Felix Mendelssohn Bartholdy fügt sich wie selbstverständlich ein in die Reihe bedeutender deutschsprachiger Komponisten des 19. Jahrhunderts, in eine Reihe mit Beethoven, Schubert und Schumann bis zu Wagner, Brahms und Bruckner. Weitgehend unbekannt, zumindest als Komponistin, blieb seine dreieinhalb Jahre ältere Schwester Fanny.
Obwohl mit ähnlichem Talent versehen, auch in der Ausbildung durchaus gefördert, war es ihr in der Zeit des Biedermeier nicht vergönnt, ja es war ihr weitgehend verboten, ihre Werke drucken zu lassen. Dennoch genoss sie durch ihr Engagement bei der Präsentation von Musik großes Ansehen - und akzeptierte die schwierige Rolle, hinter dem Bruder zurückstehen zu müssen.
Ein kulturelles und künstlerisches Elternhaus
"Lea findet, das Kind habe Bach‘sche Fugenfinger.": So schildert der Vater Abraham Mendelssohn den ersten Eindruck, den die kleine Fanny schon als Neugeborene 1805 auf ihre Mutter gemacht haben soll. Elterliche Übertreibung gewiss, doch es bezeichnet die Atmosphäre und Erwartung, die in der Familie Mendelssohn herrschte.
Es ist ein Kunst und Kultur zugewandtes Klima, in das Fanny als Erstgeborene hineinwächst. Dreieinhalb Jahre später wird Felix geboren, der zukünftige Star der Familie. Dazu die Musikwissenschaftlerin Beatrix Borchard:
"Sie war ein Mädchen, dummerweise, und er war erfreulicherweise ein Junge, das heißt, sie durfte auch alles Mögliche machen, vor allem mit ihm, aber es gab eben dieses Damoklesschwert bis hier und nicht weiter.“ - das macht der Vater in einem Brief an die 15-Jährige unmissverständlich klar.
"Was du mir über dein musikalisches Treiben im Verhältnis zu Felix geschrieben, war ebenso wohl gedacht als ausgedrückt. Die Musik wird für ihn vielleicht Beruf, während sie für dich stets nur Zierde, immer Bildungsmittel, Grundbass Deines Seins und Tuns werden kann und soll. Beharre in dieser Gesinnung und diesem Betragen. Sie sind weiblich, und nur das Weibliche ziert und belohnt die Frauen.“
"Sie kannte jede Note, die ihr Bruder komponiert hat - und umgekehrt"
Zwischen den beiden ältesten Geschwistern Fanny und Felix habe eine nahezu symbiotische Beziehung bestanden, sagt Beatrix Borchard. Nicht nur, weil beide viel zusammen Klavier spielten: "sie kannte jede Note, die ihr Bruder komponiert hat und umgekehrt auch.".
So könne man tatsächlich davon sprechen, dass die beiden "eine Art Korrespondenz in Tönen" führten. – Ein Verhältnis, das sich in ungezählten Briefen und Tagebucheinträgen immer wieder beweist und bis zu Fannys Lebensende fortdauern wird:
"Adieu, mein Hamletchen! Vergiss nicht, dass Du meine rechte Hand und mein Augapfel bist, dass es also ohne Dich auf keine Art mit der Musik rutschen will."
Hermetische Geschwister-Kommunikation
Die Musik, so Beatrix Borchard sei die eigentliche Sprache für diese Kinder gewesen "nicht die Wortsprache, das heißt, in dieser Sprache ohne Worte konnte was geschützt werden, was von außen auch unangreifbar war.“
Ich sage dir Fanny, dass ich an gewisse Stücke von Dir nur zu denken brauche, um recht weich und aufrichtig zu werden. Wenn du einen größern Anbeter brauchst als mich, so kannst Dir ihn malen oder dich von ihm malen lassen.“
Schreibt der Bruder 1830 an seine inzwischen mit Wilhelm Hensel verheiratete Schwester. Eine Anspielung: Hensel ist Maler, kein Musiker. Und, als wäre es abgesprochen, entscheidet auch Felix sich für eine passionierte Vertreterin der Bildenden Kunst als Lebenspartnerin. Denn, so Beatrix Borchard:
„Erstmal ist auch eine romantische Idee natürlich, verschiedene Künste zusammenzubringen, und dann eben, dass das exklusiv ist, diese musikalische Beziehung zwischen den Geschwistern, und da hatten die Partner nichts zu suchen.“
„Erstmal ist auch eine romantische Idee natürlich, verschiedene Künste zusammenzubringen, und dann eben, dass das exklusiv ist, diese musikalische Beziehung zwischen den Geschwistern, und da hatten die Partner nichts zu suchen.“
Wenn Fanny zur Matinee lud
Lange Jahre veranstaltet Fanny in Berlin die sogenannten Sonntagskonzerte, halböffentliche Matineen, wo in höchster Qualität gute, vor allem neueste Musik, aufgeführt wird – auch die eigene. Sie spielt selbst Klavier, komponiert für Orchester, leitet den Chor, ist eine der ersten Frauen, die den Taktstock in die Hand zu nehmen wagt. Und auch hinsichtlich der immer noch restriktiven Gesellschaft des Biedermeier ist sie eine wache Beobachterin.
"Unsere politischen Zustände bleiben sich gleich, das heißt ungleich. Es ist unbegreiflich, was die Pfaffen aller Konfessionen heutzutage wieder für Unheil in der Welt stiften."- Bei der Vorbereitung eines Sonntagskonzertes ereilt sie am 14. Mai 1847 ein Gehirnschlag. Der Berliner Kritiker Ludwig Rellstab notiert:
„Eine tief schmerzliche Nachricht hat uns betroffen: der Tod der Schwester Felix Mendelssohns, Frau Fanny Hensel. Sie trat vorzugsweise mit schönen Liedern in die Öffentlichkeit und machte das Anrecht auf Größeres, das sie vollgültig besaß, nicht geltend.“
„Eine tief schmerzliche Nachricht hat uns betroffen: der Tod der Schwester Felix Mendelssohns, Frau Fanny Hensel. Sie trat vorzugsweise mit schönen Liedern in die Öffentlichkeit und machte das Anrecht auf Größeres, das sie vollgültig besaß, nicht geltend.“
Beatrix Borchard benennt als Beispiel, das Lied "Ich wandere durch die stille Nacht" :"Das ist ein Eichendorff-Text, der mit der bezeichnenden Zeile endet ‚Mein Singen ist ein Rufen nur aus Träumen‘. Und das hat natürlich auch so einen symbolischen Charakter.“