Im Dezember 1918, während eines Besuchs in München, erlebte der Romanist Victor Klemperer einen öffentlichen Auftritt des bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner:
"Eisner kommt dicht an mir vorbei (...) Ein zartes, gebrechliches, winziges, gebeugtes Männchen. Nichts Heroisches ist an der … Gestalt (...) Aber eines ist mir gewiss geworden: Er herrscht in Bayern, er ist im Volk verankert, das ihn wie einen Gott verehrt. Vielleicht wird er bald fallen, aber zur Zeit stützt er sich gewiss auf das Volk."
Eisner fiel bald. Am 21. Februar 1919 wurde er von dem Leutnant und Jurastudenten Anton Graf Arco auf Valley auf offener Straße erschossen. Der Ministerpräsident war auf dem Weg in den Landtag, wo er die Demission seines Kabinetts bekannt geben wollte – eine Konsequenz aus den bayerischen Landtagswahlen vom Januar 1919, die ihm eine herbe Wahlniederlage beschert hatten.
Chefredakteur des "Vorwärts"
Kurt Eisner wurde am 14. Mai 1867 als Sohn eines jüdischen Kaufmanns in Berlin geboren. Er verlebte eine behütete, von materiellen Sorgen freie Kindheit und Jugend. Nach dem Abitur am Askanischen Gymnasium 1886 begann er ein Studium der Philosophie und Literaturgeschichte. Zunächst schwebte ihm eine akademische Laufbahn vor, doch dann entschied er sich für den Journalismus. Er lernte das Handwerk von der Pike auf. 1898 holte ihn Wilhelm Liebknecht, der Chefredakteur des "Vorwärts", in die Redaktion des SPD-Zentralorgans. Nach Liebknechts Tod im Jahr 1900 bestimmte er maßgeblich den Kurs und das Niveau des Blattes.
"Die blankeste Feder des deutschen Sozialismus (...), das vielleicht farbigste, in grazilem Schwung kräftigste Talent unserer Presse."
Von der deutschen Kriegsschuld überzeugt
So rühmte ihn ein anderer prominenter Journalist des Kaiserreichs, Maximilian Harden. 1905, nach einem redaktionsinternen Konflikt, verließ Eisner den "Vorwärts". Nach einer Zwischenstation bei der "Fränkischen Tagespost" in Nürnberg zog er 1910 nach München, wurde Mitarbeiter des dortigen Parteiblatts, der "Münchener Post", und engagierte sich als sozialdemokratischer Bildungspolitiker in Bayern. Schon bald nach Beginn des Ersten Weltkriegs im August 1914 war Eisner davon überzeugt, dass nicht Russland, wie die deutsche Propaganda behauptete, sondern das Deutsche Reich den Krieg vom Zaun gebrochen hatte. Gegenüber den Zensurbehörden, die eine Diskussion der Kriegsursachen verhindern wollten, erklärte er:
"Wo ein solches System doppelter Buchführung, wo ein solches Vertuschen, Verhehlen und Verdunkeln um sich greift, ist (...) die nationale Katastrophe nahe."
Eisner war in Bayern der Kristallisationspunkt des Widerstands gegen den Krieg und unumstrittener Vorsitzender der Münchner Ortsgruppe der 1917 gegründeten "Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands". Ende Januar 1918 gelang es ihm, die Münchner Rüstungsarbeiter für einen Massenstreik zu mobilisieren. Er wurde verhaftet und kam erst im Oktober wieder frei. Am 7. November stürmten Eisner und seine Mitstreiter die Münchner Garnisonen; die Dynastie der Wittelsbacher wurde für abgesetzt erklärt, der "Freistaat Bayern" ausgerufen. Einen Tag später bildeten USPD und SPD eine gemeinsame Regierung, als deren erster Ministerpräsident und zugleich Außenminister Eisner amtierte.
Enzsetzen in der Arbeiterschaft
Seit er die Revolution in Bayern ins Werk gesetzt hatte, war er Zielscheibe heftigster antisemitischer Angriffe. Er wurde der Sympathien mit dem Bolschewismus geziehen, als ostjüdischer Agent verdächtigt, der angeblich "Salomon Kosmanowsky" heiße. Besonders verübelte man ihm, dass er an der deutschen Kriegsschuld nie einen Zweifel ließ und die entsprechenden amtlichen Dokumente aus dem Archiv des bayerischen Außenministeriums veröffentlichen ließ. In einer Notiz, die der Attentäter Graf von Arco vor seiner Tat niederschrieb, gab er als Motiv an:
"Eisner ist Bolschewist, ist Jude, ist kein Deutscher, fühlt nicht deutsch, untergräbt jedes vaterländische Denken u(nd) Fühlen, ist ein Landesverräter."
Die Nachricht von Arcos Mordtat wurde in der Arbeiterschaft mit Entsetzen aufgenommen. Hier hatte Eisner große Sympathien genossen. Beim Staatsbegräbnis säumten Hunderttausende die Straßen. Bis heute ist der Schöpfer des "Freistaats" in Bayern eine Reizfigur geblieben. Erst im November 1989 wurde am Ort seiner Ermordung eine Gedenktafel angebracht.