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15 Jahre EU-Erweiterung
Erfolgsgeschichten und Schattenseiten

Am 1. Mai 2004 traten zehn ost- und südeuropäische Staaten der Europäischen Union bei. Bei allen Schwierigkeiten gilt die Erweiterung heute als Erfolg. Doch die Unterschiede der Mitgliedsländer sind vielfältig, ebenso die Krisen – und sie bergen politisches Sprengpotenzial.

Von Bettina Klein |
    Bundesaußenminister Joschka Fischer (r) und sein polnischer Amtskollege Wlodzimierz Cimoszewicz umarmen sich in der Nacht zum Samstag (01.05.2004) anlässlich des Beitritt Polens zur EU auf dem deutsch-polnischen Grenzübergang Stadtbrücke in Frankfurt (Oder). Mit dem 1. Mai wurde Polen gemeinsam mit neun weiteren Staaten offizielles Mitglied der Europäischen Union.
    Bundesaußenminister Joschka Fischer (r) und sein polnischer Amtskollege Wlodzimierz Cimoszewicz umarmen sich in der Nacht zum Samstag (01.05.2004) anlässlich des Beitritt Polens zur EU auf dem deutsch-polnischen Grenzübergang Stadtbrücke in Frankfurt (Ode (dpa/ picture alliance/ Patrick Pleul)
    Es war der Abend des 30. April in Frankfurt Oder, Feuerwerk, Musik. Joschka Fischer, damals Außenminister, öffnet mit seinem polnischen Kollegen symbolisch den Grenzübergang nach Polen.
    "Heute Abend entsteht das neue Europa. Heute Abend entsteht ein Raum des Friedens. Heute Abend entsteht ein Europa, das die Zukunft für uns alle bedeutet. Und deshalb möchte ich Euch zurufen: Lasst und das heute gemeinsam hier feiern"
    Die Korrespondenten berichten in dieser Nacht aus Warschau, Prag und Budapest: "Eine riesige Menschenmenge auf dem Platz vor dem Warschauer Königsschloss, tausende Polen, die den Beitritt ihres Landes in die Europäische Union feiern. Ja, die Stimmung hier ist ganz, ganz wunderbar, es ist ein wunderschöner Abend, eine wunderschöne Nacht hier in Prag, Temperaturen noch um 17, 18 Grad. Ich stehe hier nur ein paar Meter von der Moldau entfernt. Die ersten Feuerwerksraketen sind in den Himmel über der Donau aufgestiegen, Scheinwerfer zerschneiden die Nacht über der ungarischen Hauptstadt."
    "Es war im Grunde eine Zeit des Aufbruchs, die Friedensdividende aus den 1990ern mitzunehmen, die Überwindung der Spaltung. Und was wir in den letzten zehn, fünfzehn Jahren in der europäischen Politik erlebt haben, das hat natürlich heute einen anderen Zeitgeist erschaffen."
    Aufbruchsstimmung war nicht ungetrübt
    Eine Stimmung wie aus einer andern Zeit, resümiert Almut Möller heute, EU-Expertin der Denkfabrik European Council on Foreign Relations. Die Aufbruchsstimmung war auch damals nicht ungetrübt. Viele hatten auch damals Bedenken. In den alten Mitgliedstaaten wie in den neuen. Aus 15 Ländern wurden über Nacht 25. In Deutschland herrschten vor allem wirtschaftliche Sorgen. Die Angst vor Billigkonkurrenz und Wettbewerbsdruck. Vor Arbeitnehmern, die sich zu niedrigen Löhnen anbieten. Vor einer ökonomischen Destabilisierung der EU durch schwache Volkswirtschaften. Unter dem Strich haben nach 15 Jahren fast alle vom Binnenmarkt profitiert.
    "Das sind Erfolgsgeschichten, und das sind natürlich vor allem auch Erfolgsgeschichten nicht nur für die neuen, sondern auch für die alten Mitgliedsstaaten. Dieser große Binnenmarkt der schafft es einfach auch im internationalen Bereich, zu bestehen, zu kämpfen und eine Größe zu sein."
    Es gibt viele Erfolgsgeschichten, überall in den damals beigetretenen Staaten. Es gab eine enorme Entwicklung in den baltischen Ländern, die ehemals zur Sowjetunion gehörten. Und es gab und gibt im Ergebnis auch Schattenseiten. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit etwa, mit einer hohen Anzahl von polnischen Staatsbürgern, die nach Großbritannien zogen, hatte am Ende auch einen Anteil an der Entscheidung für den Brexit.
    "Da haben wir in den letzten Jahren erlebt, dass die Entfremdung von der Europäischen Union auch mit einem Gefühl ungehemmter Zuwanderung zu tun hat, was natürlich nicht so ist, aber einem Gefühl sich stark in Richtung eines Austritts entwickelt hat."
    Keine Garantie für wirtschaftlichen Aufschwung
    Und es gibt umgekehrt keine Garantie, dass der wirtschaftliche Aufschwung unter dem Dach der EU gleichzeitig auch zur Unterstützung der europäischen Idee führt.
    "Sie sehen beispielsweise, dass ein Land wie Ungarn unheimlich aufgeholt hat, aber dass die Einstellungen in der Bevölkerung sehr stark eingebrochen sind."
    Über Polen und Ungarn wird im Moment nur noch wie über Problemkinder berichtet. Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit, europafeindliche Kräfte in der Regierung. Haben sich damit Befürchtungen seinerzeit bestätigt? Man muss schon sehr genau versuchen, zu verstehen, woher diese jüngeren Beitrittsländer kamen, sagt Almut Möller vom European Council on Foreign Relations. Diese Länder hätten sich damals auch gefragt, wird das unsere EU sein oder treten wir einem Klub bei, wo die alten Kräfte dominieren. Viele hatten gerade erst ihre Unabhängigkeit wiedererlangt. Das dürfe man als Wert nicht unterschätzen.
    "Ich glaube, dass wir respektieren müssen, dass jeder auch seinen eigenen Blick auf diese Europäische Union und ihre Entwicklung hat. Und dass das, was wir in Deutschland immer so als Mainstream wahrnehmen, vielleicht nicht immer an anderen Orten so gesehen wird."
    Insgesamt gilt die große historische Perspektive, dass die Erweiterung vor 15 Jahren richtig war. Doch die Unterschiede und Krisen in der EU sind vielfältig, und sie bergen auch politisches Sprengpotenzial.