Mark Desire führt durch die Flure des Office of Chief Medical Examiner an der First Avenue in Manhattan. Hier, in der Abteilung für forensische Biologie, untersuchen Rechtsmediziner alle sterblichen Überreste, die bei den Aufräumarbeiten des World Trade Centers am Ground Zero, knappe neun Kilometer entfernt, entdeckt wurden. Die mehr als 22.000 Proben – in erster Linie Knochen, Haare und Hautreste – lagern bis zur Untersuchung bei minus 80 Celsius.
Der Leiter des World-Trade-Center-Identifizierungsprojekts steht in der Schleuse vor dem DNA-Labor. Im Reinraumlabor analysieren Molekularbiologen die Proben und lesen aus ihnen die genetischen Informationen heraus, die Experten für eine Identifizierung benötigen.
Um die Proben vor Verunreinigungen zu schützen, hat sich Mark Desire Schutzkleidung angezogen. Er geht durch die Räume, in denen die sterblichen Überreste der New Yorker Opfer des 11. September 2001 untersucht werden.
Datenbank soll Klarheit schaffen
Mark Desire hatte am Tag des Anschlags Dienst. Noch bevor der zweite Turm der Twin Towers getroffen wurde, war der US-amerikanische Anthropologe auf dem Weg zur Unglücksstelle. Er hatte den Auftrag erhalten, die rechtsmedizinische Untersuchung am ersten Turm zu leiten. Bis dahin war noch nicht klar, dass es ein Terroranschlag war.
Für die Identifizierung kommen die Knochenfragmente, meist weniger als ein Kubikzentimeter groß, in eine Mühle. Aus dem Knochenmehl extrahieren die Genetiker dann die DNA. Die Ergebnisse gleichen sie mit der hauseigenen Datenbank ab, die permanent wächst - stets in der Hoffnung, Klarheit zu finden darüber, dass ein Zahn, ein Fingerknochen oder ein Stück aus einem Beckenknochen zu einer der bis heute vermissten Personen gehört. In diese Datenbank werden alle genetischen Profile und Informationen eingestellt, die den Forschern zu Verfügung stehen, auch Vergleichsproben von Angehörigen.
Mark Desire führt in einen ruhigen Raum.
"Es waren 2.753 Opfer bei den Anschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001. Davon haben wir bislang 1.635 identifizieren können."
Zunächst kommen klassische Methoden bei der Identifizierung zum Zug, etwa Fingerabdrücke, Zahnabdrücke, Röntgenaufnahmen, persönliche Gegenstände wie Ringe oder Tätowierungen. Ist eine Identifizierung damit nicht möglich, kommen genetische Markersysteme zum Einsatz. Dabei werden einerseits Variationen einzelner Basenpaare in einem DNA-Strang untersucht, sogenannte SNPs. Zum anderen suchen die Genetiker nach Wiederholungen bestimmter Basenpaare, sogenannte Short Tandem repeats, ebenso werden mitochondriale Sequenzen erstellt.
"Wir arbeiten weiter an der DNA-Identifizierung der Opfer. Vier Wissenschaftler arbeiten täglich - Vollzeit, sieben Tage die Woche – an dem World-Trade-Center-Projekt. Sie untersuchen aber keine neuen Knochen mehr, sondern analysieren Proben, die bereits genetisch untersucht wurden."
Alte Proben werden erneut untersucht
In den mehr als zwölf Jahren Arbeit seit dem Anschlag sind viele neue Analysemethoden hinzugekommen. Daher werden alle Proben, bei denen die Identifizierung in den ersten Jahren nicht sicher gelang, erneut untersucht, einige bis zu 15 Mal.
"Und wir waren sehr erfolgreich darin, auch noch genetische Profile aus Proben herauszufiltern, die vor fünf oder zehn Jahren noch als nicht analysierbar galten."
Mittlerweile können die Genetiker auch aus winzigen Spuren noch Erbgutreste sicher identifizieren. Und das sei mitunter sehr schwierig, so Mark Desire, denn das Knochenmaterial ist zerbrochen, zudem war es großer Hitze ausgesetzt, viele Proben wurden mit Kerosin und Löschwasser kontaminiert. All das hat der DNA zugesetzt, die meist nur noch in kleinen Teilen erhalten ist. Aber auch solche kleinsten Reste könnten die Forscher heute untersuchen. Der Erfolg gebe ihnen Recht.
"Vergangenes Jahr konnten wir drei weitere Opfer identifizieren, von denen wir bislang keine Spuren finden oder zuordnen konnten."
Noch ist immer noch nicht ganz klar, wie viele Opfer es tatsächlich waren, die Angaben der Hinterbliebenenvereinigung und die der New Yorker Polizei variieren. Fest steht nur, dass alle Seiten in engem Kontakt stehen. Und wenn eine Identifizierung sicher gelungen ist, können die sterblichen Überreste auch freigegeben werden.