"It takes more than breath to be alive."
"More than blood to find your line."
"More than a hand to throw a Stone."
"It takes a heart......."
Bereits bei der Auftaktveranstaltung stellte sich damit die Frage, wie politisch, gesellschaftlich, ja wie thematisch-inhaltlich Dichtung sein soll, muss oder kann. Die deutsche Dichterin Anja Utlers vertritt die Auffassung, dass Poesie an Wert gewinnt, wenn es kein "über etwas sprechen", kein Thema gibt.
"Denn es ist fühlen die primäre Bedingung dafür, dass etwas der Mühe wert sein könnte."
"Daher ist die Fähigkeit zu fühlen....."
Während Anja Utler mit teils dreistimmiger Performance die Verständnisfähigkeit des Publikums schlicht überforderte und im besten Falle eine klangliche Assoziationskette auslöste, präsentierte der berühmte südkoreanische Dichter Ko Un die Klanggewalt seines Zyklus' "Blüten des Augenblicks":
"Die Sonne geht unter. Mein Wunsch: Unter dem kugelrunden Mond ein Wolf zu werden .....", heißt es da. Ko Un, dessen Leben zwischen Dichtung und staatlicher Repression, zwischen Koreakrieg und Klosterleben zerrissen wurde, führte mit seiner Natur-Lyrik und seinen kurzen Szenenbeobachtungen vor, wie er durch die Dichtung seinen inneren Frieden finden konnte. Criolo, der - wie es im Programmheft hieß - "Megastar der Megacities" aus der brasilianischen Metropole São Paolo präsentierte einen gänzlich anderen Ansatz: Zu Filmbildern von den Protesten in Brasilien mit brennenden Autos und prügelnden Polizisten, unterlegt mit einer simplen musikalischen Schleife, sprach oder rappte er seinen Lösungsvorschlag ins Mikrofon:
Bedeutung von Dichtung bei den Protesten im Gezi-Park
Bei der Diskussion über "Aufruhr in Versen" konnte man die Bedeutung von Dichtung bei den Protesten im Gezi-Park von Istanbul nachvollziehen, wo Lyrik verteilt, gelesen, gesprüht und gesprochen wurde. Eine beliebte Protestform bestand zudem darin, sich den anrückenden Polizeitruppen lesend mit einem Buch in der Hand in den Weg zu stellen. Auf dem Maidan in Kiew dagegen spielte Dichtung zwar keine unmittelbare Rolle, die Vorgänge auf der Krim, die Ausrufung autonomer Republiken in Donezk und Lugansk haben aber deutliche Spuren in der zeitgenössischen russisch- und ukrainisch-sprachigen Lyrik hinterlassen.
Dichter ändern nichts an der politischen Lage
Wo das erste Gebote des Arztes laute, nicht zu schaden, seien die Machthaber elende Ärzte: Ausbrennen, Schröpfen, das Nichts ..., heißt es im Gedicht „Jemand muss standhalten" von Boris Chersonskij aus Odessa. Die Frage, wie politisch Dichtung sein kann oder sein muss, um gehört zu werden, beantwortete am Ende des Thementags zur Ukraine der Dichter und Prosa-Autor Juri Andruchowytsch: Dichter änderten nichts an der politischen Lage, denn sie seien unfähig, mit der Masse zu kommunizieren. Er jedenfalls spreche lieber zu jedem einzelnen Leser. Ohne Zweifel bleibt das Berliner Poesiefestival ein einzigartiges internationales Forum der Gegenwartslyrik. Leider rückte in diesem Jahr die zwanghafte Suche nach politischer Bedeutung der Inhalte derart in den Vordergrund, dass dabei die literarische Qualität der Texte in manchem Fall nur noch Nebensache war.