"Auf den frischabgeernteten Rübenfeldern geht es sich im Nebeldunst leicht hin, man lässt die Linien der nahen und fernen Erdwellen um sich schwingen, und das Nahe und Ferne ist dicker oder dünner Bodensatz aus der Luft, leicht und wolkig niedergesenkt, so leicht, als wolle er bei einem Schrei oder Nießen wallen und wieder hochstäuben."
November 1932, Ernst Barlach liest aus den "Güstrower Fragmenten", biografischen Aufzeichnungen aus den Zehnerjahren. Damals hatte er das einfache Leben für sich entdeckt, das ihm zur Inspiration wurde. Als Barlach diese Stelle einsprach, befand sich der Dramatiker und Bildhauer auf dem Höhepunkt seines Ruhms.
Kunsthistoriker: Barlachs Skulpturen bieten das Elementare
Der am 2. Januar 1870 bei Hamburg geborene Künstler gilt heute als Expressionist, doch ist damit noch lange nicht alles gesagt. Der Kunsthistoriker Joachim Heusinger von Waldegg erklärt Barlachs Skulpturen:
"Sie sind in dem Sinne vereinfacht schlicht oder auch fast grobschlächtig auf einen formalen Nenner gebracht, das sie auch woanders verstanden werden können, zum Beispiel in China. Das macht vielleicht auch die Modernität des Expressionismus aus, dass er das Elementare, das Ursprüngliche sucht, das Vereinfachte. Und doch, wenn Sie so eine Figur wie in der Antoniterkirche in Köln den 'Schwebenden Engel' sehen, in diesem engen Raum, wie der schwebt, dann ist das etwas, was sozusagen einen religiösen Charakter in der Plastik verkörpert. Das heißt, es gibt immer eine Spannung zwischen Körper und Geist. Das Geistige ist nicht frei Haus zu haben, sondern das muss erkämpft werden."
Den "Schwebenden Engel" hatte Barlach 1927 für den Dom in Güstrow geschaffen. Dort hing er zehn Jahre, bis Barlachs Werk als entartet galt; 1941 wurde die Bronze eingeschmolzen. Ein Zweitguss überdauerte die NS-Zeit und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in der Kölner Antoniterkirche installiert. Der unter einem Gewand verborgene Körper schwebt mit auf der Brust gekreuzten Armen im Raum, den Kopf angehoben, die Augen geschlossen. Ihm seien damals die Gesichtszüge von Käthe Kollwitz in die Gestaltung des Engelkopfes eingeflossen, schrieb Barlach in einem Brief.
Vom Kriegsfreund zum Antikriegskünstler
Wie seine Bildhauer-Kollegin war er ein Geläuterter. Mehr noch als Kollwitz hatte er den Ersten Weltkrieg euphorisch begrüßt, um ihn wenig später als humane Tragödie zu beklagen. Noch 1914 hatte er seinen martialischen "Rächer" modelliert, ein Jahr später zeichnete er Massengräber. "Hier wird er zu einem Antikriegskünstler halt, wenn auch primär in der Graphik, weil das natürlich eine andere Dimension hat", erläutert Kunsthistoriker Joachim Heusinger von Waldegg. "Und da steht er in einem breiten Umfeld des aktivistischen Expressionismus, und das ist sehr deutsch."
Seit den Zwanzigerjahren verfasste Barlach neben anderen Texten sechs Dramen, er zeichnete und schuf Druckgrafiken und zahlreiche Skulpturen. Die wohl bedeutendste ist seine Figurengruppe für den Magdeburger Dom, die sechs vom Grauen erstarrte Soldaten zeigt. Über fast ein Jahrzehnt zog sich die Vergabe des offiziellen Auftrags hin. 1929 wurde das Ensemble probeweise aufgestellt.
Für Barlach ging es bei solchen Aufträgen niemals um die Rechtfertigung oder das Beklagen der Kriegsopfer, sondern um die Transzendenz des Leidens. Barlach über sein Werk: "Die Erschütterung der Todgeweihten durch Leiden brachte ihnen nicht den Zusammenbruch, sondern ließ sie in eine höhere Sphäre hinaufgelangen, wo kein Sinnloses mehr schreckt (...) Das große Grabkreuz des Massentodes ist schicksalhaft zwischen sie gestellt; zwar eint sie ein furchtbares Verhängnis, aber sie sind der schwersten Mahnung gewachsen."