"Sie hat eine niedrige Stirn, glanzlose Augen, eine gewaltige Nase, einen immensen Mund voller unregelmäßiger Zähne, ein Kinn und Backenknochen, die gar nicht enden wollen. In dieser immensen Hässlichkeit wohnt eine überaus mächtige Schönheit, die in wenigen Minuten den Sinn bezaubert, so dass man am Ende in sie verliebt ist, wie ich es war." Dieses grobe Kompliment des Schriftstellers Henry James galt der Grande Dame der Londoner Literaturszene George Eliot.
Sie war eine der bedeutendsten Autorinnen des viktorianischen Zeitalters. Sogar die Königin las ihre Romane, die sich in hohen Auflagen verkauften. George Eliot gilt heute, so die Literaturwissenschaftlern Sabine Schaltung von der FU Berlin, als Wegbereiterin des Romans der Moderne: "Die Romane sind nicht nur interessant in Hinblick auf die Sprache, auf die Figuren, Psychologie, wie die Geschichten präsentiert werden, sie sind auch kulturhistorisch interessant, insofern als sie den Wandel in England von einer Agrar- zu einer Industriegesellschaft reflektiert hat, Anfang des 19. Jahrhunderts. Und in dem Zusammenhang ist sie auch interessiert an einer Darstellung des alltäglichen Lebens, aber auch an der Darstellung von gesellschaftlichen Konventionen, die gerade für die weiblichen Figuren einengend sind."
Vater förderte ihre umfangreiche Bildung
Als Mary Anne Evans wurde sie am 22. November 1819 in der mittelenglischen Provinz Warwickshire als Tochter eines Gutsverwalters geboren. Der Vater ermöglichte ihr eine für Frauen ungewöhnlich umfangreiche Bildung. "Sie sprach mehrere Sprachen, hat zwischen Mitte zwanzig und Mitte dreißig theologische und philosophische Werke aus dem Deutschen übersetzt ins Englische", erläutert Sabine Schaltung. "Sie war umfassend gebildet, was Philosophie, Theologie, Naturwissenschaften, natürlich Literaturgeschichte anging. Sie hatte Privatlehrer. Sie hat sich aber auch als Autodidaktin weitergebildet."
Nach dem Tod des Vaters 1849 unternahm Mary Anne Evans eine Europareise und arbeitete dann in London für die liberale Zeitschrift "Westminster Review". Dort verliebte sie sich in den verheirateten Schriftsteller George Henry Lewes, mit dem sie öffentlich ohne Trauschein zusammenlebte. Ein so selbstbewusstes Verhalten strafte die Londoner Oberschicht mit gesellschaftlicher Ächtung. Doch Mary Anne Evans ließ sich nicht einschüchtern.
Unterhaltungsliteratur wird scharf kritisiert
Damals bereits bekannt durch ihre Übersetzungen und Rezensionen, schrieb sie umfassende philosophische Artikel und veröffentlichte 1856 einen anonymen Essay mit dem Titel: "Dumme Romane von schreibenden Damen", in dem sie von Frauen geschriebene, rührselige Unterhaltungsliteratur verurteilte.
"Die Heldin ist üblicherweise eine Erbin, womöglich Mitglied des Hochadels. Ihre Augen und ihr Verstand glänzen gleichermaßen; ihre Nase und ihre Moral sind im selben Maße frei von jeglicher Unregelmäßigkeit; sie tanzt wie eine Nymphe und liest die Bibel im Original. Oder vielleicht ist die Heldin auch keine Erbin, vielleicht verfügt sie gerade nicht über Stand und Reichtum, aber sie geht unbeirrbar ihren Weg in die High Society."
Bekanntestes Werk: "Middlemarch"
Als George Eliot veröffentlichte die Literaturkritikerin schließlich selbst mit vierzig Jahren, kurz nacheinander, drei Gesellschaftsromane: "Adam Bede", "Die Mühle am Floss", "Silas Marner" - allesamt Bestseller. Kenntnisreich stellte sie die politischen Verhältnisse in der Provinz dar, beschrieb die Wertvorstellungen und Sorgen des Landadels genauso anschaulich wie die der einfachen Bevölkerung und thematisierte die fremdbestimmten Lebensumstände junger Frauen.
Ihr bekanntestes Werk jedoch wurde "Middlemarch". Auf über 1.000 Seiten schildert George Eliot da Schicksale der Bewohner einer Kleinstadt während der beginnenden Industrialisierung. Mit "Daniel Deronda", ihrem letzten Roman, schuf sie den ersten jüdischen Helden in der englischen Literatur, der mit dem Zionismus sympathisiert.
Nach dem Tod ihres Lebensgefährten heiratete die inzwischen wohlhabende George Eliot 1880 schließlich den zwanzig Jahre jüngeren Finanzberater und langjährigen Freund John W. Cross. Sie starb noch im selben Jahr. Ihre freigeistige Haltung nahm ihr die bigotte Londoner Gesellschaft sogar posthum noch übel. Obwohl sie eine erfolgreiche Dichterin war, wurde George Eliot nicht in "Poets‘ Corner" in Westminster Abbey bestattet, sondern auf dem Highgate Cemetery beigesetzt.
Nach dem Tod ihres Lebensgefährten heiratete die inzwischen wohlhabende George Eliot 1880 schließlich den zwanzig Jahre jüngeren Finanzberater und langjährigen Freund John W. Cross. Sie starb noch im selben Jahr. Ihre freigeistige Haltung nahm ihr die bigotte Londoner Gesellschaft sogar posthum noch übel. Obwohl sie eine erfolgreiche Dichterin war, wurde George Eliot nicht in "Poets‘ Corner" in Westminster Abbey bestattet, sondern auf dem Highgate Cemetery beigesetzt.