Er hatte es geschafft. Der 48-jährige Carl Laemmle stand inmitten eines gigantischen Spektakels auf einem Autodach und blickte über das Gelände seines neu erbauten Freiluft-Studios: Mit großen Werbeanzeigen hatte er über 20.000 Zuschauer in einen kleinen Ort bei Los Angeles gelockt:
"Seht, wie wir Häuser abfackeln und Autos zu Schrott fahren, wo die verrücktesten Dinge passieren. Kommt am 15. März 1915 zu Universal City und besucht die Eröffnung des größten Filmstudios der Welt!"
Es war die Geburtsstunde der Filmstadt und der vorläufige Höhepunkt des rasanten Aufstiegs eines armen deutschen Einwanderers, der als Siebzehnjähriger mit nur 50 Dollar nach Amerika aufgebrochen war.
Karrierebeginn in einem Bekleidungsgeschäft
Carl Laemmle, am 17. Januar 1867 in Laupheim bei Ulm als zehntes Kind eines jüdischen Vieh-Händlers geboren, hatte zunächst eine Kaufmanns-Lehre absolviert. Nach dem plötzlichen Tod der Mutter hielt ihn nichts mehr in der Heimat.
In den Staaten schlug er sich mit Gelegenheitsjobs durch und machte schließlich Karriere in einem Bekleidungsgeschäft bei Chicago. 1906 aber warf er alles hin und investierte sein Erspartes in ein so genanntes Nickelodeon, eine Frühform des Kinos:
"Ich wollte etwas anderes tun. Ich besaß 3.000 Dollar und war fest entschlossen, ins Filmgeschäft einzusteigen. Ich lief durch die Milwaukee Avenue und sah vor einem Nickelodeon Tausende von Menschen stehen. Hier traf ich meine Entscheidung."
Nickelodeons waren schmuddelige Vorführbuden für kleine Filmchen, die überall wie Pilze aus dem Boden schossen. Laemmle aber baute sein Nickelodeon zum komfortabelsten Lichtspielhaus der Stadt um.
Selbstbewusst kämpfte Laemmle gegen das Film-Monopol
Das Publikum strömte und Laemmle expandierte. In kurzer Zeit gehörten ihm 50 Kinos. Bald schon begann er, statt Filme zu kaufen, sie mit anderen Kinobetreibern zu tauschen und stieg mit dieser genialen Idee zum erfolgreichsten Verleih der USA auf. Selbstbewusst annoncierte er 1908:
"Ich bin der Mann des Filmgeschäfts. Ich werde Männern wie Frauen helfen, in das Geschäft einzusteigen, indem ich ihnen helfe, ein profitables Programm zu erstellen. Die Gelegenheit ist Gold wert."
Der Markt boomte. 1909 startete er seine eigene Produktion, forderte aber die New Yorker Motion Picture Patents Company heraus, weil er keine Lizenzgebühren zahlte. Damit machte er sich zum Sprachrohr vieler unabhängiger Produzenten. Der mächtige Trust um den Erfinder Thomas Edison besaß praktisch das Monopol auf Filmtechnik und versuchte ihn mit Klagen zu ruinieren. Laemmle reagierte mit Spott:
"Wenn jemand versucht sie unter Druck zu setzen, treten sie ihm schwungvoll in den Allerwertesten, und ich werde den Schaden bezahlen."
Sein Antikriegsfilm "Im Westen nichts Neues" gewann den Oscar
1912 wurde der Trust vom Obersten Gerichtshof wegen unerlaubter Monopolbildung zerschlagen. Laemmle standen nun alle Möglichkeiten offen. Im gleichen Jahr noch gründete er Universal Pictures und zog dank seines untrüglichen Geschäftssinns ins sonnige Kalifornien: Hier waren die Löhne niedriger, das Wetter stabiler, das Licht heller und die Bodenpreise billiger. Er kaufte eine 170 Hektar große Hühnerfarm und baute dort das modernste Filmstudio der USA.
Andere Produzenten von der Ostküste zogen nach. Eine Völkerwanderung an Technikern, Schauspielern und Kameraleuten setzte ein. Laemmle erkannte als erster das Potenzial des Star-Ruhms, machte Schauspieler wie Mary Pickford und Rudolph Valentino zu Stummfilm-Ikonen und verdiente Millionen mit ihnen.
Neben hunderten Streifen für den Massengeschmack produzierte er viele Klassiker wie "Der Glöckner von Notre Dame". Seine wichtigste Produktion aber wurde 1930 der Oscar-gekrönte Antikriegsfilm "Im Westen nichts Neues", der den blinden Hurra-Patriotismus entlarvte:
"Und wenn es sein muss, in vorderster Linie gegen den Feind zu stürmen für Kaiser, Gott und Vaterland. Dafür bereit zu sein, das ist die wahre Tugend." - Filmzitat -
Hunderte Juden rettete er vor Nazi-Verfolgung
Doch die Folgen der Weltwirtschaftskrise und die immensen Kosten durch die Umstellung auf den Tonfilm brachten Laemmle und seine Universal in Bedrängnis. Mit billig produzierten Horrorfilmen versuchte er das Blatt zu wenden.
Filme wie Dracula mit Bela Lugosi und Frankenstein mit Boris Karloff nahm das Publikum begeistert auf. Doch es reichte nicht. Die wachsende Konkurrenz der anderen Studios zwang ihn 1936 zum Verkauf. In seinen letzten drei Lebensjahren widmete er sich nur noch humanitären Aufgaben.
Hunderten von jüdischen Familien, die vor den Nazis auf der Flucht waren, rettete er durch Einwanderungsbürgschaften das Leben. Nach einem Herzinfarkt starb Carl Laemmle 1939 kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs.