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Vor 90 Jahren in Tirol
Als das Dorf Wörgl ein Freigeld einführte

In der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre wimmelte es von Ideen, die Konjunktur anzukurbeln. Etwa mit einem "Schwundgeld“, das die Tiroler Gemeinde Wörgl 1932 verteilte. Das erfolgreiche Experiment wurde weltweit beachtet. Durchsetzen konnte es sich nicht.

Von Bert-Oliver Manig |
Alte österreichische Schillingmünzen, die von 1925 bis 938 in Umlauf waren
Alte österreichische Schillingmünzen (Imago images/blickwinkel)
„Bankrott ist Bankrott, Unterguggenberger! Wörgl kann den Konkurs anmelden, so wie Kirchbichl und Hering und die ganzen anderen Gemeinden rundherum! Wörgl gibt´s finanziell gesehen gar nicht mehr!“ - „Ja, aber die Leut‘ gibt’s. Die ganzen Leut‘. Das sind unsere Nachbarn, unsere Freunde, die können wir doch nicht einfach im Stich lassen!“
So der Bürgermeister Michael Unterguggenberger, Held in „Das "Wunder von Wörgl", ein Spielfilm des Regisseurs Urs Egger aus dem Jahr 2018. Unterguggenberger, hatte ein Herz für die Menschen seiner Gemeinde - und eine Idee: „Wir machen unser eigenes Geld“

Die Geldtheorie des Silvio Gesell

Das klang naiv, war aber gut überlegt. Die eigene Währung, für die das historische Vorbild des Filmhelden 1932 im Rat der Tiroler Gemeinde Wörgl warb, war etwas völlig Neues: Geldscheine, die nach einem Monat verfielen, sofern man ihre Gültigkeit nicht gegen eine Gebühr von fünf Prozent verlängerte. Die Idee eines Schwundgeldes hatte Unterguggenberger der Freiwirtschaftslehre des Theoretikers Silvio Gesell entnommen. Der terminierte Wertverfall sollte bewirken, dass die neue Währung nicht gespart, sondern als Tauschmittel eingesetzt wurde und so die Wirtschaft wieder in Gang setzte.
Der Gemeinderat ließ sich überzeugen und am 5. Juli 1932 war es so weit: Die Lokalwährung wurde eingeführt. Auf der Rückseite der neuen „Arbeitsbestätigungsscheine“ stand der Aufruf:
„An Alle! Langsam umlaufendes Geld hat die Welt in eine unerhörte Wirtschaftskrise und Millionen schaffender Menschen in unsägliche Not gestürzt. Der Untergang der Welt hat, wirtschaftlich gesehen, seinen furchtbaren Anfang genommen. Es ist Zeit, durch klares Erkennen und entschlossenes Handeln die abwärtsrollende Wirtschaftsmaschine zu retten!“

Wundersamer Rückgang der Arbeitslosigkeit

Man fing es klug an: Die Gemeinde bot AB-Scheine als Lohn für dringende kommunale Arbeiten an. Die Arbeitslosen, die ohnehin nichts zu verlieren hatten, akzeptierten das neue Geld als Erste. Und danach taten es auch die Kaufleute, die sich die zusätzlichen Einnahmen nicht entgehen lassen wollten. Der Wertverfall musste sie nicht schrecken, denn sie konnten mit der Lokalwährung auch ihre Steuerrückstände bei der Gemeinde begleichen. Wie erhofft, zirkulierten die Scheine schnell. Die Arbeitslosigkeit ging deutlich zurück, während sie überall im Land weiter stieg. Die Zeitschrift „Der österreichische Volkswirt“ berichtete:
„Die Marktgemeinde Wörgl hat im Jahre 1932 durch Ausgabe von Schwundgeld ihren zerrütteten Haushalt in Ordnung gebracht, umfangreiche Investitionen durchgeführt und die Wirtschaft ihrer Bürger belebt. All das zusammen ergibt das Wunder von Wörgl, von dem nicht nur das Inntal widerhallt.“

Widerlegte Wirtschafts-Weisheiten

Tatsächlich hatte man in Wörgl ein Problem gelöst, auf das die herrschende Wirtschaftswissenschaft damals keine Antwort hatte: Die Weltwirtschaft befand sich in einer Abwärtsspirale sinkender Preise und Löhne. Die Lehrbuchweisheit, dass sinkende Kosten Investitionen auslösen würden, erwies sich als falsch, denn die Besitzenden horteten ihr Geld in der Erwartung weiter fallender Preise.
Die Wörgler Währung hingegen simulierte durch ihren eingebauten Wertverfall jene mäßige Inflation, auf die die Wirtschaftspolitiker seit Jahren vergeblich warteten. Der Schwundgeld-Gedanke schien glänzend gerechtfertigt. Das Wiener „12-Uhr-Blatt“ schrieb:„Wörgl hat plötzlich Weltbedeutung erlangt. Unterguggenberger ist im Begriff, eine geschichtliche Persönlichkeit zu werden.“

Zur Nachahmung nicht empfohlen?

Doch Nachahmer in den USA scheiterten kläglich. Denn erst einige Sonderfaktoren machten das „Wunder“ in Wörgl möglich, darunter ein Notstandskredit der Landesregierung in Innsbruck. Damit richtete man ein Treuhandkonto bei der örtlichen Sparkasse zur Deckung des ausgegebenen Schwundgeldes ein. So konnte die Gemeinde garantieren, die AB-Scheine jederzeit zum Nennwert in Schilling umzutauschen. Das schuf Vertrauen.
In Wörgl wurde also nicht die kapitalistische Geldwirtschaft abgeschafft, sondern die Wirtschaftskrise mit Geschick bekämpft. Dennoch setzte die Österreichische Nationalbank 1933 ein Verbot der Parallelwährung durch, weil sie das staatliche Geldmonopol gefährdet sah. Gegen die Ausweitung des Wörgler Experiments sprach auch die frische Erinnerung an die Inflationsjahre nach dem Ersten Weltkrieg. Der „Österreichische Volkswirt“ warnte:
„Wir alle haben Schwundgeld im schlimmsten Sinn des Wortes besessen, und wir wissen, wie leicht es in Umlauf zu setzen und wie schwer es aus dem Umlauf zurückzuziehen ist.“