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Vor 150 Jahren geboren
Otto Braun - der "rote Zar", der Preußen demokratisierte

Der am 28. Januar 1872 in ärmlichen Verhältnisse geborene Otto Braun arbeitete sich an die SPD-Spitze empor und machte als Ministerpräsident Preußen zu einem Bollwerk der Demokratie in der Weimarer Republik. Mit einem Staatsstreich im Juli 1932 putschte ihn Franz von Papen aus dem Amt.

Von Volker Ullrich |
Der preußische Ministerpräsident Otto Braun bei einer Ansprache im Rundfunk auf einem Foto von etwa 1930
Der preußische Ministerpräsident Otto Braun um das Jahr 1930 während einer Rundfunk-Ansprache (picture-alliance / akg-images)
„Deutsche Frauen und deutsche Männer! Mit dem heutigen Tage bin ich durch den Herrn Reichspräsidenten zum Reichskommissar für Preußen bestellt worden. In dieser Eigenschaft habe ich aufgrund der mir erteilten Vollmachten den bisherigen preußischen Ministerpräsidenten Braun und den preußischen Minister des Inneren Severing ihrer Ämter enthoben."
Mit diesen Worten wandte sich Reichskanzler Franz von Papen am Abend des 20. Juli 1932 an die deutsche Bevölkerung. Er begründete die handstreichartige Aktion mit einer angeblichen kommunistischen Bedrohung, gegen die die preußische Regierung nicht genug unternehme. Doch das war nur ein Vorwand. In Wirklichkeit ging es von Papen und der reaktionären Kamarilla um Reichspräsident Hindenburg darum, eine der letzten Machtbastionen der Sozialdemokratie zu schleifen und damit auch den populären SPD-Ministerpräsidenten Otto Braun kaltzustellen, dessen Name wie kein zweiter für den demokratischen Aufbruch in Preußen seit 1918 stand.

Autoritärer Regierungsstil

Geboren wurde Otto Braun am 28. Januar 1872 in Königsberg als zweiter Sohn einer kinderreichen Proletarierfamilie. Mit 16 Jahren schloss er sich der Sozialdemokratie an, und hier machte er rasch Karriere. 1911, mit 39 Jahren, gelang ihm der Sprung in den Parteivorstand, wo er das wichtige Amt des Schatzmeisters übernahm. Nach einem Zwischenspiel als Landwirtschaftsminister in der preußischen Revolutionsregierung von 1918 wurde Braun 1920 Ministerpräsident im größten deutschen Land – ein Amt, das er mit zwei kurzen Unterbrechungen bis zu Papens „Preußenschlag“ 1932 bekleidete.
Der Aufsteiger aus Königsberg war ein sehr machtbewusster Politiker und pflegte einen autoritär-patriarchalischen Regierungsstil. Immer wieder geißelte er die Neigung der SPD auf Reichsebene, sich in die aus der Zeit des Kaiserreichs gewohnte Oppositionsrolle zu flüchten:
„Wir müssen den Willen zur Macht haben. Der ganze Apparat funktioniert erst, wenn man selbst die Hand am Steuer hat.“

Die Demokratisierung Preußens zum Ziel

Dabei verlor Otto Braun sein wichtigstes Ziel niemals aus den Augen: Preußen, vor 1918 ein vordemokratischer Obrigkeitsstaat, sollte zu einem Hort republikanischer Zuverlässigkeit umgeformt werden. Unter seiner Führung machte die Demokratisierung von Verwaltung und Polizei beachtliche Fortschritte. Nicht ohne Stolz blickte der Ministerpräsident im September 1930 auf das bisher Geleistete zurück:
„Das alte monarchische Preußen, das die Hugenberg und Konsorten anstreben, unterdrückte brutal die Freiheit der Gesinnung, stellte den Staatsapparat rücksichtslos in den Dienst konservativ-junkerlicher Herrschsucht und großkapitalistischer Profitinteressen. Das neue demokratische, republikanische Preußen dagegen gewährleistet die Freiheit der Gesinnung und der Betätigung auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens.“

Der „rote Zar von Preußen"

Doch mit der Weltwirtschaftskrise, der Etablierung eines Präsidialregimes auf Reichsebene und der allgemeinen Radikalisierung im Zuge des Aufstiegs der NSDAP Anfang der 30er-Jahre wurde es für Braun immer schwieriger, seine Koalition aus Sozialdemokraten, katholischem Zentrum und liberaler Deutscher Staatspartei zusammenzuhalten. Bei den Wahlen zum Preußischen Landtag am 24. April 1932 verlor die Regierung ihre Mehrheit, blieb aber geschäftsführend im Amt. Der „rote Zar von Preußen", wie Braun von seinen Gegnern genannt wurde, zeigte nun deutliche Anzeichen von Resignation. Einem Freund vertraute er in diesen Tagen an:
„Ich bin so ziemlich am Ende meiner Kraft und sehne den Tag herbei, an dem ich aus dem Amt scheiden kann."

Nach 1945 nahezu vergessen

Papens Staatsstreich vom Juli 1932 traf also auf einen Ministerpräsidenten, der innerlich bereits aufgegeben hatte. Anfang März 1933, nach Warnungen vor einer drohenden Verhaftung, flüchtete Otto Braun in die Schweiz. Dass gerade er, der lange Zeit als letztes Bollwerk der demokratischen Republik gegolten hatte, sich als erster prominenter Sozialdemokrat ins Ausland absetzte, haben ihm viele seiner Parteifreunde nicht verziehen. In der Nachkriegspolitik der SPD sollte Braun keine Rolle mehr spielen. Als er am 15. Dezember 1955 starb, war er weithin vergessen.