Archiv

200 Jahre "Stille Nacht"
Ein Lied geht um die Welt

Ständchen fürs Christkind: Heiligabend 1818 wurde das Weihnachtslied „Stille Nacht“ zum ersten Mal aufgeführt - ein Gedicht mit sechs Strophen, vertont für zwei Stimmen und Gitarrenbegleitung. Dass aus diesem einfachen Lied eine weltumspannende Friedensbotschaft wurde, stellte sich erst Jahrzehnte später heraus.

Von Horst Senker |
    Das Pfarr- und Wallfahrtsmuseum, Stille-Nacht-Museum Mariapfarr
    Das Pfarr- und Wallfahrtsmuseum, Stille-Nacht-Museum Mariapfarr (Joachim Dresdner)
    "'Stille Nacht' ist eine der großen Marken unseres Landes. Drei Milliarden Menschen beschäftigen sich mit diesem Thema und einem Phänomen, das im 19. Jahrhundert verbreitet wurde - ohne Internet, Flugzeug, ohne elektronische Übertragung."
    "Stille Nacht" ist für den Geschäftsführer von Salzburger Land Tourismus Leo Bauernberger eine Marke, die für es sich lohnt zu arbeiten. Ein Touristenmagnet mit großem Seelenpotential. Für Max Gurtner, den Kustos im Stille-Nacht-Ort Arnsdorf, ist es ein Seelenanker und noch viel mehr.
    "Das war nicht nur Marketing-Geschichte, sondern das Lied hat in sich selber so eine Kraft, das dazu beigetragen hat, dass es der ganzen Welt so allen zu Herzen geht, nicht nur in der christlichen Welt."
    Meine Stille-Nacht-Reise ist eine Melange aus heiteren Momenten und Augenblicken der Andacht und Stille. Es geht um ein Lied, das seit 200 Jahren mit Frieden und friedvollem Umgang miteinander zu tun hat. In über 300 Sprachen hat man "Stille Nacht" aufgenommen. Es gibt hawaiianische Versionen und indische. Elvis Presley hat es gesungen und Frank Sinatra.
    Zwei Geschwister-Paare sorgen für Verbreitung
    Die ersten, die "Stille Nacht" mit Breitenwirkung gesungen haben, waren zwei Gesangsformationen in Tirol. Für die Strasser Geschwister begeistert sich die ehemalige Taxifahrerin Rosi Kraft so sehr, dass sie aus dem früheren Wohnhaus der Familie in Laimach ein Museum gemacht hat.
    "1831 waren die vier Strasser, die Mädchen und der Bub, die waren zufällig in Leipzig auf dem Markt und sie haben im Markt schon verkauft, Unterwäsche und Handschuhe, und da haben sie auch gesungen."
    Bekannt und bald auch gedruckt wurde das Lied auch in Dresden und dann in Berlin. Die Rainer Sänger sollen schon 1819 die "Stille Nacht" bei einer Christmette in Fügen in Tirol vorgetragen haben. Ihre Laufbahn verfolgt Günter Klaus im dortigen Heimatmuseum in der Widumspfiste.
    "Ein Auslöser, dass sie [Rainer Geschwister, Anm. d. Red.] sich auf den Weg gemacht haben, war hier der Besuch im September 1822 des russischen Zaren Alexander I und des österreichischen Kaisers Franz I."
    Die Gekrönten waren auf der Durchreise und die Rainer Sänger haben für sie gesungen. So gelangte die "Stille Nacht" an den Hof von Wien und an den Hof von Petersburg. Später gab es zahlreiche Gastspiele mit den Rainer Sängern in den USA.
    Vertontes Gedicht für die Christmette
    Die wirklichen Hauptdarsteller der Stille-Nacht-Geschichte sind aber die Urheber: der Textdichter Joseph Mohr und der Komponist Franz Xaver Gruber. In Oberndorf an der Salzach sind sie sich begegnet. Dort wird "Stille Nacht" zum ersten Mal aufgeführt. Experte vor Ort ist Rudi Pronold.
    "Zwei Jahre haben diese Männer hier verbracht, zwei Kollegen, der eine war Organist, der andere Priester und das war eine innige Männerfreundschaft. Und am Heiligen Abend 1818 übergibt der Joseph Mohr, der Pfarrer, übergibt seinem Freund Gruber ein Gedicht mit sechs Strophen "Stille Nacht" und er bittet ihn, er möchte für dieses Gedicht für die Christmette eine Melodie schreiben für zwei Männerstimmen und Gitarrenbegleitung. Die Gitarre in der Liturgie zu verwenden, war damals absolut undenkbar gewesen. Also es war ein Wirtshausinstrument und es war ein Wiegenlied oder ein Ständchen, dass sie dem Christkind dargebracht haben."
    "Wäre es ein liturgisches Lied gewesen, ein christliches Lied, dann hätte es nie die Verbreitung gefunden wie "Stille Nacht", nicht nur in der christlichen Welt. Frag einen Japaner, Chinesen, einen Afrikaner - jeder kennt dieses Lied."
    Sagt Kustos Max Gurtner. Auf Grönland soll aus "Stille Nacht" ein Begräbnislied geworden sein, in China entwickelte es sich zum Wiegenlied.
    Komponist Franz Xaver Gruber wurde vom Lehrer gefördert
    Viele spannende Details über die Stille Nacht und über die Zeit der Entstehung des Liedes erfahre ich auf meiner mehrere Tage dauernden Reise durch Winterlandschaften im Salzburger Land. Viele Stätten sind begehbar und kostenlos, wobei Spenden willkommen sind. So erwandere ich mir den stimmungsvollen Advent im Zillertal in Tirol. Stets an Stationen vorbei, die mit dem Lied zu tun haben. Später lande ich auch im Innviertel, in Hochburg–Ach, dem Geburtsort des Stille-Nacht-Komponisten Franz Xaver Gruber. Elfriede Peterlechner von der Gruber Gemeinschaft erwartet mich im Gedächtnishaus. Das Inventar und die kleinen Räume mit den niedrigen Decken lassen erahnen, wie bescheiden die Lebensverhältnisse vor rund 230 Jahren gewesen sind.
    "Wir sind ja in der Franz Xaver Gruber Stube. Da muss man sich vorstellen, wie er da gewohnt hat mit seinen fünf Geschwistern."
    Die Schulpflicht war damals noch nicht lange eingeführt. Das war ein Vorteil für Franz Xaver Gruber. Sein Lehrer entdeckte das große musische Talent des Leinenwebersohns und förderte ihn gegen den Willen des Vaters. Mit 20 begann Franz Xaver Gruber seine berufliche Laufbahn als Lehrer und Küster.
    Textdichter Joseph Mohr - der "Bob Dylan der Weihnachtsmusik"
    Gefördert wurde auch Textdichter und Priester Joseph Mohr. Ein Radiokollege aus Österreich nennt ihn den Bob Dylan der Weihnachtsmusik. Engagiert, weltoffen, streitbar ist er der eigentliche Star in der Stille-Nacht-Geschichte, obwohl er am wenigstens davon profitiert hat. – Max Gurtner.
    "Mehr noch sehe ich im Leben des Joseph Mohr den Schlüssel, um ein bisserl das zu verstehen, warum das Lied so eine Kraft hat, vor allem, wenn man bedenkt, Joseph Mohr war ein lediges Kind in Salzburg, Sohn von einer Strickerin. Damals war ein lediges Kind ein Kind der Schande, ein Kind der Sünde, die hat eine Selbstanzeige gemacht, dass sie ein fleischliches Verbrechen begangen hat, hat sie eine Strafe bezahlen müssen."
    Die Strafe für die Mutter, ein uneheliches Kind zu gebären, war hoch und entsprach dem Wert eines Viertel Ochsen. Pate von Joseph Mohr wurde der Henker der Stadt und getauft wurde er im Salzburger Dom.
    "Im gleichen Becken hat auch Wolfgang Mozart seine Taufe erlebt."

    Inez Reichel-de Hoogh ist Gastgeberin bei einer Führung durchs winterkalte und sonnige Salzburg. Sie berichtet von Joseph Mohrs entbehrungsreicher Kindheit im damaligen Nachtjackenviertel von Salzburg. Ein Domvikar erkannte seine künstlerische Begabung. Joseph Mohr schaffte mit seiner Hilfe in Salzburg den Sprung auf die andere Seite des Salzach-Ufers, besuchte das Gymnasium und konnte studieren. Das hatte aber seinen Preis.
    "600 Mal im Jahr musste er singen oder spielen, also Musik machen, als eine Art Kompromiss, weil er diese Ausbildung genießen konnte und das war eine volle Arbeitsverpflichtung."
    Sängerfamilien tragen das Lied in die Welt
    Damals prägten die napoleonischen Kriege das Geschehen in Europa und auch im Salzburger Land. Beim Wiener Kongress wurden die Karten neu gemischt. Salzburg hatte seine Selbstständigkeit verloren. In Asien war der Vulkan Tambora ausgebrochen. Das hatte auch schwerwiegende Folgen für Europa. Der Sommer blieb ohne Licht mit Missernten und Hungersnot.
    "Die Pferde waren nach dem Krieg aufgegessen, die Pferde, das Vieh, alles war weg und in der Zeit hat man dann das Fahrrad entdeckt."
    1817 hatte Karl von Drais seine Laufmaschine vorgestellt. So kam man wieder schneller vom Fleck. In Tirol steht zu dieser Zeit Karl Mauracher vor einer imposanten Laufbahn als Orgelbauer im Salzburger Land. Er spielt in der Stille-Nacht-Historie eine tragende Nebenrolle. Komponist Franz Xaver Gruber vertraut ihm sein Lied an und Mauracher gibt es an die Sängerfamilien weiter. Ohne ihn hätte sich das Lied nicht so verbreitet. Mal hielt man es für ein Tiroler Lied, mal hielt man Michael Haydn für den Erfinder der Melodie. Bis Franz Xaver Gruber mit einem bedeutenden Schriftstück über den wahren Ursprung in Salzburg für Klarheit sorgte.
    "Das war die authentische Veranlassung vom 13. Dezember 1854. Fast minutiös beschreibt er, wie das Lied entstanden ist."
    Als die authentische Veranlassung erschien, war Textdichter Joseph Mohr schon seit sechs Jahren tot. In der Pfarre Wagrein hat er zuletzt gewirkt, selbstlos, entschlossen und auf Nächstenliebe bedacht. Maria Walchhofer pflegt dort die Erinnerung an den Querdenker und Menschenfreund.
    "Er hat quergedacht, er hat sich mit den oberen Herren schon mal angelegt und hat auch eine sehr deutliche Sprache in seinen Briefen gesprochen. Der war nicht nur freundlich und "Stille Nacht" und lieb, der war schon handfest und hat diskutiert. Er hat alles gegeben, was er irgendwie geben konnte. Er war ein sehr bescheidener Mensch und er ist sehr arm gestorben."
    Aufnahmen in über 300 Sprachen
    200 Jahre nach der Erstaufführung befinden sich im Heimatmuseum in Fügen in Tirol über 1.400 Aufnahmen von "Stille Nacht". Das Lied wurde in über 300 Sprachen aufgenommen. "Stille Nacht" ist sogar Namensgeber für eine Gesellschaft, die weiterhin die Geschichte des Liedes erforscht.
    Sehr interessant auch noch, ein Brief von dem berühmten Urwalddoktor Albert Schweitzer in Lambarene, der schickte in einem Brief, wie es in einem afrikanischen Bantu-Dialekt klingt.

    Dass "Stille Nacht" als Lied der Lieder in dieser umfassenden Art die Welt eroberte, hat Joseph Mohr vor seinem Tod im Jahre 1848 nicht einmal ansatzweise geahnt. Bis heute bewegt sein Text, die Friedensbotschaft, die Menschen an Heiligabend Jahr für Jahr, auch im Salzburger Dom, wo Joseph Mohr einst getauft wurde.
    "Die Mette um zwölf, die ist besonders schön hier, die Kirche ist dann auch ganz voll und nach der Liturgie wird dann das Lied gesungen, das Lied "Stille Nacht" natürlich. Und jeder ist still. Und nachher sind wir alle glücklich, denn dann ist Weihnachten. Und das ist besonders schön."