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200. Geburtstag Theodor Fontanes
Nervenoperationsspezialist der deutschen Literatur

Zunächst arbeitete Theodor Fontane, der am 30. Dezember 1819 in Neuruppin geboren wurde, wie sein Vater als Apotheker, später als Journalist. Erst im Alter von 60 Jahren begann er dann mit seinem epochalen Werk - in Romanen wie "Effi Briest" und "Der Stechlin" schaute er seinen Figuren ins Herz.

Von Christian Linder |
    Der Schriftsteller Theodor Fontane in einer zeitgenössischen Darstellung.
    Theodor Fontane wurde vor 200 Jahren, am 30. Dezember 1819, geboren (picture-alliance/dpa)
    Gefallen hatte Theodor Fontane schon seinen Zeitgenossen, mit seinen Feuilletons und seinen – später oft vertonten – Balladen und Gedichten. Er selbst war allerdings mit dem poetischen Ausdruck, den er für seine Person gefunden hatte, als auch mit seinem Ansehen in der Öffentlichkeit ziemlich unzufrieden.
    "Ein bisschen Namen, ein bisschen Ehre, Artikel im Brockhaus und im Meyer. Altpreußischer Durchschnitt. Alles in allem – es war nicht viel."
    Geboren am 30. Dezember 1819 im brandenburgischen Neuruppin als Sohn eines Apothekers, ließ auch er sich zum Apotheker ausbilden, bis er im Alter von 30 Jahren seinem Schreibwunsch folgte und Journalist wurde, unter anderem Korrespondent in London. Während einer Reise durch Schottland meinte er bei der Besichtigung der Ruine des Lochleven-Schlosses wie eine Fata Morgana das Rheinsberger Schloss in Brandenburg zu erblicken und wusste:
    "Erst die Fremde lehrt uns, was wir an der Heimat besitzen."
    Zurück in Berlin, machte er sich auf die "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" und erkundete die Landschaft mitsamt ihren Landsitzen und der Lebensgeschichte ihrer Bewohner – die Reisefeuilletons füllten am Ende vier Bände.
    Auch als Theaterkritiker der "Vossischen Zeitung" erfüllte er gewissenhaft seine Pflicht – bis er im August 1879 einen neuen Einsatz ankündigte:
    "Ich fange erst an. Nichts liegt hinter mir, alles vor mir; ein Glück und ein Pech zugleich. Auch ein Pech. Denn es ist nichts Angenehmes, mit 59 als ein 'ganz kleiner Doktor' dazustehen."
    Fontane schaute seinen Figuren ins Herz
    Aus dem kleinen Doktor wurde in den kommenden 20 Jahren einer der großen Nervenoperationsspezialisten der deutschen Literatur, der in Romanen wie "Stine", "Irrungen, Wirrungen", "Die Poggenpuhls", "Mathilde Möhring", "Effi Briest" und "Der Stechlin" seinen Figuren ins Herz schaute und nebenbei das geistige Gerüst seiner Zeit, der Bismarckzeit, und der preußischen Gesellschaft in einer schön geordneten, dichten und bis heute lebendig gebliebenen Sprache freilegte.
    "In Front des schon seit Kurfürst Georg Wilhelm von der Familie von Briest bewohnten Herrenhauses zu Hohen-Cremmen fiel heller Sonnenschein auf die mittagsstille Dorfstraße."
    Die Idylle verwandelt sich im Roman "Effi Briest" in eine Katastrophe, als die lebenslustige, 17-jährige Effi dem Wunsch ihrer Eltern folgt und den älteren, politisch ambitionierten Baron von Innstetten heiratet. Zunächst funktioniert das Ehearrangement auch, bis Effi einen Major Crampas kennenlernt und sich von dessen innerer Freiheit faszinieren lässt.
    Eine Lange Nacht über Theodor Fontane: Irrungen, Wirrungen – und Klarheit
    Bis zum 30. Lebensjahr war Theodor Fontane Apotheker, danach über 30 Jahre lang Journalist. Erst im hohen Alter entwickelte er sich zum Romancier und schuf Meisterwerke wie "Effi Briest" und "Der Stechlin" – erstaunlich befreit von den Denkmoden seiner Zeit.
    Als der Ehemann Jahre später Briefe Crampas an Effi findet, tötet er diesen in einem Duell – obwohl er ahnt, dass ein Ehebruch wahrscheinlich gar nicht vollzogen wurde. Effi wird verstoßen und ihr der Umgang mit ihrer Tochter verboten. Das letzte Bild des später verfilmten und auch als Hörspiel eingerichteten Romans zeigt die alten Briests, die Effi auch nicht wieder aufgenommen haben.
    - Frau: "Ob wir nicht doch vielleicht schuld sind?"
    - Mann: "Unsinn, wie meinst du das?"
    - Frau: "Oder ob sie nicht doch vielleicht zu jung war?"
    - Mann: "Ach, lass. das ist ein zu weites Feld."
    "Der Stechlin" über die Auflösung von Traditionen
    Theodor Fontane war 75 Jahre alt, als er 1894 die Arbeit an "Effi Briest" beendete. Zwei Jahre später malte ihn Max Liebermann, eine Schwarz-Weiß-Kreidezeichnung, die Thomas Mann genau studiert hat:
    "Ein prachtvolles, fest, gütig und fröhlich dreinschauendes Greisenhaupt, um dessen zahnlosen, weiß überbuschten Mund ein Lächeln rationalistischer Heiterkeit liegt."
    Da schrieb Fontane an seinem letzten, nach seinem Tod im September 1898 ein Jahr darauf erschienenen Roman "Der Stechlin", benannt nach dem in der Grafschaft Ruppin gelegenen See – aber Stechlin heißen auch das Dorf am See, das dazu gehörige Schloss und der Hausherr, Major a. D. Dubslav von Stechlin.
    Mit einer kühnen, die Moderne ankündigenden Wortartistik hat der alte Fontane die zeitbedingte Auflösung von Traditionen, Bindungen und Ritualen beobachtet und auch begrüßt. Der See, der Stechlin, wünschte er sich im Schlusssatz, solle allerdings auf jeden Fall bleiben:
    "Es ist nicht nötig, dass die Stechline weiterleben, aber es lebe der Stechlin."