Archiv

12. Hohenschönhausen-Forum
Warum Religionen attraktiv bleiben für die Politik

Speerspitze der Opposition oder Grundpfeiler des staatlichen Machtanspruchs? Das Verhältnis von Religionen zur Politik kann von einem Extrem zum anderen reichen. Beim 12. Hohenschönhausen-Forum in der Gedenkstätte in Berlin diskutierten Experten über Beispiele aus der Geschichte und der Gegenwart.

Von Norbert Seitz |
Wenn es um die Rolle von Religionen in Diktaturen geht, könnten zwei historische Beispiele nicht unterschiedlicher sein, das der katholischen Kirche während des Franco-Regimes in Spanien sowie jenes der Opposition von der protestantischen Kanzel in der DDR. Helge Heidemeyer, der neue Leiter der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen:
"Auf der einen Seite - Spanien - ist sie stabilisierend für die Diktatur, in der DDR war sie immer ein Unsicherheitsfaktor, einmal ein destabilisierendes Element, das in den 50er-Jahren sehr stark bekämpft wurde, und dann in den 80er-Jahren, als die Kirche oft direkt oder aber indirekt eine wesentliche Rolle zur Destabilisierung gespielt hat, weil sie oppositionellen widerständigen Gruppen Zuflucht unter ihrem Dach geboten hat."
Spanischer Katholizismus als Stütze des Franco-Regimes
Die enge Verflechtung von Kirche und Diktatur in der Zeit vom spanischen Bürgerkrieg 1936, der als Kreuzzug begriffen wurde, bis zum Ende der Franco-Diktatur 1975 ist ein historisch besonders abschreckendes Beispiel für sakrale Macht. Das spanische Episkopat geriet zum Garanten der Langlebigkeit des Franquismus. Birgit Aschmann, Historikerin und Lateinamerika-Forscherin an der Humboldt-Universität Berlin:
"Der Nationalkatholizismus zeichnete sich dadurch aus, dass es eben eine ganz enge Verbindung zwischen staatlichen und religiösen Elementen gab, also dass der Katholizismus im Grunde genommen die entsprechende Staatsreligion war, dass der Katholizismus privilegiert war, die katholische Kirche privilegiert im Erziehungssystem oder auch dadurch, dass die Publikationen nicht der Zensur vorgelegt werden mussten, im Grunde genommen in allen gesellschaftlichen Bereichen die katholische Kirche hoch angesehen und präsent war."
General Franco nimmt 1959 von der Tribüne des Präsidentenpalastes in Madrid eine Parade ab.
Militär und katholische Kirche als Garant für den Herrschaftsanspruch: General Franco im Jahr 1959 (dpa)
Auch wenn die katholische Kirche eine fundamentale Rolle bei der Stabilisierung des Regimes gespielt hat, so unterlag doch das System bis in die 1960er-Jahre Konjunkturen, bis es langsam erodieren sollte. Aschmann:
"Gerade auch mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil brach diese Legitimationsinstanz weg, weil nunmehr auch die offizielle katholische Kirche zu undemokratischen Systemen auf Distanz ging. Und nunmehr begann die spanische Kirche mehr und mehr zu einem Hort der Opposition gegenüber dem Franquismus zu werden."
Schutzraum und Wächteramt – die Landeskirchen in der DDR
Vom Machtanspruch der völlig diskreditierten katholischen Kirche ist im weitgehend säkularen Spanien von heute wenig geblieben. Wie die Kirche zum Schutzraum für Freiheit in einer Diktatur werden konnte, beweist das Gegenbeispiel in der DDR. Wirkten Gotteshäuser in Ostdeutschland eher wie Museen oder Architekturdenkmale, die aus der Zeit gefallen schienen, so spielten kirchliche Umwelt- Friedens- und Gerechtigkeitsgruppen beim Epochenbruch 1989/90 eine wichtige Rolle, auch wenn die Zahl der aktiven Kirchenmitglieder darunter verschwindend gering war.
Christian Halbrock stammt aus einer Mecklenburger Pfarrersfamilie. Von 1983 bis zum Mauerfall engagierte er sich in allen kirchlich beeinflussten Oppositionsgruppen – von "Schwerter zu Pflugscharen" bis zur Mahnwache an der Gethsemanekirche in Berlin. Der heutige Mitarbeiter in der Stasiunterlagenbehörde schildert, wie die protestantischen Landeskirchen in der DDR ihr Wächteramt wahrnahmen und mit der Losung "Opposition von der Kanzel" für eine Kultur des Andersseins standen:
"Der erste Faktor, der da eine Rolle spielt, ist die kirchliche Vielstimmigkeit. Allein schon der historisch gewachsene Pluralismus verschiedenster Gliedkirchen, der natürlich ein Kontrastprogramm ist zur doktrinären Einstimmigkeit von Partei und Massenorganisationen. Diese irritierende Vielstimmigkeit musste schon als suspekt wahrgenommen werden."
DDR-Bürger mit Transparenten vor der Gethsemanekirche 1989.
Die Gethsemanekirche in Ostberlin war ein wichtiger Treffpunkt für DDR-Bürger während der Wendezeit. (picture alliance / Chris Hoffmann)
"Endemischer Kirchenkampf" seit den 50er Jahren
Als Basis für kritische Geister, die gesellschaftliche Missstände anprangerten, fühlte man sich in Kirchenkreisen immer auch als diskriminierte Instanz. Christian Halbrock spricht von einem seit den 50er-Jahren einsetzenden "endemischen Kirchenkampf"; ein Kampf, der nicht richtig ausbricht, der aber ständig am Brodeln ist, sei es in der Auseinandersetzung um die "Junge Gemeinde" oder weil sich Kirchen weigerten, die Glocken für staatliche Anlässe läuten zu lassen. So bekamen die Kirchenvertreter gehörig ihre Probleme mit SED-Funktionären:
"Es war weniger der Umstand, dass sie ein Problem damit hatten, dass es kein demokratischer freiheitlicher Staat ist. Sondern, dass sie davon ausgingen, dass diese Funktionäre schlicht und einfach keine Manieren haben, dass sie sich an keine Abmachungen halten. Die physischen und verbalen Übergrifflichkeiten gegenüber Kirche waren allgegenwärtig. Über 40 große Kirchen wurden in Großstädten der DDR zerstört. Dies prägte das Bild, dass mit dieser Form von Obrigkeit schlecht zu verhandeln war."
Die politische Rolle des Evangelikalismus in Lateinamerika
Der religiöse Diskurs wird hierzulande von den Debatten um die Ausprägungen des Islam und dessen Integrations- und Demokratietauglichkeit sowie von den Missbrauchsfällen in der Katholischen Kirche beherrscht. Weithin verdrängt wird dagegen die wachsende Rolle von anderen Religionsgemeinschaften, zum Beispiel des Evangelikalismus in Lateinamerika, wo die Präsidentschaft Jair Bolsonaros in Brasilien die Bedeutung der Politik der Evangelikalen in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt hat. Sebastian Grundberger, Leiter des Büros Lateinamerika der Adenauer-Stiftung mit Sitz in Peru:
"Februar 2018: Fabricio Alvarado, ein Evangelikaler, Sänger und Prediger, gewinnt die erste Runde der Präsidentschaftswahlen in Costa Rica. Grund war seine zur Schau getragene Ablehnung der gleichgeschlechtlichen Ehe. Juni 2018: Andres Manuel Lopez Obrador, linker Präsidentschaftskandidat, gewinnt mit absoluter Mehrheit die Präsidentschaft in Mexiko, unterstützt von einer kleinen evangelikalen Partei. Und dann insbesondere – Oktober 2018 – Jair Messias Bolsonaro, ein rechter Kandidat, mit der expliziten Unterstützung von Pastoren und insgesamt allen evangelikalen Führungsfiguren."
In den Hintergrund der Religionsdebatten ist auch der zunehmende Einfluss des Hindu-Nationalismus in Südasien getreten. In Indien scheint dieser auf dem Weg zu einer Staatsreligion unterwegs zu sein. Dort herrscht seit Mai 2014 eine inzwischen bestätigte hindunationale Regierung. Die säkulare Verfasstheit des Megareiches wird unter ihr attackiert, die kulturelle Vielfalt in Frage gestellt.
Wird Indien zum Hindustan?
Die nationalistische Ideologie des Hindutums ist die Hindutva, die eine Vereinigung aller Hindus anstrebt unter Ausgrenzung von Muslimen und Christen. Clemens Jürgenmeyer arbeitet am Arnold-Bergsträsser-Institut der Universität Freiburg. Er ist ein intimer Kenner der indischen Verhältnisse. Dass das Land sich zu einem Hindustan entwickeln könne, mag er noch nicht so recht glauben:
"Ich glaube aber, dass die Tradition dessen, was man Hinduismus oder Hindukultur nennt, eben ihre extreme Heterogenität die beste Garantie dafür bildet, dass die Vorstellung einer homogenen Hindunation sich eben nicht durchsetzt. Die große Frage ist ganz einfach die: Was ist Hinduismus? Was sind die zentralen Elemente dieser Tradition? Und da wird es sehr schwer fallen, eine Antwort zu finden. Denn das Kennzeichen des Hinduismus ist ja gerade seine extreme Vielfalt."
Kirche nur in Europa auf dem Rückzug
Als Fazit bleibt, dass weltweit in vier von fünf Erdteilen die politische Kraft der Religion zunimmt. Nur in Europa ist sie eher auf dem Rückzug. Auch in Deutschland gehört die Zeit der Volkskirchen der Vergangenheit an. Eine fortschreitende Konfessionslosigkeit scheint kaum noch aufzuhalten. Denn die christlichen Kirchen haben ihre prägende Kraft weitgehend eingebüßt, die weltweiten Missbrauchsfälle in der Katholischen Kirche führten zu einer fundamentalen Erschütterung ihrer Glaubwürdigkeit. Thomas Großbölting, Historiker an der Uni Münster zieht ein weltumspannendes Resumee:
"Und wir sehen dann auf der einen Seite die russisch-orthodoxe Kirche beispielsweise, die den Nationalisierungskurs und auch den fremdenfeindlichen Kurs Putins unterstützt, wir haben evangelikale Gruppen in den USA, die in unterschiedlicher Couleur die jeweiligen Präsidentschaftskandidaten unterstützten und ein wichtiger Machtfaktor und Wählerfaktor für die Präsidentschaft Donald Trumps gewesen sind. Wir haben in verschiedenen Teilen Afrikas unterschiedliche religiöse Akteure, die im positiven wie im negativen Sinne aus ihrer Motivation heraus Demokratisierung befördern oder eben auch behindern."
Religionen bleiben für die Politik attraktiv
Der Autor der Erfolgsstudie "Der verlorene Himmel" spart auch nicht mit einer Begründung, weshalb die Religion für die Politik trotz aller Reputationsschäden kaum an Attraktivität verloren habe:
"Religion ist deswegen für die Politik so attraktiv, weil Religion eben tendenziell immer einen totalen Anspruch hat auf Lenkung der Welt, Erklärung der Welt, auf die Regulierung von Praxis der Bürgerinnen und Bürger und so weiter und so fort. Und da treffen sich eben der politische Anspruch in Demokratien, aber auch der politische Anspruch ebenso in Diktaturen mit dem, was Religionen aus ihrem Heilsverständnis heraus formulieren und tun."
12. Hohenschönhausen-Forum: Religionen in Diktatur und liberalem Rechtsstaat