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200. Geburtstag von Sebastian Kneipp
Einer der Väter moderner Naturheilkunde

Auch wenn er als der altbackene "Pfarrer mit der Gießkanne" daherkam: Sebastian Kneipps Methode, mit kalt-warmen Wechselbädern das Immunsystem zu aktivieren, hat bis heute als effektive Naturheil- und Wellness-Therapie Bestand. Am 17. Mai 1821 wurde der Hydrotherapeut geboren.

Von Andrea Westhoff |
    Ein Porträt des Geistlichen Sebastian Kneipp
    Kaltwasser-Doktorvater: Sebastian Kneipp – Priester und Hydrotherapeut (imago stock&people)
    "Dieser drucklose Schlauchguss ist eine der typischsten Kneippanwendungen überhaupt", erklärt der Arzt für Naturheilkunde Rainer Stange:
    "Die häufigsten Bilder von Kneipp zeigen ihn ja mit der Gießkanne, da kann man einen ganz einfachen Guss mit machen – heute geht das natürlich mit einem Schlauch – das finden die meisten Leute also ganz toll."
    Als "Kaltwasserdoktor" von manchen bespöttelt, war Sebastian Kneipp selbst zutiefst überzeugt:
    "Durch die Hilfe des Wassers allein lebe ich heute."
    Geboren wird er am 17. Mai 1821. Als Sohn einer armen Weberfamilie muss er schon mit elf Jahren die Dorfschule verlassen und schwere Arbeit verrichten. Erst mit 23, nachdem ein Kaplan seine intellektuellen Fähigkeiten entdeckt und gefördert hat, besucht Kneipp ein Gymnasium. Anschließend darf er jedoch nicht das Priesterseminar besuchen, weil er an einer schweren Lungentuberkulose erkrankt – damals unheilbar und meistens tödlich. Doch dann findet er ein altes Büchlein von Siegmund Hahn:
    "Unterricht von Krafft und Würkung des frischen Wassers in die Leiber der Menschen, besonders der Kranken…"
    Kneipp wagt einen Selbstversuch: Im Winter und bei Nacht, um nicht ertappt zu werden, steigt er nackt in die halb zugefrorene Donau. Davon berichtet er später: "Ein unbeschreibliches Wonnegefühl kribbelte mir durch den Leib. In der dritten Nacht ließ mein Husten nach."

    Bußgelder wegen "Kurpfuscherei"

    Nun endlich, mit 27 Jahren, kann Kneipp Philosophie und Theologie studieren. 1852 erhält er die Priesterweihe und wird in verschiedene bayrische Dörfer geschickt. Bald verehren ihn die Leute als "Wunderheiler", weil er nicht nur seelsorgerisch unterwegs ist, sondern vor allem die Armen mit Wassergüssen und Heilkräutern behandelt – kostenlos. Ein paar Ärzte und Apotheker zeigen ihn "wegen Kurpfuscherei" an. Er muss ein Bußgeld zahlen und wird 1855 ins Allgäuer Kloster Wörishofen strafversetzt.
    Aber die Kranken folgen ihm dorthin. 1886 schreibt Sebastian Kneipp sein erstes Buch: "Meine Wasserkur". Im Mittelpunkt steht inzwischen nicht mehr die Kaltwasserschocktherapie, sondern kalt-warme Wechselbäder und Güsse, so Heilpraktiker Rainer Stange:
    "und es gibt natürlich diese Kneippbecken, in denen man in etwa 15 bis 20 Zentimeter tiefem, kaltem Wasser im so genannten Storchengang dadurch stelzt. Das soll je nach Länge der Runde drei bis viermal erfolgen und dann warmlaufen."
    Zwei Personen sind beim Wassertreten in der Ruhr auf einem Kneipp-Wanderweg bei Olsberg im Sauerland zu sehen. Rechts und links befinden sich Bäume, durch die Sonnenlicht fällt, im Hintergrund ist eine Holzbrücke zu sehen.
    Radiolexikon Gesundheit: Kneipp-Therapie
    Wassertreten, heiß und kalt, das verbinden die meisten mit Kneipp-Therapien. Aber die Therapie geht über die Wasseranwendungen hinaus und verbindet mehrere Naturheilverfahren zu einer umfassenden Gesundheitslehre.
    Bald beschränkt sich Kneipp nicht mehr nur auf Wasserkuren, sondern entwickelt ein ganzheitliches Gesundheitskonzept, dargelegt in seinem Hauptwerk von 1889: "So sollt ihr leben".
    Ein Farbfoto zeigt einen Mann in blauen Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln, die Arme in ein längliches Wasserbecken halten im Hintergrund eine Nonne in Ordenstracht
Unter Aufsicht von Schwester Maria Johanna hält der frühere Arbeitsminister Norbert Blüm am Samstag (28.01.2006) in Bad Wörishofen seine Arme in eiskaltes Wasser. Der Politiker machte Anwendungen nach Pfarrer Kneipp. In diesem Kloster entwickelte Sebastian Kneipp im 19. Jahrhundert die nach ihm benannte Therapie. Foto: Stefan Puchner dpa/lby +++(c) dpa - Rep


Der frühere Arbeitsminister Norbert Blüm, 2006 bei einer Kneipp-Anwendug im Kloster Bad Wörishofen, in dem Sebastian Kneipp seine Therapie entwickelte
    Der frühere Arbeitsminister Norbert Blüm, 2006 bei einer Kneipp-Anwendug im Kloster Bad Wörishofen, in dem Sebastian Kneipp seine Therapie entwickelte (dpa)
    "Die Kneipp-Therapie als Kombination verschiedener Verfahren hat fünf Säulen: Die bekannteste ist natürlich die Wasserheilkunde, die Hydrotherapie, dann ist die Ernährungstherapie, die Bewegungstherapie, die Therapie mit Heilpflanzen und Heilkräutern und schließlich die etwas schwierig zu beschreibende Ordnungstherapie." Sagt Andreas Michalsen, Professor für Naturheilkunde an der Charité:
    "Für Kneipp war das vor allem das Beten oder das In sich gehen, aber bei der naturheilkundlichen Ordnungstherapie geht es schon auch noch um das Verständnis eines naturgemäßen Lebens: die Regelmäßigkeit der Biorhythmen, der Lebensrhythmen, solche Dinge, oder wie man neudeutsch sagt, Mind-Body-Medizin."
    Blumen in einer Glasschale, die für alternative Heilmethoden angewendet werden.
    Heilpraktiker - Eine Branche auf dem Prüfstand
    Die Behandlungsmethoden von Heilpraktikern sind umstritten, eine wissenschaftliche Ausbildung brauchen sie nicht. Experten kritisieren das. Und auch die Bundesregierung will Heilpraktiker stärker prüfen.

    Eine Gesundheitslehre auch für das 21. Jahrhundert

    Sebastian Kneipp wurde 76 Jahre alt – erstaunlich für einen, der mit 23 todkrank war. Und bereits zu seinen Lebzeiten entstand in Wörishofen ein richtiger Kurbetrieb: Bauernhöfe wurden für die Wasseranwendungen umgebaut, Wirtshäuser zu Kurhotels. Prominente aus aller Welt wie der Pariser Baron Nathaniel Rothschild oder der spätere US-Präsident Theodore Roosevelt kamen hierher.
    Kneipp gilt als einer der Väter der modernen Naturheilkunde. Und trotz ihrer etwas altbackenen Anmutung erscheint seine Gesundheitslehre erstaunlich passend für das 21. Jahrhundert: Sie zielt auf die Stärkung des Immunsystems, eine Aktivierung der Selbstheilungskräfte, die Balance zwischen Körper, Geist und Seele. Und vor allem, so Andreas Michalsen: "Man braucht nicht mal viel Zeit dafür. Sie haben so einen kalten Wechselguss in fünf Minuten hinter sich." Oder in den Worten Sebastian Kneipps:
    "Wer nicht jeden Tag etwas Zeit für seine Gesundheit aufbringt, muss eines Tages sehr viel Zeit für seine Krankheit opfern."