Christine Heuer: Am Telefon ist Wolfgang Hellmich. Der Sozialdemokrat ist Vorsitzender im Bundestags-Verteidigungsausschuss. Guten Abend, Herr Hellmich.
Wolfgang Hellmich: Einen wunderschönen guten Abend, Frau Heuer.
Heuer: Bis 2030 will Ursula von der Leyen 130 Milliarden Euro mehr für die Ausrüstung der Bundeswehr ausgeben. Fast doppelt so viel ist das, wie bislang geplant. Ist das ein überraschendes Geschenk oder haben Sie damit gerechnet?
Hellmich: Es ist dringend nötig, weil die Berichte und die Zustandsberichte, die wir haben über die Situation der Bundeswehr, die Materialausstattung, haben uns schon seit einiger Zeit deutlich gemacht, dass wir einen dringenden Investitionsbedarf haben, um die Mängel, die es gibt, auszuschalten. Insofern folgen die Vorschläge einer Notwendigkeit, die auf dem Tisch liegt.
Heuer: Die Sache hat nur einen kleinen Schönheitsfehler: Wolfgang Schäuble muss das Geld noch rausrücken. Wie zuversichtlich sind Sie, dass er das tut?
Hellmich: Die Ministerin hat gesagt, dass der Finanzminister ihr da entsprechende Zusagen gegeben hat. Es gibt ja auch entsprechende Äußerungen von ihm und der Bundeskanzlerin aus den letzten Tagen. Von daher bin ich eigentlich sehr zuversichtlich, dass wir da nicht etwas vorgelegt kriegen, das auch nicht die nötige Abstimmung hat.
Heuer: Insofern müssten Sie heute sehr zufrieden sein?
Hellmich: Wir sind an der Stelle eigentlich sehr zufrieden, weil das genau die Punkte umfasst, in denen wir in der letzten Zeit immer wieder gesagt haben, da bedarf es einer dringenden Nachsteuerung und es bedarf auch der nötigen Investitionen, und das wird Geld kosten, das auszumerzen, was in der Vergangenheit an Fehlern gemacht worden ist.
"130 Milliarden reichen für den Grundbetrieb"
Heuer: 130 Milliarden Euro mehr, das ist viel Geld. Aber reicht das aus, um die Ausrüstungsprobleme der Bundeswehr zu lösen?
Hellmich: Das was wir auf dem Tisch liegen haben, da reicht es aus, einen Stand zu bekommen, der die Bundeswehr einsatzfähig macht, einsatzfähig hält und mit dem nötigen Material ausstattet, das die Bundeswehr braucht, um nicht nur diese Einsätze zu bedienen und diese Einsätze zu organisieren, sondern auch die nötige Ausbildung und den nötigen Grundbetrieb zu organisieren. Das Zahlenwerk zeigt uns, dass das ausreichen kann, dass das ausreichen wird, und das ist schon eine erhebliche Anstrengung, die das beinhaltet, das auch entsprechend umzusetzen.
Heuer: Also genug Geld, damit künftig Tornados eingesetzt werden, die auch nachts fliegen können, Gewehre, die geradeaus schießen, auch wenn es heiß ist, und genug Geld dafür, dass die gesamte Ausrüstung der Bundeswehr dann tatsächlich auch zur Verfügung steht und nicht immer nur ein Bruchteil?
Hellmich: Ja, das ist das Ziel. Die Feststellung, die wir im Laufe der letzten Zeit ja hatten, war ja, dass bei Übungen, die gemacht wurden, Material zusammengeliehen werden musste, dass bei Auslandseinsätzen alles zusammengekratzt wurde, was da ist, und das war ja kein Zustand. Das wussten wir ja auch. Da haben wir auch immer wieder auch aus dem Parlament heraus den Finger in diese Wunde gelegt und haben gesagt, es reicht so nicht, wenn man so damit umgeht. Man kann nicht sagen, wir haben eine 70-prozentige Ausstattung, und das soll für 100 Prozent reichen. Da kommen wir ein ganzes Stück weiter und ich glaube, ich sehe, wenn ich in die Zahlenwerte gucke, dass das Ziel erreicht werden kann, die Anforderungen, die die Bundeswehr hat, auch voll umfänglich zu bedienen.
Personalbestand muss aufgestockt werden
Heuer: Ursula von der Leyen, Herr Hellmich, die will auch wieder mehr Personal. Wie viel Soldaten mehr brauchen wir denn so?
Hellmich: Ich will da keine Spekulationen anstellen. Da sind im Laufe der letzten Zeit genug angestellt worden. Im Frühjahr diesen Jahres wird es eine Aufarbeitung des Personalbestandes geben. Da wird eine Evaluation vorgenommen über die Entscheidungen, die getroffen worden sind. Ich gehe vor dem Hintergrund zum Beispiel bei der Umsetzung einer europäischen Arbeitszeitrichtlinie, der Feststellung, dass wir weit unter dem Bestand von 185.000 Soldatinnen und Soldaten liegen, plus der zivilen Beschäftigten - die dürfen wir ja nicht vergessen; im Gegenteil: Die sind ein wichtiger Bestandteil für die Arbeit der Bundeswehr -, dass der derzeitige Personalbestand nicht ausreichen wird, sondern dass der Personalbestand aufgestockt werden muss. Nicht nur in einzelnen Funktionsbereichen, wo es besonders eklatante Lücken gibt, im gesamten Bereich der technischen Feldwebel zum Beispiel, aber auch aller Mannschaftsdienstgrate, dass wir an der Stelle mehr Personal brauchen, mehr Soldatinnen und Soldaten brauchen.
Heuer: Herr Hellmich, wie ist das denn? Wenn es jetzt doch nicht spürbar mehr Soldaten gibt, was wäre die Alternative, die Einsätze zurückfahren?
Hellmich: Es gibt eigentlich keine Alternative dazu. Die Alternative wäre, wir machen so weiter wie bisher, die aber keine ist, weil das bedeutet, dass es vor allem die Kreativität der Soldatinnen und Soldaten ist, die Lücken des Personalbestandes durch eigene Aktivitäten, durch Mehrarbeit, durch Überbelastung, die gerade auch feststellbar ist, da auszugleichen. Da hat ja auch der Wehrbeauftragte noch mal den Finger mit seinem Bericht in die Wunde gelegt mit der Feststellung, dass diese derzeitige Belastung der Truppe durch falsche Entscheidungen auf die Dauer nicht aufrecht zu erhalten ist.
Heuer: Welche falschen Entscheidungen, Herr Hellmich? Welche falschen Entscheidungen meinen Sie?
Hellmich: Die falschen Entscheidungen, Personal zu reduzieren, gleichzeitig aber mehr Aufgaben übernehmen zu sollen und zu wollen, um letztendlich dann zu einer Struktur zu kommen, die ja dann auch nicht voll besetzt ist.
Heuer: Im Moment ist die Bundeswehr ja auch sehr beansprucht in der Flüchtlingshilfe. Muss damit auch Schluss sein, weil es einfach zu wenig Personal gibt?
Hellmich: Es ist kein Dauerzustand, dass die Bundeswehr mit 8000 Soldaten und zivilen Beschäftigten in die Flüchtlingshilfe hineingeht, die an anderen Stellen fehlen. Es wird Schluss sein damit zu sagen, es ist eine Dauerstruktur, in der diese 8.000 Soldatinnen und Soldaten dauerhaft über eine längere Zeit in der Flüchtlingshilfe aktiv sind. Das wird so auf die Dauer nicht sein können.
Heuer: Herr Hellmich, Sie haben eingangs unseres Gesprächs von den Fehlern der Vergangenheit gesprochen. Hat da die SPD vielleicht auch selber Fehler gemacht, Herr Hellmich?
Hellmich: Das will ich so nicht sagen. Mit Blick auf die letzte Zeit, die letzten Jahre, die ich da überblicken kann und in denen ich selbst aktiv dabei bin, haben wir an diesen Stellen, hat die SPD immer wieder den Finger in die Wunde gelegt und hat gesagt, da sind Fehler gemacht worden, die in der Struktur, in den strukturellen Fragen dazu führen werden, dass die Bundeswehr ihre Leistungsfähigkeit stärker einschränken wird. Wir sehen im Moment schon, dass unseren Anregungen, die wir gerade auch in Zeiten dieser Großen Koalition und auch in den Koalitionsvertrag eingebracht haben, dass es da eine Veränderung des Kurses gegeben hat. Wir können mit dem, was heute auf dem Tisch liegt, uns heute auf den Tisch gelegt wird, einmal hoch zufrieden sein. Auf der anderen Seite aber sehen wir auch den Auftrag, daran weiterzuarbeiten.
Heuer: Das war ein Interview mit Wolfgang Hellmich, dem sozialdemokratischen Vorsitzenden im Verteidigungsausschuss im Bundestag.
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