Viele Gerüchte und Geschichten kursieren über die frühen Lebensjahre von Osama bin Laden. Bei Auslandsaufenthalten in London soll er Fan des FC Arsenal geworden sein, mit regelmäßigen Besuchen im Stadion. Später in den Neunziger Jahren soll er sich in Saudi-Arabien ebenfalls dem Fußball gewidmet haben, schreibt der Nahost-Experte James M. Dorsey in seinem Buch "The Turbulent World of Middle East Soccer". "Bin Laden organisierte Spiele in seiner Heimat. Später predigte er am Rande von Turnieren und veranstaltete für die Kämpfer von al-Qaida eine Freizeitliga."
Al-Qaida, die Taliban oder der so genannte "Islamische Staat": In den Jahren nach 9/11 nutzten Terrororganisationen den Fußball zur Vernetzung und Mobilisierung. 2014 riefen Fundamentalisten im irakischen Mossul das Kalifat des IS aus, umrahmt von einem Koranzitierwettbewerb und einem Fußballspiel. Für die Rekrutierung von Kämpfern war auch der selbsternannte Imam Abu Otaiba verantwortlich. Dem Wall Street Journal gab er ein Interview:
"In die Moscheen können wir nicht mehr gehen. Da sind zu viele Agenten. Also gehe ich auf Fußballplätze. Wir nehmen die Rekruten mit zu unseren Ausbildungsfarmen. Durch Fußballspiele binden wir sie näher an uns."
"Dämonisierung des Westens war mit Fußball schwer möglich"
Andere Führer von Terrorgruppen sehen im Fußball ein Symbol des "gottlosen" Westens. Quellen legen nahe, dass sie Spiele unter strengen und widersprüchlichen Auflagen geduldet haben: Ohne Umarmungen zwischen Spielern, ohne Trikots mit Sponsorenlogos. Der österreichische Journalist Clemens Zavarsky hat für das Fußballmagazin Ballesterer zum Thema recherchiert.
"Eine Dämonisierung des Westens war mit dem Fußball schwer möglich. Weil eben viele der Kämpfer auch aus dem Westen kamen, und die Annehmlichkeit des Fußballschauens auch kannten. Bei Osama bin Laden zum Beispiel war es in Afghanistan so, dass der Fußball nur unter gewissen Regeln hat stattfinden können. Sie haben keine Haut zeigen dürfen, nur lange Hosen, nur lange Ärmel. Beim IS war es dann auch so, dass Jubeln verboten war, weil das hatte angeblich einen homosexuellen Touch. Der Schiedsrichter durfte nicht in die Trillerpfeife pfeifen, weil man dann Dämonen anlocken würde. Es waren wirre Regeln, die sie da aufgestellt haben. Mit dem Wissen aber, dass sie es nicht ganz verbieten können."
Zahlreiche Attentate im Umfeld von Fußballspielen
Der Sport für Rekrutierung und Zeitvertreib – aber auch als öffentlichkeitswirksames Anschlagsziel. Zum Beispiel die Selbstmordattentate des IS in Paris 2015, auch im Umfeld des Länderspiels zwischen Frankreich und Deutschland. Es gibt Dutzende weitere Beispiele.
2016 verbreitete sich ein Video aus Rakka, der damaligen "Hauptstadt" des IS in Syrien. Vor laufender Kamera wurden Männer mit verbundenen Augen hingerichtet. Sie hatten für einen lokalen Fußballklub gespielt. Im selben Jahr nahe Bagdad: Bei einer Pokalübergabe riss ein Selbstmordattentäter 41 Menschen mit in den Tod.
Vor allem der Irak ist seit Jahrzehnten durch Terror gezeichnet. Dennoch zeigte das irakische Fußball-Nationalteam 2007 herausragende Leistungen bei der Asienmeisterschaft. Nach dem Halbfinalsieg gegen Südkorea strömten Zehntausende auf die Straßen von Bagdad. Dann der Schock: Zwei Selbstmordattentäter töteten mehr als fünfzig Menschen. Clemens Zavarsky:
"Das irakische Nationalteam hat damals dann gesagt: Sie wollen das Finale nicht spielen, aus Respekt vor den Toten. Es haben sich dann sehr viele Eltern gemeldet, von toten Kindern. Oder Verwandte, die dann gesagt haben: ,Wir haben uns so gefreut, dass Ihr das Spiel gewonnen habt. Bitte spielt das Finale. Zu Ehren der Toten sozusagen. Der Irak hat das Finale dann gespielt und es auch gewonnen überraschenderweise. Das hat eine kurzfristige Euphorie entstehen lassen."
Fußballfeiern zwischen Euphorie und Angst
Irak, Pakistan, Afghanistan. In den ethnisch vielfältigen Staaten des Nahen und Mittleren Ostens bot der Sport seltene Möglichkeiten der Annäherung, vor allem im Chaos nach 9/11.
2013 gewann das afghanische Fußballnationalteam überraschend die Südasienmeisterschaft. Zum besten Spieler des Turniers wurde der afghanische Torwart Mansur Faqiryar gekürt, der als Kind von Flüchtlingen in Bremen aufgewachsen ist. "Von allen Gruppen wurden mir Erlebnisse berichtet von diesem Tag. Einer erzählte, dass er zum ersten Mal in Afghanistan beobachtet hat, dass bei einem Unfall die Leute nicht aufeinander losgegangen sind. Sondern: Es gab einen Unfall, sie sind ausgestiegen. Aber aus Freude lagen sie sich trotzdem in den Armen. Die haben gesagt: ,Ach komm, ist nicht so wild."
Die Willkommensfeier für die Mannschaft fand im Ghazi-Stadion von Kabul statt. Ende der Neunziger Jahre hatten die Taliban das Stadion für Hinrichtungen genutzt. 2013 wurde Mansur Faqiryar hier als Volksheld geehrt. Doch Freude kann in Afghanistan schnell in Angst umschlagen. Polizisten wendeten sich während der Feier an Faqiryar.
"Irgendwann hieß es: Wir können keine Sicherheit von irgendjemandem gewährleisten. Seht zu, dass die Mannschaft wegkommt. Das war am Ende die Durchsage: ,Verlasst so schnell wie möglich das Stadion. Weil Ihr gefährdet ja nicht nur euch, Ihr gefährdet alle Menschen hier.‘ Weil du hast keinen Überblick mehr. Keiner kann kontrolliert werden, keiner wird kontrolliert."
Sorgen um Zukunft in Afghanistan
Nach der Machtübernahme der Taliban vor wenigen Wochen ist an solche Fußballfeiern in Kabul nicht mehr zu denken. Zwanzig Jahre nach 9/11 und zehn Jahre nach der Tötung von Osama bin Laden kann Sport eine andere Rolle spielen: Die aus Afghanistan stammende Fußballerin Khalida Popal, die nun in Dänemark lebt, hat aus der Ferne die Evakuierung von mehr als einhundert afghanischen Sportlerinnen mitkoordiniert.
Sie sagt:"Ich mache mir große Sorgen um die Zukunft der Frauen. Die jüngeren Spielerinnen haben keine Erinnerungen an die Taliban-Herrschaft. Ich war neun Jahre alt, als die Taliban zum ersten Mal die Macht übernahmen. Ich durfte nicht mehr zu Schule gehen, und meine Mutter erhielt ein Arbeitsverbot. Das alles könnte sich nun wiederholen. Das haben viele Sportlerinnen schon auf dem Weg zum Flughafen gemerkt. Sie wurden belästigt, zum Teil geschlagen."
Khalida Popal hat durch den Sport ein großes Netzwerk geknüpft, mit Aktivisten, Menschenrechtlern und Juristen. Gemeinsam wollen sie den afghanischen Sportlerinnen nun helfen, um im Exil ein neues Leben aufzubauen.