnacht früher und heute – das hat für die 103-jährige Anny Hamm aus Überlingen viel mit Einfallsreichtum und Spontanität zu tun. Und mit einem Reflex auf das, was einem gerade unter den Nägeln brennt, auch in der Politik: Der Narr, der der Gesellschaft den Spiegel vorhält. Tochter Roswitha zeigt auf eines der Bilder im Fotoalbum:
    "Hier, im Jahr darauf, also 1958, haben sie kalte Krieger gemacht. Man sieht sie auf dem Foto mit einem Schild." Ihre Mutter fährt fort:
    "Ja, auf jedem Schild stand ein Buchstabe. Und wenn man miteinander gelaufen ist, dann hieß das: Mir hont Angscht. Wenn ich den Narrenmarsch hör, dann juckt‘s bei mir. Schnurre gehen, das ist wunderbar!"
    Doch das "Schnurren", das Ziehen von Kneipe zu Kneipe, ist für die elegante alte Dame, die trotz ihrer 103 Jahre noch so kraftvoll und unternehmensdurstig wirkt, dann doch ein wenig beschwerlich. Dennoch bleibt sie leidenschaftliche Fasnachterin – als Büttenrednerin, seit nunmehr 16 Jahren:

    "Mir Überlinger sind als eigenwillig sehr bekannt. Mir dräset, mäkelet, maulet und bruttele. Und wer mit uns schaffe will, der braucht schon Kuttle…"
    "Viel Lachen ist die Hauptsache. Das hält jung"
    Die Verbundenheit mit der alemannischen Mundart klingt in jedem ihrer Verse durch. Und trotzdem: Anny Hamm denkt auch kritisch über den Wandel der Fasnacht nach: Vielen verstehen keinen Spaß mehr. Nehmen Vieles zu schnell persönlich.
    "Du konntest zu jedem sagen: Du bischt ein Simpel. Und der nimmt Dir das an der Fasnacht nicht krumm. So war’s früher. Aber heut – die Leute sind empfindlicher geworden, mimosenhafter. Die machen nicht mehr so mit, wie es sich gehört."
    Anny Hamm allerdings ist mit ihren 103 Jahren fest entschlossen, weiterzumachen, ‚wie es sich gehört‘, weil:
    "Viel Lachen ist die Hauptsache. Das hält jung. Und ich hätte gerne noch ein paar Jährchen drauf, wenn’s geht. Ich weiß ja auch schon, was ich das nächste Jahr mach, wenn ich noch kann. Aber das wird nicht verraten. Das könnt ja ein anderer nachmachen. Und das ist der Fasnetsruf von Überlingen: Juchu!"