Adalbert Siniawski: Kunstfreunde blicken gerade nach Kassel auf die 14. Ausgabe der documenta, oder nach Münster zu den 5. Skulptur Projekten. Doch wer blickt auf die documenta des Ostens?
Heute eröffnet die 11. Ostrale in Dresden - eine Kunstschau, die zwischen den Prunkbauten des ehemaligen Wertkulturerbes junge und aktuelle Kunstwerke aus aller Welt zeigt. Eine Ausstellung, die - und das ist den Machern wichtig - leicht zugänglich ist und ein breites Publikum ansprechen soll, und dennoch ums Überleben kämpft.
25.000 Besucher werden ab heute in Dresden erwartet, die sich die gut 1.100 Werke auf dem ehemaligen Schlachthofareal Ostragehege - deswegen der Name Ostrale - ansehen können. Künstler, Co-Kurator und der kulturpolitische Sprecher ist Detlef Schweiger. Willkommen zum Corsogespräch.
Detlef Schweiger: Guten Tag nach Köln.
Siniawski: Um ein Beispiel aufzugreifen aus der Ausstellung: Der Spanier Fernando Sánchez Castillo türmt 2.500 kleine graue Soldatenmännchen auf ein Podest, inspiriert von dem Bild des DDR-Soldaten, der 1961 als Erster über die im Bau befindliche Berliner Mauer in den Westen flüchtete. Die Besucher sollen seine Mauerspringer mitnehmen und Fotos davon posten. Dieser Appell für offene Grenzen in Zeiten der zunehmenden Abschottung - eine Provokation?
Schweiger: Ja selbstverständlich. Kunst soll und muss provozieren, wobei diese Provokation auch einen sehr großen Unterhaltungswert hat. Die 2.300 Einzelfiguren dieser Installation - um es genau zu sagen - sind also miteinander zu einem wüsten Figurenbündel zusammengefasst und eben in ihrer Statik, wie sie da in der grauen Farbe zusammengefasst sind, auch einen - sagen wir mal - etwas lustigen Eindruck, wobei dieses Thema schon auf jeden Fall ein ernstes ist. Und die Aktion quasi, die Interaktion, die mit dem Publikum vorgenommen werden soll, ist auch quasi die Aufforderung, sich aktiv mit diesem Kunstwerk auseinanderzusetzen.
"Die Internationalität spielt eine ganz große Rolle"
Siniawski: Also die Ostrale will auch unterhalten?
Schweiger: Ja. Das auf jeden Fall. Wir werden unter dem Thema "re_form", wobei man dazu sagen muss, wie es geschrieben ist, nämlich klein und zwischen re und form ein Unterstich, der also einen anderen, weiter gefassten geistlichen Rahmen aufzeigt, dennoch Bezug nimmt zum Jubiläumsjahr der Reformation von Luther, hat auf jeden Fall ganz verschiedene Aspekte dieses Themas untersucht und dabei sind also auch sehr interessante Arbeiten, die sich mit dem Thema auch kurios auseinandersetzen. Und wir haben da also eine riesige Bandbreite auch mit nahezu allen Genres der bildenden Kunst.
Wir haben noch länger mit Detlef Schweiger gesprochen -
Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
Siniawski: Reform, sagen Sie. Es geht auch, wie man lesen kann, auch um die Reform der künstlerischen Auseinandersetzung. Die Ostrale will Raum für grenzüberschreitende Projekte schaffen, eine offene Kulturlandschaft entwickeln, in der sich unterschiedliche Künstler im Dialog begegnen. Ich frage mich da: Wie geht das zusammen in einer Stadt, in der Pegida und AfD immer noch zu Hunderten gegen eine offene Kulturlandschaft auf die Straße gehen?
Schweiger: Ja, also Dresden als Kunststadt ist bekannt, und da gibt es also auch ein breites Publikum, die für die zeitgenössische Kunst sehr offen und interessiert sind. Und dazu gehören unter anderem - das ist auch ein Eigenmerkmal der Ostrale - viele, viele Schüler. Voriges Jahr hatten wir 465 Schulklassen aus ganz Sachsen mit über 9.000 Schülern, also im erweiterten Kunstunterricht, die quasi die Ostrale auch als so eine Art Kunstabenteuerspielplatz wahrnehmen. Und das darf man nicht vergessen, also Pegida nimmt in den Medien sehr viel Raum ein - und das ist auch sehr, sehr ärgerlich für das Selbstverständnis der Dresdner - aber die Ostrale steht für Weltoffenheit und Internationalität und feiert das auch gerne mit vielen, vielen internationalen Gästen, mit internationalen Kooperationen. Also das spielt hier eine ganz große Rolle, die Internationalität.
"Der Independent-Charakter ist schon noch da"
Siniawski: Und Veranstaltungsort sind zum letzten Mal, muss man sagen, noch die ehemaligen Erlwein-Schlachthöfe am Messegelände: Improvisierte Räume ohne Klimaanlage und angemessene Beleuchtung - ein Gerhard Richter würde vermutlich seine Werke dort nicht aufhängen. Soll er aber vielleicht auch nicht, oder?
Schweiger: Also, dessen Versicherung könnten wir schon mal gar nicht bezahlen, denn, ich sag mal, der ursprüngliche Independent-Charakter, mit dem die Ostrale ja begonnen hat, der ist schon im Geist und für das, was wir vorstellen wollen, schon noch da. Die - sagen wir mal - Superstars in der bildenenden Kunst, hätten wir durchaus gerne den ein oder anderen da. Aber da sind eben die finanziellen Möglichkeiten nicht gegeben. Das ist aber nicht so schlimm, weil wir wollen gerne Künstler vorstellen, die bei uns in das Konzept passen, die - sagen wir mal - auch ein bisschen pfiffige Kunst mitbringen und interessante, erlebnisorientierte Kunst dabei haben.
"Die Existenz ist noch nicht abgesichert"
Siniawski: Sie sprechen über die Finanzen. Ihre Kunstschau musste zuletzt um die Existenz bangen. Die Stadt deckte den Finanzierungsbedarf nur zu etwa einem Viertel. Und wenn man sich das jetzt mal vergegenwärtigt: Den knapp 60.000 Euro für die Ostrale stehen zum Beispiel knapp 17 Millionen Euro für die weitere Restaurierung des Dresdner Residenzschlosses gegenüber. Was sagen Sie zu diesem Missverhältnis?
Schweiger: Eigentlich waren wir davon ausgegangen, es kann dieses Jahr keine Ostrale stattfinden. Dann hat es aber doch eine Möglichkeit über den Oberbürgermeister gegeben, der dann auch mit dem Stadtrat das beraten hat. Und wir haben einen Stadtratsbeschluss, der mit 100 Prozent der Stimmen das Fortbestehen der Ostrale am Originalschauplatz beschlossen hat. Und es hat auch eine kleine finanzielle Erhöhung gegeben, auf 82.000 Euro. Das sind also kleine, positive Zeichen, die allerdings die Existenz der Ostrale immer noch nicht absichern.
Siniawski: Und dieser Jahrgang wurde ja nur möglich, realisiert zu werden, dank finanzieller Unterstützung aus der privaten Wirtschaft. Warum ist die Stadt so kniepig, warum hält sie sich so zurück, wenn sie die Ostrale doch so gerne mag?
Schweiger: Ein Großteil der Dresdner mag die Ostrale. Und es gibt aber auch Kritiker. Und da wird einfach - sagen wir mal - der Charakter der Ostrale, einfach nicht so akzeptiert. Es gibt einige, die würden die Ostrale gern selbst machen und dann ganz anders. Und es gibt auch Gegner der Ostrale, die die Ostrale überhaupt nicht in Dresden haben wollen. Ich kann nur spekulieren, was die Gründe sind. Sie werden uns nicht so direkt ins Gesicht gesagt, das ist nicht ganz genau einzuschätzen von mir hier.
"Wir sind auf der Suche nach Interimsräumen"
Siniawski: Den Ort und die Schau fanden manche Kunstkritiker ja bisher stimmig, dort in den ehemaligen Schlachthöfen am Messegelände. "Die eigentlich nicht für die Kunst gedachten Gebäude bieten einen charmanten Rahmen für die zeitgenössische Kunst" - Jetzt, wenn Sie dann zurück nach Dresden kommen, im nächsten Jahr oder im Jahr danach, werden Sie diesen Charme wiederfinden?
Schweiger: Erst mal müssen wir hoffen, dass überhaupt saniert wird. Wir gehen davon aus, dass auch 2019 noch keine Bespielung dieser Räume wieder stattfinden kann. Wir sind auf der Suche nach Interimsräumen, zusammen mit der Stadt Dresden. Was die Sanierung betrifft, haben wir unseren Einfluss in der Weise schon geltend gemacht, dass also der der Charme im Wesentlichen bestehen bleibt, das lässt sich architektonisch alles machen. Der Grundcharakter soll erhalten bleiben.
Siniawski: Künstler und Co-Kurator Detlef Schweiger zur elften Ostrale in Dresden, die heute beginnt und bis zum ersten Oktober dauert. Viel Erfolg für die Zukunft und danke für das Gespräch.
Schweiger: Ich danke auch.
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