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125. Geburtstag von Kurt Schumacher
Ein Titan der Sozialdemokratie

Vor 125 Jahren, am 13. Oktober 1895, wurde Kurt Schumacher geboren. Kein SPD-Vorsitzender genoss in seiner Partei mehr Respekt. Der Überlebende mehrerer Konzentrationslager kämpfte auch nach dem Krieg für einen Sozialismus mit bürgerlichen Freiheiten - und prägte die Gestalt der Bundesrepublik mit.

Von Bert-Oliver Manig |
    Der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher in einer Porträtaufnahme aus dem Jahr 1946
    Kurt Schumacher: Im Mai 1946 wurde er von den SPD-Mitgliedern der drei Westzonen zum ersten Vorsitzenden gewählt. (dpa / Bildarchiv)
    Carlo Schmid, eine der intellektuellen Leuchten der Sozialdemokratie der Nachkriegszeit, rückte sich stets erst die Krawatte zurecht, bevor er Kurt Schumachers Büro betrat. Dessen Charisma beschrieb Schmid mit den Worten:
    "Wie sah dieser Mann aus: Fast nur Haut und Knochen, ein Schmerzensantlitz; aber welche Kraft ging von dieser Stirne aus und welche Gewissheit strahlte aus seinen Augen! Und diese Kraft und diese Gewissheit gingen mit seinen Worten in alle jene ein, die ihn hörten."
    Schumachers einzigartige Autorität gründete in seinem überragenden Intellekt, vor allem aber in seiner Lebensgeschichte. Am 13. Oktober 1895 im westpreußischen Kulm als Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns in ein liberales Elternhaus geboren, bezahlte der Abiturient als Kriegsfreiwilliger 1914 eine von unfähigen Offizieren befohlene Attacke auf eine russische Stellung mit der Amputation seines rechten Armes. Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs schloss sich Schumacher, anders als die meisten Studenten seiner Generation, nicht völkisch-nationalen Verbänden, sondern der Sozialdemokratie an.
    1930 in den Reichstag gewählt, widerlegte er dort in einer denkwürdigen Debatte die rechtsradikalen Lügen über die angeblich unpatriotische Haltung der Sozialdemokratie im Ersten Weltkrieg. An der moralischen Verkommenheit der Nazis ließ er keinen Zweifel:
    "Die ganze nationalsozialistische Agitation ist ein dauernder Appell an den inneren Schweinehund im Menschen… Sie können tun und lassen, was Sie wollen, an den Grad unserer Verachtung werden Sie niemals heranreichen."
    Zwei Wahlhelfer leeren am 14. August 1949 in einem Frankfurter Wahllokal eine Wahlurne zur Stimmauszählung. An diesem Tag fanden in der Bundesrepublik die Wahlen zum ersten Deutschen Bundestag statt.
    Vor 71 Jahren: die Wahl zum ersten Deutschen Bundestag
    Vier Jahre nach Kriegsende, am 14. August 1949, fand die erste Bundestagswahl statt. Es war die erste freie und demokratische Wahl nach der Reichstagswahl von 1932. Gemäß dem wenige Monate zuvor verkündeten Grundgesetz konnten nur die Bürgerinnen und Bürger in den drei Westzonen ihre Stimme abgeben.
    Zehn Jahre in Konzentrationslagern
    Die Nationalsozialisten nahmen grausam Rache an ihrem eloquenten Gegner. Zehn Jahre verbrachte Schumacher in KZs, wo SA-Leute den Invaliden besonders sadistischen Prozeduren unterzogen, um seinen Willen zu brechen. Doch er hielt stand, zeigte den Schergen des Regimes offen seine Geringschätzung, auch wenn ihn das mehrfach fast das Leben kostete und eine frühere Haftentlassung verhinderte. Gesundheitlich ruiniert überlebte er das Kriegsende.
    1945 begann er in Hannover mit dem Wiederaufbau der Partei und wurde rasch zur unbestrittenen Integrationsfigur der SPD. Nur in der sowjetisch besetzten Zone machte ihm Otto Grotewohl den Führungsanspruch streitig. Doch dessen anfangs auch im Westen populäre Politik des Zusammengehens mit den Kommunisten unter der Parole der "Einheit der Arbeiterklasse" erteilte Schumacher eine klare Absage. Sozialismus ohne bürgerliche Freiheit konnte für den überzeugten Anhänger der parlamentarischen Demokratie nur in bürokratischer Diktatur enden. Aber auch die Restauration des Kapitalismus bekämpfte er entschieden:
    "So sehr wir uns dagegen wehren, den totalitären Staatskapitalismus auf uns übertragen zu lassen, so sehr wehren wir uns auch gegen die Annahme des Free Enterprise. Europa steht und fällt mit der Gleichzeitigkeit von Demokratie und Sozialismus."
    Bleibende Verdienste erwarb sich Schumacher um die Schaffung einer handlungsfähigen Bundesregierung durch das Grundgesetz, obwohl er an dessen Beratung wegen der Amputation seines linken Beins nicht hatte teilnehmen können. Forderungen der Besatzungsmächte nach einem stärker föderalistischen Staatsaufbau wies er scharf zurück und drohte damit, die Verabschiedung der Verfassung scheitern zu lassen.
    Anders als allgemein erwartet, wurde Schumacher nicht der erste Regierungschef der Bundesrepublik. Die SPD verlor die Bundestagswahl und Konrad Adenauer bildete ein Mitte-Rechts-Kabinett.
    Schumacher übernahm mit Leidenschaft seine neue Rolle als Oppositionsführer. Sein polarisierender Stil half dabei, die demokratieentwöhnten Deutschen mit dem Wesen der parlamentarischen Regierungsweise vertraut zu machen. Seine Opposition gegen die ersten Schritte der europäischen Einigung wirkte verbissen.
    Beate und Serge Klarsfeld
    Beate und Serge Klarsfeld - Bereit sein, Widerstand zu leisten
    Sie waren jahrzehntelang und weltweit auf der Jagd nach Nazi-Verbrechern – Beate und Serge Klarsfeld. Im Gespräch mit dem DLF formulieren sie eine Botschaft an die Jugend Europas: Bewahrt den Frieden, geht wählen, unterstützt Parteien der Mitte und nicht Extreme, leistet Widerstand gegen Antisemitismus und autoritäre Regierungen.
    Vorkämpfer der Wiedergutmachung
    Ein Nationalist war Schumacher jedoch nicht – seine europäische Gesinnung war ebenso unbestreitbar wie das Verdienst, als erster deutscher Politiker für Wiedergutmachungsleistungen an die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus eingetreten zu sein.
    Am 20. August 1952 starb der bedeutendste SPD-Vorsitzende im 20. Jahrhundert. Schumachers Leichnam wurde in einem Konvoi von Bonn nach Hannover überführt. Hunderttausende säumten die Strecke, um einem Mann die letzte Ehre zu bezeugen, der immer bereit gewesen war, sein Leben der Idee des demokratischen Sozialismus zu opfern.