"Der konnte massieren, so dass Sie hinterher mit Hämatom zu Bette lagen, also mit Bluterguss. Der konnte, wenn Sie einer Diät anheimgestellt wurden, Sie vor ganz, ganz kleine Tellerchen setzen, mit Gäbelchen und Messerchen, und da bekamen Sie dann ein halbes Kartöffelchen auf Ihr Tellerchen gelegt, und er sagte: Guten Appetit!"
Gerhard Danzer, Chefarzt der Klinik für Psychosomatik an den Ruppiner Kliniken, hat seine Doktorarbeit über den "wilden Analytiker" geschrieben, wie Georg Groddeck sich selber nannte.
Gerhard Danzer, Chefarzt der Klinik für Psychosomatik an den Ruppiner Kliniken, hat seine Doktorarbeit über den "wilden Analytiker" geschrieben, wie Georg Groddeck sich selber nannte.
"Also, der hatte durchaus etwas rabiat der Krankheit-zu-Leibe-rücken-Wollendes. Krankheit, Dich werde ich packen!"
Schlimmstenfalls sprang Groddeck - auch äußerlich eine imposante Erscheinung - mit angezogenen Knien jählings auf den Bauch des Patienten, um diesen gegen sein Körpergewicht anatmen zu lassen.
Schlimmstenfalls sprang Groddeck - auch äußerlich eine imposante Erscheinung - mit angezogenen Knien jählings auf den Bauch des Patienten, um diesen gegen sein Körpergewicht anatmen zu lassen.
Einer der allermerkwürdigsten Menschen
"Aus der Abwehrbewegung gegenüber dem Schmerz wuchs bei seinen Patienten der Heilungswille. Doch das Wesentliche an Groddeck war seine schweigende Gegenwart. Wenn man bei ihm war und er nach gar nichts fragte, fiel einem mehr ein als sonst bei geschicktesten Analytikern", schrieb der Philosoph Hermann Graf Keyserling 1934 in einem Nachruf auf "einen der allermerkwürdigsten Menschen", denen er jemals begegnet sei.
Georg Groddeck kam am 13. Oktober 1866 in Bad Kösen an der Saale als Sohn eines Kurarztes zur Welt. Nach dem Medizinstudium in Berlin wurde er Assistent von Ernst Schweniger, dem Leibarzt von Reichskanzler Otto von Bismarck. 1900 eröffnete Groddeck in Baden-Baden sein eigenes Sanatorium. Der schwierige Fall eines gewissen "Fräulein G." bewog ihn 1909 dazu, sich ganz auf das Unbewusste zu konzentrieren, auf das von ihm so genannte "Es" – ein Begriff, den Sigmund Freud später von ihm übernehmen sollte. Aber, so Gerhard Danzer:
"Das Groddecksche Es, das ist viel, viel anarchischer und viel weiter, viel imposanter, viel unausrechenbarer als das Freud‘sche Es."
Krankheiten verstand er als Schöpfungen des Es
Alles, was der Mensch will und tut, war für Groddeck letztlich eine Schöpfung dieses Es - auch die Krankheit mit all ihren Symptomen, egal ob Schmerz, Schwindel, Schnupfen, Heiserkeit, Lungenentzündung, Gallensteine, Bettnässen oder Impotenz. In seinem "Buch vom Es", einer Sammlung von fiktiven Briefen des Ich-Erzählers "Patrik Troll" an eine namenlose Freundin, sprach Groddeck 1923 von der "Höllenbrut der unbewussten Welt". In seinen Fantasien und freien Assoziationen, die oft sexuelle Bezüge herstellten, tat er sich keinerlei Zwang an.
"Wenn Sie als Frau mit einem Uterus-Karzinom, also Krebserkrankung der Gebärmutter, zu Groddeck gekommen wären, hätte es ihnen passieren können, dass dieser Mann mit dem Brustton der Überzeug Ihnen deutlich macht: Das ist eine Scheinschwangerschaft. Das ist eigentlich Wunsch nach Kind", so Danzer.
"Wenn Sie als Frau mit einem Uterus-Karzinom, also Krebserkrankung der Gebärmutter, zu Groddeck gekommen wären, hätte es ihnen passieren können, dass dieser Mann mit dem Brustton der Überzeug Ihnen deutlich macht: Das ist eine Scheinschwangerschaft. Das ist eigentlich Wunsch nach Kind", so Danzer.
Außenseiter mit Charisma
Freud, mit dem Groddeck über viele Jahre hinweg korrespondierte, war fasziniert von dem unorthodoxen Kollegen, der zwischen körperlichen und seelischen Symptomen prinzipiell nicht mehr unterschied und sich jeder Systematik kategorisch verweigerte. Er ebnete Groddeck den Weg in die Psychoanalytische Vereinigung und den Internationalen Psychoanalytischen Verlag, wo 1921 auch sein Roman "Der Seelensucher" erschien. Trotzdem blieb Groddeck ein Außenseiter. Aber er hatte Charisma.
Gerhard Danzer: "Und - er konnte Patienten behandeln. Damals, genauso wie heute, gibt's diesen Satz: Wer heilt, hat Recht. Auch wenn man nicht so recht weiß, warum man heilt, aber, immerhin, er hat zum Teil Patienten, die von den anderen Medizinern als verloren oder als chronifiziert deklassiert oder eingeordnet wurden, die hat er zum Teil wieder so weit stabilisiert, dass die mit Lebensqualität weiterleben konnten."
Gerhard Danzer: "Und - er konnte Patienten behandeln. Damals, genauso wie heute, gibt's diesen Satz: Wer heilt, hat Recht. Auch wenn man nicht so recht weiß, warum man heilt, aber, immerhin, er hat zum Teil Patienten, die von den anderen Medizinern als verloren oder als chronifiziert deklassiert oder eingeordnet wurden, die hat er zum Teil wieder so weit stabilisiert, dass die mit Lebensqualität weiterleben konnten."
Mit dem Es ins Gespräch kommen
Auf die Frage, wie Heilung zustande kommt, wusste auch Georg Groddeck, der am 11. Juni 1934 in Kronau in der Schweiz an den Folgen einer generalisierten Arteriosklerose starb, keine Antwort. Als Arzt und Wegbereiter der modernen Psychosomatik sah er seine Aufgabe darin, mit dem Es ins Gespräch zu kommen. Wenn es sich ihm widersetzte, hatte er aber auch kein Problem damit, den Spieß umzukehren, so Danzinger:
"Wenn Sie bei Groddeck längere Zeit Patientin gewesen wären, und die Krankheit hätte sich nicht hin zum Besseren entwickelt, hätte er Sie irgendwann bei einer Visite sehr brüsk gefragt: Was haben Sie gegen mich?!"
"Wenn Sie bei Groddeck längere Zeit Patientin gewesen wären, und die Krankheit hätte sich nicht hin zum Besseren entwickelt, hätte er Sie irgendwann bei einer Visite sehr brüsk gefragt: Was haben Sie gegen mich?!"