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12 Jahre IG BCE
Der lange Marsch der Braven

Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, kurz IG BCE, war nie die Arbeitnehmergruppe, die mit Pauken und Trompeten gegen die Arbeitgeber polterte. Ihre Mitglieder verdienen gut und immer wieder kämpft die Gewerkschaft mit den Arbeitgeberverbänden für politische Projekte wie TTIP oder Fracking. Heute feierte sie ihr 125-jähriges Jubiläum.

Von Alexander Budde | 18.09.2015
    Mitglieder der IG BCE aus Hamburg, Niedersachen und Schleswig-Holstein demonstrieren am 25.03.2015 in Hamburg auf dem Hachmannplatz und halten ein Transparent mit der Aufschrift: "Schluss mit lustig! 4,8 %".
    Ein seltenes Bild: Mitglieder der IG BCE aus Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein demonstrieren. Die Gewerkschaft steht grundsätzlich in gutem Verhältnis zu den Arbeitgebern. (Axel Heimken/dpa)
    "Vor der Hacke ist es dunkel" – und prekär ist die Arbeit unter Tage auch. In den Gründungsjahren, Ende des 19. Jahrhunderts, schuften Bergleute 90 Stunden die Woche - doch das reicht nicht, um eine Familie zu ernähren. So rücken auch Frauen und Kinder zu Millionen und zum halben Lohn in die Fabriken ein. Arbeitsschutz, Krankenversicherung, Sozialhilfe gar für das Millionenheer der Industrieproletarier - in den Ohren der Bosse sind das Fremdwörter. Handwerker und Facharbeiter gründen ihre eigenen Sozialkassen, begegnen sich im Bildungs- und Sportverein, unterlaufen so die autoritäre kaiserliche Politik mit ihren Sozialistengesetzen.
    1930 organisiert der Farbrikarbeiterverband bereits rund 400.000 Beschäftigte in der Papier-, Chemie-, Gummi- und Konservenindustrie. Die Arbeitszeit ist Streitthema Nummer 1: 1959 wird im Bergbau weit vor anderen Branchen die 5-Tage-Woche-eingeführt. Der Öl-Boom Ende der Sechziger lässt die Bänder schnurren – die Steinkohleförderung ist da schon ein Auslaufmodell. An der Ruhr lassen kampfbereite Kumpel mit schwarzen Fahnen ihre Muskeln spielen. Die IGBE ertrotzt sich mehr Zeit für den Kohleausstieg, auch die Gründung der Ruhrkohle AG geht auf ihr Drängen zurück. Im Poker rivalisierender Reviere wurden nicht immer die unrentabelsten Zechen geschlossen.
    "Mein Ziel bleibt, wenn die geschichtliche Stunde es zulässt, die Einheit unserer Nation!"
    Helmut Kohl´s Blütenträume von der staatlichen Einheit reifen, die soziale Einheit aber bleibt nach dem Mauerfall 1989 erst mal aus. Überhaupt ist alles im Fluss: Traditionelle Industrien schrumpfen, Branchengrenzen lösen sich auf. Auch IG Chemie, IGBE und Ledergewerkschaft müssen mit der Zeit gehen. Mehr Schlagkraft durch Vereinigung: Auf dem Gründungskongress im Oktober 1997 küren sie Hubertos Schmoldt zum ersten Vorsitzenden der fusionierten Industriegewerkschaft IG BCE. Der gelernte Maschinenschlosser ist ein überzeugter Verfechter der Sozialpartnerschaft mit den Arbeitgebern, die andere Gewerkschafter gelegentlich als Schmusekurs schmähen.
    Überzeugte Verfechter der Sozialpartnerschaft
    "Die Reformen sind notwendig, sie müssen auf den Weg gebracht werden, aber sie müssen im Detail auch so sein, dass sie von denen, die sie tragen, als gerecht empfunden werden."
    Schmoldt setzt auf Kooperation: Auch im Streit um die Agenda 2010 lässt er den Gesprächsfaden zu Kanzler Schröder nicht abbrechen. IG-Metall und Verdi wollen dem "Genossen der Bosse" mit Protesten das Fürchten lehren. Schmoldt kann keine wesentlichen Korrekturen der Arbeitsmarktreformen durchsetzen, bleibt ein moderater Kritiker der rot-grünen Regierungspolitik - die Kameraden aber scheitern grandios.
    "Wir sehen Konflikte, Konfrontation und harte Auseinandersetzung wirklich als Ultima Ratio!"
    Betont auch Michael Vassiliadis, seit 2009 an der Spitze der IG BCE - auch so ein gut vernetzter Gewerkschaftschef im Nadelstreifen. Das Agitieren liegt den rund 700.000 Mitgliedern der Industriegewerkschaft nicht im Blut. Sie wirken überwiegend in größeren Betrieben, verdienen gut, verstehen sich als Leistungsträger einer Industrie, die im globalen Wettbewerb steht. Gelegentliche Allianzen mit den Wirtschaftsverbänden BDI und BDA gehören für Vassiliadis zum Handwerk: Unisono trommelt die Lobby für TTIP wie auch für die umstrittene Erdgasfördermethode Fracking.
    "Wir werden schrittweise bis Ende 2022 vollständig auf die Kernenergie verzichten."
    Die Katastrophe von Fukushima stellt die deutsche Energiepolitik auf den Kopf. Überhastet, bemerkt Vassiliadis, gehe Bundeskanzlerin Merkel die Energiewende an. Kohle sei für einen sinnvollen Energiemix neben Sonne, Wind und Wasser unverzichtbar, mahnt der Gewerkschaftschef. Die ursprüngliche Idee Sigmar Gabriels, den klimaschädlichen Kohlestrom mit einem Strafobulus zu belegen, um selbstgesetzte Reduktionsziele zu erreichen, hat Vassiliadis geräuschlos wegverhandelt.
    "Ich möchte jedenfalls eins nicht erleben: dass Deutschland in einem Weltmeister ist, nämlich im Aussteigen aus Technologien, sondern weiterhin Exportweltmeister bleibt, weiterhin ein soziales Land, in dem auch die Energiewende kein Umverteilungsprojekt wird!"
    Gewerkschaft zufrieden mit der Großen Koalition
    Nach dem Plan der IG BCE sollen die Konzerne statt jährlich 22 Millionen Tonnen Kohlendioxid nur noch die Hälfte einsparen, indem sie alte Kohlekraftwerke vom Markt nehmen, für Notfälle in Reserve halten und dafür eine Entschädigung bekommen. Der Staat legt zusätzlich eine Art Abwrackprämie für alte Heizungen auf. Für all das werden am Ende wohl wieder mal die Stromkunden zahlen.
    Die Gewerkschaften fahren gut mit der Großen Koalition, gibt sich Vassiliadis im Jubiläumsjahr versöhnlich. Strategien für den demografischen Wandel aber seien Fehlanzeige. Neue tarifliche Modelle, um flexibel auf Teilzeit zu wechseln, Altersfreizeiten für Schichtarbeiter ab 55, die Drei-Tage-Woche ab 62, Weiterbildung für die hochvernetzte Industrie 4.0 – daran arbeiten sie bei der IG BCE gerade.