Archiv

125. Geburtstag
Albert Renger-Patzsch - Fotografie als Erkenntnis-Instrument

Seine längst ikonischen  Naturaufnahmen, Architektur-Fotografien und Ruhrgebiet-Studien  bleiben bedeutsamer Beitrag zur Kunst der Neuen Sachlichkeit – und Beispiel universeller, zeitloser Fotografie. Vor 125 Jahren wurde Albert Renger-Patzsch geboren.

Von Carmela Thiele |
 Die Fotografie "Straße Essen-Stoppenberg, 1930 " (rechts im Bild) aus der Serie "Ruhrgebietslandschaft"von Albert Renger-Patzsch -hier 2018 hängend in einer Ausstellung im Ruhr Museum auf der Zeche Zollverein Essen
"Straße in Essen-Stoppenberg, 1930" von Albert Renger-Patzsch, hier im Jahr 2018 ausgestellt im Ruhr Museum Zeche Zollverein (picture alliance/dpa)
Leichtigkeit war seine Sache eigentlich nicht. Und dennoch brachte sie ihm Glück. „Die Welt ist schön“ hieß der Bildband, der den Fotografen 1928 schlagartig berühmt machte. Der Titel stammte nicht von ihm, sondern von einem der Herausgeber. Albert Renger-Patzsch war bis dahin ein in Fachkreisen anerkannter Dokumentations- und Werbefotograf.
Seine Sache war die Präzision – im Denken und Handeln. Die Pflanzen und Tiere, Landschaften und Gebäude, die er darstellte, gelten heute als Meisterwerke: aufgrund ihres Bildausschnitts und ihrer technischen Brillanz. Die frühere Leiterin der Fotografischen Sammlung des Folkwang Museums Essen, Ute Eskildsen.
„Renger-Patzsch war der Fotograf der Dinge. Und diese Auseinandersetzung mit dem Gegenstand, mit der Struktur, mit der Konstruktion der Gegenstände, der Gebäude, aber eben auch der Natur, prägte diesen Begriff der neusachlichen Fotografie.“

"Weder Kunst noch Handwerk"

Der Fotograf gehörte zu jener Generation, die den Ersten Weltkrieg und damit Tod und Zerstörung in einem nie zuvor dagewesenen Ausmaß erlebt hatte. Der am 22. Juni 1897 in Würzburg geborene Albert Renger-Patzsch diente als 19-Jähriger in der chemischen Zentralstelle des Generalstabs, seine beiden älteren Brüder waren im Krieg gefallen. Er sah nüchtern auf die Welt, strebte nach einer möglichst objektiven Fotografie. Im Gegensatz zu seinem Vater: Der leidenschaftliche Foto-Amateur hatte versucht, mit aufwendigen Druckverfahren malerische Wirkungen zu erzielen. Sein Sohn hingegen schätzte die neue Technik als solche, so Albert Renger-Patzsch 1960 in einem Radiointerview
„Die Fotografie ist weder Kunst noch Handwerk, sondern ein Verfahren sui generis, das mit der Kunst manches Verwandtes hat, aber nicht als Kunst anzusprechen ist, da das Mechanische ihres Ablaufs sie von der Kunst entscheidend trennt.“

Magische Nahaufnahmen durch die Wahl des Ausschnitts

In seiner strikten Abgrenzung von der Kunst liegt die konzeptuelle Stärke von Albert Renger-Patzsch. Bereits als Schüler beherrschte er die chemischen und physikalischen Grundlagen der Schwarzweißfotografie. Was ihn herausforderte, war das, was er aufnahm. Die Magie seiner Nahaufnahmen - einer Orchideenblüte oder auch nur einer Agavenstaude – lag in der Wahl des Ausschnitts. Auf diese Weise lenkte er den Blick auf die vitalen Punkte einer Pflanze oder eines Tieres, über die er sich vorab gründlich informiert hatte. Berühmt ist sein Close-up einer eingerollten Natter, deren Kopf inmitten eines Stroms feingliedriger Schuppen aufscheint. Dazu Ute Eskildsen

„Seine Arbeitsweise ist eine objektivierende. Das heißt: für ihn ist Fotografie ein Erkenntnismittel, Dinge zu lesen in einem Motiv, die man als Betrachter nicht unbedingt wahrnimmt, wozu einem aber die Fotografie behilflich ist, es wahrzunehmen.“

Kritik vom linken Lager

Mit seinen Ruhrgebietslandschaften aus den späten 20er-Jahren offenbarte Albert Renger-Patzsch seine romantische Ader. Oftmals folgte er mit seinem Objektiv dem Lauf einer Landstraße, die sich durch die Industrielandschaft schlängelte: Im Vordergrund Weizenfelder oder ein Bauernhaus, im Hintergrund Fördertürme und hochaufragende Schlote. Eine neue Idylle? Mit seinen politisch neutralen Bildern eckte Renger-Patzsch im damaligen linken Spektrum an. Walter Benjamin warf ihm vor, es könne mit einer Fotografie im Stil von Renger-Patzsch „keine Mietskaserne, kein Müllhaufen mehr fotografiert werden, ohne ihn zu verklären.
Auch der Zweite Weltkrieg verschonte Renger-Patzsch nicht. 1943 wurde er zur Wehrmacht eingezogen mit dem Auftrag, die geheimen Befestigungsanlagen des Altantikwalls zu dokumentieren. Nach einem Bombenangriff auf Essen, der Zerstörung seines Wohnhauses und seines Negativ-Archivs, zog sich Albert Renger-Patzsch nach Soest in Westfalen zurück. Dort starb er 1966 als vielfach geehrter Meisterfotograf. Die Frage, was eine gute Fotografie ausmache, hatte ihn sein Leben lang beschäftigt. Ihr Wert sei bestimmt „durch ein teils ästhetisches, teils technisches Urteil“, schrieb er 1960. Das Objektiv gebe leidenschaftslos alles Sichtbare wieder, der Fotograf aber bestimme, ob der Gegenstand auch „seinem Wesen nach“ erkannt werden könne.