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275.* Geburtstag von Johann Heinrich Pestalozzi
Bildung mit Kopf, Herz und Hand

Mit seiner Idee einer "ganzheitlichen Erziehung" wurde Johann Heinrich Pestalozzi zu einem der wichtigsten Wegbereiter moderner "Reformpädagogik". Der am 12. Januar 1746 in Zürich geborene Pädagoge hat dabei nicht nur den Bildungsbegriff, sondern das Bild vom Kind überhaupt verändert.

Von Andrea Westhoff |
    Ein Schwarzweiß-Bild zeigt einen zeitgenössischen Stahlstich des Pädagogen und Sozialreformers Johann Heinrich Pestalozzi
    Johann Heinrich Pestalozzi auf einem Stahlstich um 1840 (picture-alliance / akg-images )
    "Der Segen der Welt ist gebildete Menschlichkeit."
    Davon war der Schweizer Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi überzeugt. Aber "Bildung" bedeutete für ihn nicht Wissensvermittlung, sondern eine Erziehung von "Herz, Kopf und Hand". Die Pestalozzi-Kinderdörfer, Schulen und Kitas in aller Welt arbeiten heute noch nach diesem Grundsatz.
    Johann Heinrich Pestalozzi wird am 12. Januar 1746 in Zürich geboren. Die Familie ist arm, denn der Vater stirbt früh. Die Mutter erzieht den Jungen streng religiös und von der Welt abgeschirmt. "Ich war gehütet wie ein Schaf, das nicht außer den Stall darf," so Pestalozzi über seine Kindheit.

    Kinderarbeit ja, aber

    Aber Pestalozzi kann die öffentliche Schule besuchen, studiert zunächst Theologie, dann Jura und lernt die Ideen der Aufklärung kennen. Vor allem Rousseau begeistert ihn, besonders dessen Erziehungsroman "Émile" und das Ideal eines natürlichen, freien Lebens auf dem Lande. So bricht der 21-Jährige das Studium ab, beginnt eine landwirtschaftliche Lehre und heiratet die acht Jahre ältere Anna Schulthess. Die beiden kaufen ein kleines Landgut in Birr, einem Dorf bei Zürich, und Pestalozzi richtet dort 1773 eine Erziehungsanstalt ein, den "Neuhof", wo arme Kinder am Spinnrad in der Weberei arbeiten, aber auch lesen und rechnen lernen:
    "Die Räder gingen wie vorhin, wann die Kinder schon ihre Augen völlig auf den Büchern hatten."
    Der französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau (1712-1778).
    Jean-Jacques Rousseau: "Der Mensch ist frei geboren und überall liegt er in Ketten"
    Er inspirierte mit seinen Ideen die Französische Revolution und befruchtete die moderne Pädagogik. Doch es lässt sich bei Rousseau immer noch etwas Neues finden.
    Pestalozzi lehnt die in seiner Zeit übliche Kinderarbeit nicht ab, will sie aber mit einer elementaren Wissensvermittlung verbinden. Er hat sich zudem von der Rousseau’schen Idee verabschiedet, dass Kinder nur ihrer Natur folgend, ohne erzieherische Eingriffe zum "sittlich-guten Leben" finden:
    "Freiheit ist ein Gut und Gehorsam ist es ebenfalls. Wir müssen verbinden, was Rousseau getrennt hat."
    Als das ganze Projekt "Armenerziehung" scheitert, gerät Pestalozzi in eine tiefe Lebenskrise und lebte über Jahre, "viele Jahre in der Verzweiflung und im Rasen meines unbeschreiblichen Elends."

    Pestalozzi als Sozialreformer

    Er verdingt sich als Schriftsteller und Journalist, schreibt über das einfache Volk auf dem Dorf, veröffentlicht philosophische und politische Texte.
    So wird Pestalozzi auch als Sozialreformer bekannt, tritt für Presse- und Religionsfreiheit ein, gegen ungerechte Steuerabgaben und für eine bessere Volksbildung. Aber die Gewalt der Französischen Revolution widert ihn an:
    "Wahre Bürgertugend ist ebenso entfernt von blindem Sklavensinn als vom rohen Geist des Aufruhrs."
    Erst im Alter von 53 Jahren beginnt eine für Pestalozzi erfolgreiche Lebensphase: 1799 übernimmt er ein Waisenhaus im schweizerischen Stans, im selben Jahr gründet er sein berühmtes Erziehungsinstitut im Schloss Burgdorf bei Bern, das 1804 nach Yverdon, in die französische Schweiz, umzieht. Hier formuliert er seine pädagogischen Grundsätze. Da ist vor allem die Idee der "Elementarbildung":
    "Sie sei als die Idee der naturgemäßen Entfaltung und Ausbildung der Kräfte und Anlagen des menschlichen Herzens, des menschlichen Geistes und der menschlichen Kunst anzusehen."

    Wider die Schule als "Erstickungsmaschine"

    Ganzheitliche Bildung von Herz, Kopf und Hand – und zwar auf Grundlage einer liebevollen Mutter-Kind-Beziehung. Nach Pestalozzis Vorstellung soll zudem alles Wissen auf Anschauung – vor allem in der Natur – beruhen. Herkömmliche Schulen nennt er "künstliche Erstickungsmaschinen".
    Pestalozzi wird ein angesehener "Schulmeister". Zu Hunderten kommen Gelehrte und Politiker aus allen Ländern nach Yverdon, um seine pädagogischen Methoden kennenzulernen. Aber letztlich scheitert er auch diesmal. Es gibt Unmut unter seinen Lehrern, viele beklagen seine mangelnde Fähigkeit zu Ordnung und Führung. Das Institut ist hoch verschuldet und muss 1825 schließen. Der 80-Jährige zieht sich auf den "Neuhof" bei Birr zurück, ehemalige Weggefährten und enttäuschte Freunde rufen ihm hinterher:
    "Die Nachwelt soll den Menschen Pestalozzi in aller seiner Schande in ewige Vergessenheit begraben."
    Das passiert glücklicherweise nicht: Johann Heinrich Pestalozzi ist einer der Wegbereiter der modernen Anschauungspädagogik", aus der Ende des 19. Jahrhunderts die "Reformpädagogik" erwuchs. Er hat das Bild vom Kind, die Organisation der Schule, die Unterrichtsmethoden und den Bildungsbegriff nachhaltig verändert.
    *Die ursprünglich gemachte Angabe zum Geburtstag des Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi wurde korrigiert.