"Was tun, wenn es um alles oder nichts geht, das Dasein der Menschheit selbst auf dem Spiel zu stehen scheint?" - "Wenn ein Ausweg gefunden werden soll, kann das nur geschehen, indem man auf die internationalen Streitigkeiten jene Methoden anwendet, die in der Innenpolitik demokratischer Staaten üblich sind.“
Der Zweite Weltkrieg lag drei Jahre zurück, als der britische Philosoph Bertrand Russell bei einem Besuch in der damaligen Frontstadt Berlin für diesen Gedanken warb. Was ihm vorschwebte, war nicht weniger als ein globales Gewaltmonopol.
"Wenn man einmal eine Weltregierung hat, wird man sehr wenig Macht brauchen, um diese Regierung aufrechtzuerhalten. Denn natürlich wird die erste Regel die sein, dass kein besonderer Staat eine Armee haben darf.“
60 Bücher - mathematische und philosophische Grundlagenwerke inklusive
Russell, dessen Lebensspanne fast ein Jahrhundert umfasste, zählte zu den einflussreichsten Intellektuellen seiner Zeit. Er war Wissenschaftler, Friedensaktivist, Kritiker der Regierungspolitik seines Landes, nicht zuletzt ein enorm produktiver Autor, der rund 60 Bücher, 2.000 Aufsätze und 90.000 Briefe hinterließ. Darunter mathematische und philosophische Grundlagenwerke, aber auch Populärwissenschaftliches über Politik und Gesellschaft, Reformen der Erziehung ebenso wie der Sexualmoral. Über sich selbst meinte er:
"Drei einfache, aber überwältigend starke Leidenschaften haben mein Leben beherrscht, die Sehnsucht nach Liebe, die Suche nach Wissen und unbändiges Mitgefühl für das Leiden der Menschheit."
Der Erste Weltkrieg als biografischer Bruch
Geboren wurde Russell am 18. Mai 1872 als Spross einer aristokratischen Dynastie, in der seit drei Jahrhunderten der Herzogstitel erblich war. [*] Er selbst sollte später rückblickend sein Leben in zwei Abschnitte unterteilen, die Jahre vor und die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, der für ihn das Ende eines beschaulichen Gelehrtendaseins an der Universität Cambridge bedeutete. Russell war bestürzt über die Kriegseuphorie in der britischen Öffentlichkeit, versuchte, Kollegen in der Wissenschaft zum Protest zu mobilisieren, agitierte gegen die Wehrpflicht. Sein Engagement kostete ihn 1916 die Dozentenstelle in Cambridge und trug ihm 1918 sechs Monate Haft ein.
"Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges erschütterte mich in vielen meiner Überzeugungen und ließ mich über eine Reihe grundlegender Probleme völlig neu nachdenken."
Russell: "Ich bin nicht gegen alle Kriege"
Zwei Fragen nahmen in Russels Überlegungen seither immer mehr Raum ein: Wie ließ sich eine stabile globale Friedensordnung herstellen? Und, fast wichtiger noch: Welche Möglichkeiten gab es, Gesellschaften durch demokratische Reformen gegen Militarismus zu immunisieren? Themen, deren Dringlichkeit ins Ungemessene zu wachsen schien, als drei Jahrzehnte nach dem Ersten Weltkrieg Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki fielen. Die Drohung des globalen nuklearen Untergangs wurde zum beherrschenden Thema in Russells letzten Lebensjahrzehnten. Dabei lag ihm, wie er betonte, keineswegs am Frieden um jeden Preis."
"Ich war niemals im theoretischen Sinne Pazifist. Der Erste Weltkrieg schien mir von allen Seiten eine bloße Dummheit. Beide Seiten hätten den Krieg vermeiden können. Ich habe damals gesagt: Ich bin nicht gegen alle Kriege, nur gegen diesen Krieg. In gewissen Fällen scheint mir der Krieg ganz und gar nötig."
So unterstützte Russell im Zweiten Weltkrieg den Kampf der Alliierten gegen das Dritte Reich. Eine Zeit lang erwog er auch, die Weltregierung, die ihm für das Überleben der Menschheit unerlässlich schien, notfalls mit militärischen Mitteln durchzusetzen.
Die USA und Israel im Visier
Russell setzte auf das Konzept, die Außenpolitik von Staaten und Regierungen durch eine mobilisierte Zivilgesellschaft zu beeinflussen. Wissenschaftlern schrieb er eine über Fächergrenzen hinausreichende Verantwortung für das Wohl der Menschheit zu. So wie er 1915 einen Appell an die Intellektuellen Europas richtete, ihre Stimme gegen den Ersten Weltkrieg zu erheben, trat er 1955 mit dem Russell-Einstein-Manifest gegen Atomwaffen an die Öffentlichkeit und initiierte 1967 mit dem französischen Philosophen Jean-Paul Sartre ein internationales Tribunal zur Kriegsführung der USA in Vietnam. Noch drei Tage vor seinem Tod am 2. Februar 1970 formulierte er einen Appell an die Regierung Israels zum Rückzug aus den im Sechstagekrieg eroberten Gebieten.
[*] Anmerkung d. Redaktion: Wir haben eine falsche Jahreszahl korrigiert.