"Erdoğan ist als Reformer angetreten, nicht als Islamist", sagt der Journalist Gunnar Köhne, der knapp 20 Jahre lang in der Türkei gelebt und gearbeitet hat. Vor allem die ersten Jahre seien für Erdoğan äußerst erfolgreich verlaufen.
"2005 begannen die EU-Beitrittsverhandlungen, das war ein Riesenerfolg. Investoren kamen zu der Zeit scharenweise in die Türkei, das Land schaffte den Aufstieg zu den zwanzig stärksten Wirtschaftsnationen der Welt und viele Gesetze, vom Verbraucherschutz bis zu den Frauenrechten, wurden an EU-Recht angepasst", sagte Köhne im Dlf.
Schwenk zum politischen Islam
Diese Zeit sei von einer großen gesellschaftlichen und kulturellen Liberalisierung geprägt gewesen.
Dennoch: Der Schwenk von Erdoğan zu einer islamisch orientierten Politik sei nichts Neues und in der türkischen Politik immer wieder zu beobachten gewesen, so Köhne weiter.
"Erdoğan kommt aus dem politischen Islam und die Religion spielt immer dann eine große Rolle, wenn sie der Politik nutzt". Der Präsident sei Pragmatiker: "Mal betont er die Religion, um die frommen Anhänger an sich zu binden, mal gibt er sich nationalistisch, um bei den Rechten zu fischen, mal ist er für den Westen, mal dagegen".
Warnungen nicht ernst genommen
Von Beginn an hat es allerdings Warnungen gegeben. Die Gegner des Politikers hätten immer wieder darauf hingewiesen, dass Erdoğan sich als Reformer gibt, um "Alleinherrscher" zu werden. Auch das bekannte Erdoğan-Zitat "Die Demokratie ist für uns eine Straßenbahn. Wenn wir angekommen sind, steigen wir aus", sei nicht allzu ernst genommen worden, sagte Köhne.
Die wirtschaftliche Entwicklung in der Türkei sei momentan nicht allzu gut, das führe zu einer gewissen "Nervosität bei Erdoğan und in seiner Partei". Trotzdem, so Köhne, seien das wichtigste Ziel weiterhin die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2019: "Die möchte Erdoğan für sich entscheiden, um das Präsidialsystem endgültig zu installieren".