Archiv


20 Jahre im litauischen Exil

Dem autokratischen Machthaber Alexander Lukaschenko war die Europäische Humanistische Universität (EHU), die einzige Privatuniversität in Belarus, ein Dorn im Auge. 2004 musste sie ins litauische Exil gehen musste. Dort feiert sie nun ihr 20-jähriges Bestehen.

Von Markus Nowak |
    Die Turnhalle der Europäischen Humanistischen Universität, zehn Minuten mit dem Bus von der Altstadt in Vilnius entfernt. Nach den Vorlesungen spielen die Studenten Basketball. Kein Wunder – gilt doch Basketball als der litauische Nationalsport.

    Auf dem Spielfeld wird jedoch nicht Litauisch, sondern Russisch oder Weißrussisch gesprochen. Die EHU bildet ihre belarussischen Studenten im Exil aus. Einer der Studenten ist der 19-jährige Tomas.

    "Die Universität ist schon anders als andere. Ich würde nicht nur sagen, sie ist einzigartig hierzulande, sondern einzigartig in ganz Europa. Sie befindet sich nicht im Ursprungsland und das macht es schwierig. Es gibt Probleme, nicht in akademischen, sondern in anderen Bereichen. Das macht das nicht einfacher."

    Nicht einfach ist für die rund 1600 immatrikulierten belarussischen Studierenden etwa die Tatsache, dass sie fernab von Zuhause im Exil leben. Zwar wohnen die meisten von ihnen in Wohnheimen auf dem Campus und sind so umgeben von ihren Landsleuten. Ohnehin kommt Heimweh kaum auf, da Vilnius nur 40 Kilometer von der weißrussischen Grenze entfernt ist. Dennoch gibt es Probleme, mit denen die angehenden Akademiker konfrontiert werden, sagt der Dozent des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, Felix Ackermann.

    "Da gibt's diese – sag' ich jetzt mal – Nebenwirkung, dass natürlich am Anfang des Semesters bestimmte Einrichtungen in Belarus versuchen, die Eltern zu überzeugen, dass es eine schlechte Idee ist, dass ihr Kind hier ist. Dass sie verunsichert werden, dass die Studenten teilweise aus den Bussen rausgenommen werden, um sie zu befragen. Das gehört dazu, das ist vielen auch klar. Aber es ist auch Teil des belarussischen Alltags, das würde an einer belarussischen Hochschule auch dazugehören."

    Der Alltag in Belarus ist seit dem Machtantritt des autokratischen Präsidenten Alexander Lukaschenko vor fast 20 Jahren alles andere als frei. Als Anatoli Mikhailov die EHU als erste private Universität Weißrusslands gründete, glaubte er, der gesamten Hochschulszene in Belarus einen Reformimpuls zu geben. Dem Regime aber war die EHU mit Blick auf die Beziehungen zum Westen und die nicht regimekonforme Ausbildung ein Dorn im Auge. 2004 wurde sie unter einem Vorwand geschlossen, erinnert sich Mikhailov, heute Rektor der EHU.

    "Plötzlich wurden uns unsere Räume gekündigt. Am nächsten Tag erhielten wir ein Schreiben vom Bildungsminister, dass wir ohne Räume keine universitäre Lehrerlaubnis mehr haben. Später gab Lukaschenko zu, dass das Ministerium nichts mit der Schließung zu tun hatte. Es war sein eigener Entschluss. Ich selbst habe Belarus im April 2004 verlassen und kam niemals zurück. Und das, obwohl ich nie in die Politik involviert war."

    Die EHU fand ihre Heimat in Vilnius und will sich als "Hochschule im Exil" nicht aktiv in die Minsker Politik einmischen. Stattdessen sollen Spezialisten ausgebildet werden, die Belarus bei der Transformation helfen können. Zur Auswahl stehen den Studierenden daher Fächer, wie sie im Heimatland nicht existieren. Etwa Design, Medienwissenschaft oder ein MBA-Programm. Gerade das Studienangebot macht die EHU attraktiv, sagt Student Tomas. Aber auch die Möglichkeit, am Erasmus-Programm teilzunehmen.

    "Wir hätten ein Problem an einer belarussischen Uni, wenn wir uns für ein Erasmus-Jahr bewerben würden. Das Auslandsjahr würden sie uns nicht anrechnen. Für mich ist es auch wichtig, dass uns hier aktuelles Wissen vermittelt wird. Das ist etwas, was das staatliche Bildungssystem in Belarus nicht bietet."

    Für die Studierenden stellt sich nach dem Bachelor oder Master die Frage, zurückgehen oder nicht? Während Tomas in sein Heimatland zurückkehren möchte, sieht sein Kommilitone Maxim seine Zukunft außerhalb von Belarus.

    "Die belarussische Gesellschaft bietet mir keine Chancen, mich da zu betätigen. Ich habe beruflich mehr Möglichkeiten, auch in politischer Hinsicht etwas für mein Land zu tun, wenn ich nicht im Land bin."