"Also bahnbrechend erstmal in der Wissenschaft war, dass jemand wirklich gesagt hat und festgestellt hat, auch der menschliche Körper basiert und besteht aus Zellen, ist aufgebaut aus einer kleinsten lebendigen, kompletten, vollständigen totalen Einheit - die Organe, Herz, Leber, Niere und Lunge - bestehen immer aus vielen Zellen. Und die sind gleichberechtigt, aber unterschiedlich begabt, also eine Leberzelle unterscheidet sich von einer Gehirnzelle, von einer Herzzelle, von einer Nierenzelle, und im Krankheitsfall reagieren diese Organe auf zellulärer Ebene auch jeweils eigen."
Rudolf Virchow hat ein neues Kapitel in der Medizin aufgeschlagen. Mit seiner sogenannten Zellularpathologie führte er einen Paradigmenwechsel herbei. Thomas Schnalke, Direktor des Medizinhistorischen Museums der Charité, sagte dazu in einem Wissenschafts-Podcast des RBB und der Berlin University Alliance:
Rudolf Virchow hat ein neues Kapitel in der Medizin aufgeschlagen. Mit seiner sogenannten Zellularpathologie führte er einen Paradigmenwechsel herbei. Thomas Schnalke, Direktor des Medizinhistorischen Museums der Charité, sagte dazu in einem Wissenschafts-Podcast des RBB und der Berlin University Alliance:
"Das heißt, er hat mit dieser Zellenlehre etwas geschafft, was in der Medizingeschichte seltenst wirklich Individuen, Ärzten gelungen ist, er hat einen neuen Denkstil eingeführt. Er denkt den Körper des Menschen als Zellenstaat neu und setzt damit ein Forschungsprogramm auf, das bis heute in den Wissenschaften verfolgt wird, abgearbeitet wird."
Inspiriert vom Berliner Freigeist
Rudolf Virchow wurde am 13. Oktober 1821 in Schivelbein in Hinterpommern in kleinbürgerliche Verhältnisse hineingeboren. Er ging zum Studium nach Berlin, wo er promovierte und sich habilitierte. Es scheint, als habe Virchow den Geist der Freiheit, der sich damals breitmachte, regelrecht in sich aufgesogen.
"Will man etwas, so muss man radical sein"- schrieb er nach seiner Rückkehr von einer Inspektionsreise in die preußische Provinz Oberschlesien, die von einer Typhus-Epidemie heimgesucht worden war. Virchow warf der Regierung schwere Versäumnisse bei der Bekämpfung von Hunger und Armut in der Region vor - und ging bei der Revolution im März 1848 mit auf die Barrikaden:
"Als Naturforscher kann ich nur Republikaner sein, denn die Verwirklichung der Forderungen, ... welche aus der Natur des Menschen hervorgehen, ist nur in der republikanischen Staatsform wirklich ausführbar."
Von der Politik zum Mikroskop
Als man Virchow wegen seiner "revolutionären Umtriebe" mit Repressalien drohte, kündigte er seine Stelle als Leiter der Sektionsabteilung an der Charité. Er folgte einem Ruf an die Universität Würzburg, wo er den neuen Lehrstuhl für Pathologische Anatomie übernahm. Virchow hatte versprochen, sich vorerst aus der Politik herauszuhalten, und konzentrierte sich ganz auf die Wissenschaft. Beim Mikroskopieren wurde ihm die Bedeutung der Zellen für den menschlichen Körper klar, so Medizinhistoriker Thomas Schnalke:
"Also man wusste schon, dass es Zellen gab. Aber man hat die Bedeutung der Zellen noch unterschätzt. Also, dass es im Zusammenspiel der Zellen Wirkkräfte gibt, die man auf zellulärer Ebene, auf organismischer Ebene weiter beforschen kann, das ist neu."
Zwischen Skeletten und Parlamentariern
Virchow erforschte Entzündungen und Tumore, er prägte die Begriffe "Thrombose" und "Leukämie". 1856 kehrte er, inzwischen ein hoch angesehener Forscher, nach Berlin zurück. Er wurde Professor für Pathologie an der Universität und leitete 46 Jahre lang das Pathologische Institut der Charité, das eigens für ihn errichtet worden war.
Virchow führte Tausende von Sektionen durch und gründete 1899 das Pathologische Museum, das er mit weit über 20.000 Präparaten bestückte. Daneben war er Berliner Stadtverordneter, Mitglied des Preußischen Landtags, Abgeordneter im Deutschen Reichstag und Mitbegründer der linksliberalen Deutschen Fortschrittspartei. Ganz oben auf seiner politischen Agenda stand die Modernisierung der Stadt Berlin, deren Bevölkerung sich innerhalb von 25 Jahren auf fast 1,5 Millionen Einwohner verdreifacht hatte.
Und "Virchow spielte für Berlin insofern eine ganz zentrale Rolle, als er das Projekt der liberalen Stadtsanierung ganz wesentlich mitgefördert hat", so Biograf Constantin Goschler in einem Interview:
"Einige Einzelaktionen in diesem Zusammenhang wären hervorzuheben, also etwa der Bau einer Kanalisation in Berlin, aber auch eines Schlachthofes, der Bau von Markthallen, von Krankenhäusern, Schulen und so weiter und so fort. Viele dieser Aktionen haben eine hygienische Zielrichtung."
Die Berliner wussten, was sie Rudolf Virchow zu verdanken hatten. Als er am 5. September 1902 starb, war die Betroffenheit groß. Tausende säumten die Straßen, als er zu Grabe getragen wurde.