"Das, was ich unter zivilgesellschaftlicher Annäherung und Nachbarschaftsinitiativen sehe und verstehe, hat sich lange vor 1989 bereits angebahnt, und zwar auf bundesdeutscher Seite, aber auch, das wird oft vergessen, auf DDR-Seite." So der Publizist Wolfgang Templin, ehemals Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Warschau.
Brückenbauer auf deutscher und polnischer Seite
Er meine damit "für die DDR-Seite unbequeme" couragierte Künstler, Intellektuelle, Theologen, "die sich der unermesslichen deutschen Schuld gegenüber dem polnischen Volk bewusst waren." Templin nennt namentlich die "Aktion Sühnezeichnen", aber auch andere Initiativen und Verlagsprojekte hätten bereits kulturelle Brücken geschlagen.
Auch auf polnischer Seite gab es Brückenbauer. Ein Meilenstein der Versöhnung war die Botschaft der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder von 1965 mit dem berühmten Satz: "Wir gewähren Vergebung und bitten um Vergebung". Auch sie bereitete den Boden für den "Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit". Am 17. Juni 1991 wurde er vom damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl und dem damaligen polnischen Ministerpräsidenten Jan Krzysztof Bielecki in Bonn unterzeichnet:
Klarheit für Polens verlorene Gebiete
"Dieser Vertrag ist der Ausdruck einer neuen Philosophie", sagte Bielecki. Er weist nachdrücklich auf die neue Form des Zusammenlebens des polnischen und des deutschen Volkes in dem sich vereinigenden Europa hin.
Die leidvollen Kapitel der Vergangenheit seien abzuschließen, heißt es im Vertrag. Vor allem der Zweite Weltkrieg und Hitlers grausame Besatzungspolitik in Polen, die sechs Millionen Menschen das Leben kostete, hatten einen tiefen Graben zwischen beiden Völkern hinterlassen. Hinzu kam die Verschiebung des polnischen Staatsgebietes um 150 Kilometer nach Westen: Ostpolen blieb nach dem Krieg von der Sowjetunion besetzt. Für seine verlorenen Ostgebiete erhielt Polen deutsche Ostgebiete. Und hier, so der damalige polnische Außenminister Krzysztof Skubiszewski, bringe der Vertrag, "Klarheit, Ordnung und auch viel Hoffnung ... für die Zukunft."
Polens Sorge nach der Wiedervereinigung
Während die DDR schon 1950 die neue Westgrenze Polens anerkannte, blieb diese in der Bundesrepublik umstritten. Erst 1970 wurde sie unter der Regierung Willy Brandt faktisch anerkannt.
Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 verlangte Polen eine Grenzgarantie, aus Angst, die beiden deutschen Staaten könnten nach ihrer Vereinigung Gebiete östlich der Oder-Neiße fordern. Im November 1990 wurde der deutsch-polnische Grenzvertrag in Warschau unterzeichnet und später durch den "Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit" ergänzt. Auf dessen auch wirtschaftliche Bedeutung wies Helmut Kohl hin:
"Das vereinte Deutschland ist als Mitglied der Europäischen Gemeinschaft der größte Wirtschaftspartner Polens. Wir sehen es deshalb als unsere besondere Verantwortung an, Polen auf seinem Reformweg zu unterstützen und an die europäische Gemeinschaft heranzuführen."
In 38 Artikeln des Vertrages sind die Rechte der Minderheiten, die Gründung eines deutsch-polnischen Jugendwerkes, Wissenschafts- und Kulturaustausch, Rechtshilfe, gemeinsamer Umweltschutz und die Zusammenarbeit im grenznahen Raum festgeschrieben. Und plötzlich, so Wolfgang Templin, "... konnten sich Vertreter der Exekutive, Verwaltungsfachleute, Wirtschaftsfachleute und diese zivilgesellschaftlichen Akteure verbinden. Das alles hat über die Jahrzehnte hinweg ein Netz von intensiven Beziehungen geschaffen."
Regierungspartei PiS belastet Verhältnis schwer
Doch diese sind gegenwärtig durch die nationalkonservative Politik der polnischen Regierungspartei PiS schwer belastet. Dazu gehören Angriffe auf die Unabhängigkeit der Justiz, fremdenfeindliche Töne oder Homophobie, was bis zur Suspendierung bilateraler Projekte führte.
Defizite sieht Wolfgang Templin indes auch auf deutscher Seite, nämlich "die immer noch anhaltende Anbiederung an Russland, die Polen als wichtigsten und für uns auch entscheidenden Partner herunterspielen und ignorieren." Probleme, die einer offenen Diskussion bedürfen, wenn der Vertrag in allen Punkten umgesetzt werden soll.