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125. Geburtstag der Fotografin
Tina Modotti - und die Militanz der Fotografie

Ein Leben wie ein Abenteuerroman, zwischen Italien, den USA, Mexiko, der Sowjetunion und spanischem Bürgerkrieg: Die Fotografin und militante Kommunistin Tina Modotti beeinflusst die Fotografie bis heute. Geboren wurde sie am 16. August 1896 in Italien.

    "Tina, rezitierend" nannte US-Fotokünstler Edward Weston seine Porträtaufnahme von Tina Modott 1924
    "Tina, rezitierend" - Tina Modotti 1924 fotografiert von Edward Weston (Ausschnitt) (picture-alliance / akg-images )
    "Jedes Mal, wenn der Begriff ‚Kunst‘ oder ‚Künstlerin‘ im Zusammenhang mit meinen fotografischen Arbeiten benutzt wird, fühle ich mich unwohl, was zweifellos mit der unglückseligen Verwendung dieser Wörter zusammenhängt. Ich bin eine Fotografin, sonst nichts."
    So harsch weist Tina Modotti 1929 anlässlich ihrer ersten Ausstellung in Mexiko City jeden künstlerischen Anspruch zurück. Dabei waren ihre Bilder spektakulär: Treppenhäuser, das Stadion der Stadt oder die Fassade einer Hacienda wirkten wie abstrakte Formen. Genauso eindrucksvoll waren die Fotos von zerfurchten Gesichtern oder den Händen einer Wäscherin. Modotti fing mit ihrer Kamera Armut und Mühsal ein; die Fotografie hatte für sie eine soziale Funktion:
    "Da die Fotografie nur in der Gegenwart und auf der Grundlage dessen, was sich vor der Kamera befindet, entstehen kann, stellt sie das geeignetste Mittel dar, um das objektive Leben in all seinen Erscheinungsformen zu dokumentieren."

    Eine spektakuläre Erscheinung

    Tina Modotti wurde am 16. August 1896 in Udine geboren. Der Vater, ein überzeugter Sozialist, war Mechaniker, die Mutter Näherin. Schon mit zwölf musste Tina als Fabrikarbeiterin zum Unterhalt der achtköpfigen Familie beitragen. Der Vater wanderte schließlich nach San Francisco aus, wohin ihm seine Tochter 1913 folgte. Wieder trat sie eine Stelle in einer Fabrik an, begann aber gleichzeitig, in einem Laientheater der italienischen Community zu spielen. Mit ihrem dunklen Haarschopf, den großen Augen und der schmalen Gestalt war die 18-Jährige eine spektakuläre Erscheinung, die auch den Maler Robo Richey in den Bann schlug. Die beiden wurden ein Paar, gingen nach Los Angeles und gehörten bald zur Bohème.
    1920 machte Tina Modotti in dem Stummfilm "The Tiger’s Coat" von sich reden. Der Fotograf Edward Weston stellte trocken fest: "Die Gehirne und das Vorstellungsvermögen unserer Regisseure sind so beschränkt, dass sie sich ein italienisches Mädchen nur mit einem Messer zwischen den Zähnen und blutunterlaufenen Augen vorstellen können."

    Befreundet mit Diego Rivera und Frida Kahlo

    Weston war hingerissen von der jungen Frau und begann sie zu fotografieren. Eine leidenschaftliche Affäre war die Folge. Robo Richey setzte sich nach Mexiko ab, Tina reiste ihm nach, aber er starb noch vor ihrer Ankunft an den Pocken. Das mittelamerikanische Land schlug sie sofort in den Bann. 1923 ließ sie sich mit Weston in Mexiko City nieder und freundete sich mit den Malern Diego Rivera, Alfaro Siqueiros und Frida Kahlo an. Sie eröffneten ein Fotostudio, und Tina Modotti begann, den Platz hinter der Kamera einzunehmen:
    "Wenn sich meine Bilder von dem unterscheiden, was normalerweise in diesem Bereich passiert, liegt es daran, dass ich keine Kunst produzieren will, sondern ehrliche Fotos, ohne Verzerrungen oder Manipulationen."
    Frida Kahlos "Selbstbildnis mit Dornenhalsband".
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    Über Moskau in den spanischen Bürgerkrieg

    1927 trat Tina Modotti der Kommunistischen Partei bei. Zwei Jahre später wurde der kubanische Aktivist Julio Antonio Mella vor ihren Augen ermordet. Es kam zu einer verleumderischen Pressekampagne, weshalb sie das Angebot, Fotografin für das Nationalmuseum zu werden, ablehnte. Stattdessen reiste sie durchs Land und machte Aufnahmen von indigenen Frauen. Unter dem Vorwand, sie sei in einen Anschlag verwickelt, wies man sie 1930 aus Mexiko aus. Auf Einladung des linientreuen Stalinisten Vittorio Vidali gelangte sie nach Moskau, arbeitete für die Rote Hilfe und wurde mit geheimen Missionen in Frankreich und anderswo betraut. Als der Spanische Bürgerkrieg ausbrach, folgte sie Vidali, einem begabten Militär, nach Madrid, wo sie Pablo Neruda, Robert Capa, Gerda Taro und Rafael Alberti mit ihrer Vitalität beeindruckte. Anders als Vidali wurde sie der Gewalt, die auch in den eigenen Reihen angewandt wurde, müde.
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    Nach dem Sieg von General Franco kehrte Modotti 1939 unter falschem Namen nach Mexiko zurück. Im Januar 1942 starb Tina Modotti mit nur 46 Jahren. Diego Rivera vermutete einen Komplott, aber die Ursache scheint eine Herzattacke gewesen zu sein. Ihr fotografisches Werk gilt bis heute als bahnbrechend. Pablo Neruda trauerte um ihren Idealismus:
    "Tina Modotti, Schwester, du schläft nicht, nein, du schläfst nicht:
    Vielleicht spürt dein Herz, wie die Rose von gestern wächst,
    die letzte Rose von gestern, die neue Rose.
    Ruhe süß, Schwester."