Die Genossenschaftsidee entstand Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie war eine Antwort auf die industrielle Revolution: Damals waren die Lebensbedingungen oftmals menschenunwürdig, die Gesellschaft drohte zu entwurzeln. Hermann Schulte-Delitsch, Friedrich-Wilhelm Raiffeisen, Adolph von Elm, drei der wichtigsten Gründungsväter, wollten das kapitalistische Wirtschaftsmodell, das auf Wachstum und Gewinn basierte, keineswegs überwinden. Sie wollten es zum Wohle der Genossenschaftsmitglieder nutzen. Eines der wichtigsten Ziele: Der Schutz vor der eigenen Insolvenz. Jede Genossenschaft sollte sich regelmäßig, aber auf freiwilliger Basis beraten und prüfen lassen – eine Selbstverpflichtung, wie sie 1889 im Genossenschaftsgesetz festgeschrieben wurde.
Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung – wenig Zwang – das zeichnete die Genossenschaften aus – im Kaiserreich und während der Weimarer Republik. Den Nationalsozialisten war es ein Dorn im Auge, wie sich die Genossenschaften nach demokratischen Spielregeln organisierten. Sie nahmen sie an die kurze Leine, erläutert Holger Martens, der an der Arbeitsstelle für Genossenschaftsgeschichte der Universität Hamburg forscht.
"Es ist tatsächlich so, dass viele auch im Genossenschaftswesen in dieser Zeit im Frühjahr 1933 in die NSDAP eingetreten sind, um eben dann auch die Gleichschaltungsbedingungen erfüllen zu können. Andere, die das nicht wollten, sind in der Tat aus dem Vorstand gedrängt worden. So ist es vonstatten gegangen."
Regimetreue Prüfer erklärten Genossenschaften für nicht überlebensfähig
Sogleich kam die Propaganda auf Touren. Die Nationalsozialisten druckten Plakate und Aufkleber: "Kauft nicht beim Konsum". Die Konsumgenossenschaft verteilte zum Jahresende einen Teil der Überschüsse an ihre Mitglieder – vergleichbar den Dividenden der Aktiengesellschaften. Diese Rückvergütung schränkten die Nationalsozialisten auf maximal drei Prozent ein. Viele Mitglieder, die gleichzeitig Kunden waren, wandten sich ab, die Umsätze brachen ein. Entsprechend schlecht fielen die Jahresabschlussprüfungen aus. Die Genossenschaftsnovelle von 1934 erhob die bislang freiwillige Prüfung zur Pflichtprüfung. So erklärten regimetreue Prüfer unliebsame Genossenschaften kurzerhand für nicht mehr überlebensfähig; der Staat löste sie auf und überschrieb ihr Vermögen der Deutschen Arbeitsfront. Die gleichgeschalteten Genossenschaften stellten sich in den Dienst des Vierjahresplans, der ab 1936 den Weg in den Krieg bereiten sollte. Aufrüstung, Vernichtungskrieg, bedingungslose Kapitulation.
Wenige Monate nach dem Krieg ließ die Sowjetische Militäradministration die Genossenschaften in ihrer Besatzungszone wieder aufleben – nach altem Muster wie zu Kaiserzeiten und während der Weimarer Republik, also mit freiwilliger Prüfung. Der Prüfungszwang, wie die Nationalsozialisten ihn einführten, hatte indes in der Bundesrepublik weiterhin Bestand. Aus Sicht von Uwe Schreibner war das der bessere Weg. Er begann 1963 in Sachsen eine Lehre in einer Konsumgenossenschaft und arbeitete dort 26 Jahre. Heute ist er Rechtsanwalt.
"Im Rahmen dieser Betreuung war es schon sehr hilfreich, dass alle Genossenschaften einem Prüfungsverband angehören mussten, der sie auch beraten hat in den ganzen neuen gesetzlichen Regelungen. Diese Mitgliedschaft in dem Prüfungsverband sehe ich als eine Art Festhaltegeländer auf dem Weg in die Marktwirtschaft."
Doch auch die strengen Kontrollen in Westdeutschland konnten eine Tatsache nicht verhindern: Viele Genossenschaften haben wirtschaftlich nicht überlebt. Die Wohnungsbaugenossenschaft Neue Heimat zum Beispiel, die Bank für Gemeinwirtschaft, oder die Supermarkt-Kette Coop.