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150 Geburtstag von Lyonel Feininger
Vom Karikaturisten zum Klassiker der Moderne

Der am 17. Juli 1871 in New York geborene Lyonel Feininger liebte die Idylle - und übersetzte sie in eine abstrakte Formensprache. Die von thüringischen Dorfkirchen oder der Ostsee inspirierten Gemälde des Bauhaus-Lehrers gehören zum Kanon der modernen Kunst.

Von Carmela Thiele |
    Der deutsch-amerikanische Maler Lyonel Feininger, umrahmt von Seelboot-Modellen. Im Hintergrund eines seiner Bilder, das ein Segelboot zum Motiv hat.
    Lyonel Feininger 1932 - immer wieder griff der Maler Segelschiffe als Motiv auf (picture-alliance / dpa )
    Zwei Segelboote spiegeln sich vor einer Flussmündung in der glatten See. Es ist ein dunstiger Tag - der Himmel, das Meer und der Fluss zeigen unzählige Variationen von grau und blau. Lichtschneisen zerschneiden das Bild in horizontale, vertikale und schräge Streifen, die sich überlagern.
    "Regamündung III" entstand 1929, als Lyonel Feininger noch Lehrer am Bauhaus in Dessau war und jeden Sommer mit der Familie nach Treptower Deep in Westpommern, heute Mrzeżyno in Polen, reiste. Vier Jahre später ist er allein dort und schreibt an seine Frau Julia:
    "Könnte ich dir nur etwas von dem Frieden, der Glückhaftigkeit, vermitteln, die hier im kleinen Deep jetzt segnend um mich herum ist."

    Innere Emigration an der Ostsee

    Feininger besingt einen "Himmel von Cölinblau", während seine jüdische Frau in Berlin an Emigration denkt. Die Familie hatte das Meisterhaus in Dessau verlassen müssen, das Bauhaus war aufgelöst. Die Ausreise war eigentlich kein Problem, denn Feininger war amerikanischer Staatsbürger. Er war am 17. Juli 1871 in New York geboren worden und bemühte sich nie offiziell, Deutscher zu werden. Als Hitler an die Macht kam, war er 62 Jahre alt und müde. Er zog sich nach Deep zurück. Dazu der Kunsthistoriker Ulrich Luckhardt:
    "Es waren die Motive, die ihn hier in Deutschland gehalten haben. Seine ganze Bildwelt, die Ostsee-Landschaften, die thüringischen Dorfkirchen, die er erlebt hat in dem Sinne, dass sie sein Universum sind. Und das konnte er zunächst nicht aufgeben."
    Der markante Bauhaus-Schriftzug an der Fassade des Bauhausgebäudes in Dessau-Roßlau leuchtet in bunten Farben.
    100 Jahre Bauhaus - Einheit von Handwerk und Kunst
    Am 1. April 1919 veröffentlichte Walter Gropius das Bauhaus-Manifest: Es entstand das Staatliche Bauhaus Weimar: eine Schule, die den Geist der jungen Weimarer Republik atmete.

    "Wir Karikaturisten aus Innerlichkeit"

    Lyonel Feininger war über Umwege zur Malerei gekommen. Nach ersten Kunststudien arbeitete er als Karikaturist und war dabei äußerst erfolgreich. Ein Brief an seine spätere Frau Julia aus dem Jahre 1905 zeigt, dass ihm die Auftragsarbeit für die Presse nicht zufriedenstellte.
    "Grotesker Gedanke, verdammt zu sein, in ewiger Travestie zu schaffen; Im Innern ein Himmel von Schönheit, die die Alltagsphilister niemals so empfinden können – kein Wunder, dass wir vom 'Bau', wir Karikaturisten aus Innerlichkeit, dass wir alle melancholisch werden."

    Inspiriert vom Kubismus

    Feininger war damals bereits Familienvater. Als er die Kunststudentin Julia kennenlernte, verließ er Frau und Kinder und zog zu ihr nach Weimar und später nach Berlin. Seine ersten Gemälde zeigen Figuren, die von seinen Karikaturen abgeleitet waren. Nachdem er 1911 in einer Pariser Ausstellung erstmals kubistische Werke gesehen hatte, so Ulrich Luckhardt:
    "Da schreibt er denn auch, das Gesehene muss innerlich kristallisiert werden. Also das, was er eigentlich in der Formensprache als Maler noch nicht ausdrücken konnte, hatte er aber irgendwie schon vor Augen. Dass nämlich die Form zertrümmert werden muss, dass der Bildraum neu geordnet werden muss. Und so hat sich dann sukzessive dieser transparente, lichtdurchscheinende Stil entwickelt."

    Motivsuche auf dem Fahrrad

    Um seine Vision zu realisieren, setzte er, wie Ulrich Luckhardt erzählt, traditionelle Verfahren ein. Er fertigte während seiner Wander- und Fahrradtouren rund um Weimar Skizzen an, setzte sie mit Kreide in Schwarzweißkompositionen um, die er anschließend auf die grundierte Leinwand übertrug. Erst dann griff er zur Farbe. Am Bauhaus perfektionierte er diese Arbeitsweise und fand in der Kunstwelt Anerkennung. Mit seinen von Orten wie Gelmeroda, Usedom oder Halle inspirierten, aber von einer abstrakten Formensprache geprägten Bildern hatte er einen eigenen Stil gefunden.
    In der Ausstellung "Feininger – Frühe Werke und Freunde" im Wuppertaler Von der Heydt Museum geht ein Besucher an dem Bild "Selbstportrait mit Tonpfeife" von Lyonel Feininger (1871–1956) aus dem Jahr 1910 vorbei.
    Andreas Platthaus: "Lyonel Feininger. Porträt eines Lebens" - Künstlerisch genial, politisch naiv
    Lyonel Feininger war Meister am Bauhaus und gehört zu den wichtigsten Malern der klassischen Moderne. Der gebürtige US-Amerikaner lebte ein halbes Jahrhundert in Deutschland. Eine neue Biografie zeigt ihn als unpolitischen Künstler in unruhigen Zeiten.
    In der Ideologie des NS-Staats war für moderne Kunst kein Platz. 1937 buchten die Feiningers eine Passage nach New York. Nach einem halben Jahrhundert in Europa sah der Maler seine Heimatstadt mit anderen Augen. Die Wolkenkratzer-Architektur Manhattans faszinierte ihn, aber seine "Naturnotizen" – wie er sie nannte - aus seiner alten Welt rührten an sein Inneres.
    Am 13. Januar 1956 starb Lyonel Feininger im Alter von 84 Jahren in New York. Sein letztes Gemälde "Evening Haze" zeigt eine Abendstimmung: von der Dunkelheit umfangene, niedrige Giebeldächer zwischen unwirklich schimmerndem Dunst. Sein Werk fand weltweit Anerkennung und gehört heute zum Kernbestand aller bedeutenden Gemäldegalerien moderner Kunst.