
Die kleine Taufliege Drosophila melanogaster, zu Deutsch "die tauliebende Schwarzbäuchige", ist seit über hundert Jahren eines der beliebtesten Labortiere der Genforschung.
"Kleine Kerlchen. Die Sorte Fliegen, die Sie auch im Supermarkt auf einer Ananas finden."
Der Entwicklungsbiologe Ethan Bier züchtet die Fliegen in seinem Labor an der Universität von Kalifornien in San Diego. Er untersucht das Zusammenspiel ihrer Gene bei der Entstehung des Organismus. Seine Arbeit basiert auf Erkenntnissen des Fliegenpioniers Thomas Hunt Morgan.
"Es gibt keinen Zweifel: Morgan und seinen Schülern gebührt der Respekt für die Gründung dieses Forschungsfeldes."
Thomas Hunt Morgan stammte vom Lande; geboren wurde er am 25. September 1866 in Kentucky. Dort studierte er Zoologie. Als um 1900 die Mendelschen Regeln von mehreren Genetikern in Europa wieder entdeckt wurden, nachdem sie 35 Jahre vergessen waren, wollte er die Ursache dieser Gesetzmäßigkeit ergründen. Als Zoologie-Professor an der Columbia-Universität in New York experimentierte er zunächst mit Mäusen, dann mit Meerschweinchen und Tauben. Aber seine Versuche schlugen fehl. Hartnäckig suchte er nach einem geeigneten Versuchstier, und schließlich fiel die Wahl auf Drosophila melanogaster.
Nach Einschätzung der Wissenschaftshistoriker Hans-Jörg Rheinberger und Staffan Müller-Wille war das der Durchbruch für die Genetik.
"Der Übergang zu einem Modellorganismus, der sich relativ einfach in Massenzuchten vermehrte und pro Jahr 20 bis 30 Vermehrungszyklen durchlief, kann in seiner Bedeutung für die Entwicklung der klassischen Genetik gar nicht hoch genug geschätzt werden."
Der Fliegenraum
Auf ein repräsentatives Büro legte Thomas Hunt Morgan keinen Wert. Sein Arbeitszimmer wurde bald nur noch "Der Fliegenraum" genannt: Tierkäfig, Labor, Büro und Aufenthaltsraum in einem. Hier erforschte er gemeinsam mit seinen Assistenten die Gesetze der biologischen Vererbung. Der Sachbuchautor Sam Kean beschreibt den Fliegenraum sehr anschaulich in seinem Buch: "Doppelhelix hält besser".
"Raum 613 im Gebäude Schermerhall war nur fünf mal sieben Meter groß und mit acht Arbeitstischen vollgestellt. In leeren Milchflaschen lebten Tausende Fruchtfliegen glücklich und zufrieden. Hatte eine Flasche keine interessanten Exemplare hervorgebracht, zerquetschte Thomas Hunt Morgan die Tiere mit dem Daumen und schmierte ihre Eingeweide irgendwo hin, oft in Laborjournale."
An den kleinen Fliegen konnte Thomas Hunt Morgan viele ungewöhnliche Details entdecken - mit bloßem Auge, mit der Lupe oder mit einem einfachen Mikroskop.
Es ging um Merkmale wie weiße oder rote Augen, zusätzliche Borsten an den Fühlern, Zeichnungen auf dem Körper oder veränderte Flügel oder Mundwerkzeuge. Diese äußeren Merkmale sind direkte Folgen einer genetischen Veränderung, erklärt Fliegenforscher Ethan Bier.
"Er suchte nach Mutationen, die man von außen sehen konnte. Dabei lautete seine Frage stets: Welche sichtbaren Merkmale werden gemeinsam vererbt und welche vererben sich getrennt voneinander? Er vermutete: Wenn Merkmale sich gemeinsam vererben, liegen sie auf einem Chromosom dicht beieinander."
Aufgereiht wie auf einer Perlenschnur
Thomas Hunt Morgan konnte zeigen: Die Gene liegen auf den Chromosomen, aufgereiht wie Perlen auf einer Schnur. Schon bald konnten er und seine Assistenten eine erste Genkarte erstellen. Sie legte den Grundstein für die spätere Genforschung.
Bemerkenswert ist die Arbeitsweise im Fliegenraum. Statt wie damals für Professoren üblich, hochmütig auf seine Mitarbeiter herabzublicken, schätzte Thomas Hunt Morgan die Arbeit seiner Assistenten. Er motivierte sie und trieb sie zu Höchstleistungen.
Es galt an der New Yorker Columbia Universität als besondere Ehre, einen der kleinen Arbeitstische im Fliegenraum zu erhalten.
Wer dort was entdeckte, lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren. Denn stets schmückte sich Thomas Hunt Morgan mit den Forschungsergebnissen seiner Mitarbeiter. Dieses Erfolgsrezept gilt in der Wissenschaft bis heute: Gearbeitet wird im Team, nach außen glänzt der Professor. Thomas Hunt Morgan erhielt 1933 den Nobelpreis für Physiologie und Medizin.