"Geschichten aus dem Wiener Wald", eigentlich war alles drin, was ein wienerisches Volksstück mit diesem Titel verspricht: süßes Mädel, ridiküle Kleinbürger und Rittmeister, Alt-Wiener Kulisse, Musik.
Aber am 2. November 1931 bei der Uraufführung am Deutschen Theater in Berlin durfte das großstädtische Publikum von einem Autor wie Ödön von Horváth, von berühmten Schauspielern wie Carola Neher oder Peter Lorre und vom namhaften Regisseur Heinz Hilpert etwas Zeitgemäßeres erwarten. Und tatsächlich wussten viele die Verzerrung herzwärmender Wiener Gemütlichkeit ins überrealistisch Bösartige zu schätzen. Erich Kästner zum Beispiel lobte den talentierten jungen Autor für dieses "Wiener Volksstück gegen das Wiener Volksstück":
"Er zerstörte nicht nur das überkommene Wiener Figurenpanoptikum, er gestaltete ein neues, echteres außerdem. Er verspottete nicht nur die herkömmliche, landläufige Anschauung; er führte das Theaterpublikum hinter die Fassade."
Volkstheater als Sozialkritik
Ödön von Horváth, Diplomatensohn, geboren 1901 in Fiume, dem heutigen Rijeka, weit herumgekommen und bereits Träger des Kleist-Preises, politisierte sich wie so viele in den Zwanzigerjahren. Arbeitslosigkeit und Elend, Arroganz der Besitzenden, Verrohung der Armen - um die Schicksale des Volkes darzustellen, entdeckte er unter anderem das Volkstheater, ein idealerweise so unterhaltsames wie kritisches Genre.
Wo bleibt das "Gold'ne Wienerherz"?
"Geschichten aus dem Wiener Wald" erzählt Alltägliches: Der Fleischer Oskar will die junge Marianne heiraten, diese verliebt sich in den Taugenichts Alfred, dieser macht ihr ein Kind und lässt sie sitzen. Aber es geht alles gut aus: Das störende Kind stirbt mit Beihilfe der klugen Großmutter, die Rivalen verbrüdern sich, Oskar nimmt Marianne großmütig zurück. Selten endete ein Volksstück beklemmender.
"Oskar: Ich hab dir einmal gesagt, Mariann‘: du wirst meiner Liebe nicht entgehen."
Mariann: "Jetzt kann ich nicht mehr! Jetzt kann ich nicht mehr."
Oskar: "Dann komm!"
Mit seiner Attacke gegen die Lüge vom "Gold'nem Wienerherz" stand Horváth in einer langen, über ihn hinausreichenden Kritiktradition: von Karl Kraus, der schonungslos aufdeckte, dass auch Alt-Wien mal neu gewesen war, bis zu Helmut Qualtinger, Thomas Bernhard und vielen anderen.
Vom Heurigen ins Großdeutsche Reich
Methodisch führt Horváths Drama alles Klischeeverkleisterte zusammen: Orte, Sprechhaltungen, Musik. Zu einer Groteske der Allgemeinplätze. Die Protagonisten begeben sich an die selbstverständlich schöne blaue Donau und nach draußen in die Wachau zum Heurigen oder auch, ahnungsvoll, ins Großdeutsche Reich.
Aufführungsverbote ab 1933
Die Faschisierung der im ideologischen Stellungskrieg polarisierten Gesellschaft hält im "Wiener Wald" Einzug mit Erich, dem schnarrenden Sprachrohr der Nazis. Die Eriche sollten Horváth binnen kurzem aus Deutschland vertreiben. Seine "Geschichten aus dem Wiener Wald" hatte die rechte Presse wütend zerrissen. Sein nächstes Volksstück "Kasimir und Karoline", das auf dem Münchner Oktoberfest spielt, erreichte die Wirkung des Wiener Wald-Stücks nicht; "Glaube Liebe Hoffnung" durfte 1933 in Deutschland gar nicht erst gespielt werden
Horváth, der 1938 im Pariser Exil von einem herabfallenden Ast erschlagen wurde, konnte nicht erleben, wie seine Stücke nach dem Krieg - ziemlich spät - wiederentdeckt wurden. Anfangs gab es Zweifel, ob ein Stück wie "Geschichten aus dem Wiener Wald" überhaupt exporttauglich war.
"Man soll es schon mit Wienern spielen", behauptete Regisseur Otto Schenk 1967. Sein Kollege Max Peter Amann war risikofreudiger: "Es ist ein Stück, das nicht milieugebunden sein darf, nicht zeitgebunden, weil es internationale Aspekte aufweist." Und so kam es ja auch.