"Mein lieber Thonet, in Boppard werden Sie immer ein armer Mann bleiben. Gehen Sie nach Wien! Ich will Sie dort bei Hofe empfehlen. Die Fahrt soll Sie nichts kosten. Sie können mit meinem Kabinettskurier reisen."
Fürst Klemens von Metternich, seit dem Wiener Kongress der mächtigste Mann Europas, sorgt sich im Herbst 1841 um das Schicksal eines Schreinermeisters. Michael Thonet ist dem österreichischen Außenminister beim Besuch einer Gewerbeausstellung in Koblenz aufgefallen. 1796 im benachbarten Boppard geboren, konnte er sich eine Werkstatt mit einem Dutzend Gesellen aufbauen. Nun aber steht der Mittvierziger vor dem Bankrott.
Um seine neuartigen Bugholzmöbel auch im Ausland anzubieten, musste der Erfinder Kredite aufnehmen. Denn in Frankreich, Belgien und England sind hohe Gebühren fällig für Thonets Patent: "Jede, auch selbst die sprödeste Gattung Holz auf chemisch-mechanischem Wege in beliebige Formen und Schweifungen zu biegen."
Thonets Bugholz-Möbel: leichter, stabiler, billiger
Dünne Holzlagen werden in siedendem Wasser erhitzt, extrem gebogen und in mehreren Schichten übereinander verleimt. Dadurch sind Bugholz-Produkte leichter, stabiler und billiger als konventionelle, aus Massivholz geschreinerte Stücke. Fürst Metternich lässt sich drei Muster vorführen: Sessel, Spazierstock und hölzernes Wagenrad.
Aus Wien berichtet Thonet der daheim gebliebenen Familie: "Es machte dem Fürsten eine außerordentliche Freude, er schaukelte sich auf dem Sessel hin und her."
Größten Gefallen findet Metternich am "Thonetschen Wagenrad". Leicht und zugleich äußerst solide konstruiert, das wäre ideal für Geschützlafetten. Der Außenminister denkt an sein Militär – und vergisst darüber, Thonets Möbel bei Hofe oder in Adelskreisen zu empfehlen.
Größten Gefallen findet Metternich am "Thonetschen Wagenrad". Leicht und zugleich äußerst solide konstruiert, das wäre ideal für Geschützlafetten. Der Außenminister denkt an sein Militär – und vergisst darüber, Thonets Möbel bei Hofe oder in Adelskreisen zu empfehlen.
Durchbruch mit dem Wiener Kaffeehaus Daum
Für den Neuankömmling aus dem Rheinland ist das eine bittere Erfahrung. Doch nach einigen harten Jahren holt der Schreinermeister seine fünf Söhne nach Wien, eröffnet ein Möbelgeschäft und erhält endlich den ersehnten Großauftrag:
"Daum’s Kaffeehaus haben wir einzurichten von Mahagoni, nämlich 4 Dutzend Sessel, 20 Banketten rings um die Wände, 16 Tische, 1 Kredenzkasten und einige Etagèren. Unser Geschäft vergrößert sich von Tag zu Tag. Nach Triest haben wir wieder eine große Bestellung, die Arbeit wird uns jetzt hoffentlich nicht mehr ausgehen."
Stuhlbeine, Sitzfläche und Lehne aus einem einzigen Holzstück
Mit einem Musterstuhl aus dem Café Daum reist Thonet 1851 zur Weltausstellung in London – und kehrt mit prall gefülltem Auftragsbuch zurück. Beim Handel mit Südamerika aber zeigt sich ein gravierendes Problem: In tropischer Feuchtigkeit gehen die gebogenen Schichthölzer aus dem Leim. Über Monate experimentieren die Thonets. Schließlich können sie 1856 das Patent für das Biegen von Massivholz beantragen.
Mit dieser entscheidenden Erfindung ist ihre Firma in der Lage, Stuhlbeine, Sitzfläche und Lehne aus einem einzigen Holzstück zu fertigen. Diese Einzelteile lassen sich ohne großen Aufwand transportieren und werden an Ort und Stelle zusammengeschraubt.
Im Messekatalog heißt es: "Mit vollkommener Dauerhaftigkeit und Eleganz ist eine ausnehmende Leichtigkeit gegeben sowie eine angenehme Elastizität bei verhältnismäßig sehr geringem Holzaufwand."
Im reduzierten Biedermeier-Design, ohne überbordendes Dekor oder historisierende Stilelemente, produziert Thonet praktische Möbel für das bürgerliche Publikum. So erschließt der verhinderte Hoflieferant den Weltmarkt. Stets um neue Geschäftsideen und Verbesserung der Arbeitsabläufe bemüht, legt er nicht einmal während der kurzen Mahlzeiten im Kreis seiner Familie den Bleistift aus der Hand.
Als Michael Thonet am 3. März 1871 in Wien stirbt, verfügt seine Firma über vier große Fabriken. Exklusive Filialen in Budapest, Berlin, Amsterdam, Paris und London bürgen für das Renommee der Marke. Und den Ritterschlag erhält der Schreinermeister aus Boppard posthum, als der Architekt Le Corbusier 1925 auf der Pariser Kunstgewerbeausstellung die Möbel der Zukunft präsentiert:
"Wir haben den schlichten Thonetstuhl aus gebogenem Holz ausgewählt, der zweifellos der gewöhnlichste und billigste Stuhl ist. Und wir glauben, dass dieser Stuhl, der in Millionen von Exemplaren auf dem europäischen Festland und in beiden Amerika in Gebrauch ist, Adel besitzt."