Keine Olympischen Spiele, keine Paralympics, keine Fußball-EM – sportlich ist 2020 ein Jahr des Stillstands für viele Athleten. Kein Training, keine Wettkämpfe – teilweise mehrere Monate lang. Dennoch: Die Athletinnen und Athleten bewegt einiges. Während sich die olympischen Top-Funktionäre lange vor einer Olympia-Verschiebung zieren, nehmen das Wort Absage ausgerechnet diejenigen in den Mund, deren Lebensplanung davon durcheinandergewirbelt wird:
"Ich werde in diesem Sommer zum vorgesehenen Zeitraum nicht an den Olympischen Sommerspielen teilnehmen", kündigt der Fechter Max Hartung im ZDF Sportstudio an – Tage, bevor sich das IOC zu einer Entscheidung durchringt.
2020 als Jahr der Rückbesinnung
Subtil erinnert der Athletensprecher die Olympia-Entscheider an das olympische Wertekorsett, das sie für sich beanspruchen: "Vor allem mache ich mir Gedanken, wie ich als Sportler mit meinem Verhalten dazu beitragen kann, dass diese Krise schnell vorbeigeht. Und ich denke, das kann ich am besten, wenn ich jetzt Haltung zeige und versuche, das richtige zu tun."
2020 wird für viele von ihnen das Jahr der Rückbesinnung - auf das, was wirklich wichtig ist.
Wie selten zuvor geht es für Athleten auf der ganzen Welt um die Sicherheit von Leib und Leben. Und das bei Weitem nicht nur wegen der Pandemie: "Save Navid Afkari", fleht der Ringer Frank Stäbler in die Kamera. Der dreimalige Weltmeister setzt sich wie viele internationale Athleten für seinen Sportkameraden Navid Afkari ein. Dieser soll bei einer Demonstration einen Beamten erstochen haben. Die Justiz spricht von einem Geständnis, nach Informationen von Menschenrechtsorganisationen wurde das aber unter Folter erzwungen.
Athletinnen und Athleten fordern den Welt-Ringerverband und das IOC dazu auf, sich beim Iranischen Regime für Afkari einzusetzen. Am Ende hilft aller Einsatz nichts: Navid Afkari wird im Iran hingerichtet, mit 27 Jahren. Einen Olympia-Ausschluss des Iran möchte das IOC nicht.
Die Stimme der Athleten bleibt laut. Auch im Kampf gegen Rassismus. "Viele Menschen sehen es nicht, weil es sie selbst nicht betrifft, dass Rassismus immer noch eine Sache ist." Die deutsche Basketballerin Satou Sabally im April im Deutschlandfunk, sie spielt in der amerikanischen Profiliga WNBA.
Im August kommt es in den USA zum vorübergehenden Wettkampf-Boykott: Wenige Tage nach Polizeischüssen auf den schwarzen Amerikaner Jacob Blake stellen sich Basketballer*innen, Baseballer, Fußball-, Tennis- und Footballspieler gegen Polizeigewalt und Rassismus.
Sie nutzen ihre Prominenz, um auf ein gesellschaftliches Problem aufmerksam zu machen.
Die Regel 50 der IOC Charta steht auf dem Prüfstand
Mit einer öffentlich zur Schau gestellten Solidarisierung bekämen Sportlerinnen und Sportler bei Olympischen Spielen – Stand jetzt - ein Problem. Die Regel 50 der IOC Charta verbietet politische Demonstrationen im Umfeld des Wettkampfes. Dem Dachverband geht es um die politische Neutralität des Sports.
"Diese Regel muss modifiziert werden", fordern der amerikanische Leichtathlet Christian Taylor und Athletenvertretungen weltweit. "Weil wir glauben, dass diese Regel unsere Menschenrechte auf die Probe stellt. Und Athletinnen und Athleten das Recht dazu haben, friedlich zu protestieren."
Einen ersten Erfolg gibt es: Das IOC gibt sich inzwischen offen für eine Anpassung der Regel.
Belarus, Lukaschenko und das IOC
Ihre laute politische Stimme erheben Athletinnen und Athleten auch in Belarus. Über 1000 Vertreter des belarussischen Sports unterschreiben eine Erklärung gegen den Präsidenten und für Neuwahlen. Machthaber Lukaschenko ist gleichzeitig Chef des Nationalen Olympischen Komitees. Athleten aus vielen Ländern solidarisieren sich mit den belarussischen Sportlern, die wie Tausende andere die Repressionen zu spüren bekommen. Wieder die Forderung ans IOC: Tut etwas.
"Niemand verlangt vom IOC, Diktaturen in lupenreine Demokratien umzuwandeln", sagt Maximilien Klein von Athleten Deutschland. "Aber: Das IOC hat eine menschenrechtliche Sorgfaltspflicht und Verantwortung, besonders gegenüber seinen Athletinnen und Athleten. Und deshalb muss jetzt gehandelt werden. Das IOC muss sich schützend vor seine Athleten stellen."
Im Dezember suspendiert das IOC Alexander Lukaschenko von allen Olympischen Aktivitäten.
Und am Ende des Jahres ist Corona wieder großes Thema für Profisportler. In vielen Profi- und Nationalmannschaften hat es inzwischen Coronafälle gegeben. Internationale Reisen werden auch da als Risiko angesehen.
Im Januar soll die Handball-WM in Ägypten ausgetragen werden – zur Hoch-Zeit des Pandemiegeschehens. Handball-Nationalspieler Patrick Wiencek bringt seine Meinung dazu klar zum Ausdruck. "Wenn meine persönliche Meinung zählen würde, dann würde ich natürlich die WM nicht spielen. Ich glaube, es gibt nichts wichtigeres als die Gesundheit und das vergessen leider einige Leute ganz schnell. Wir sind diejenigen, die auf der Platte stehen und wir werden leider in solche Gespräche nie eingeführt, ob es sinnvoll ist oder nicht."
Wiencek sagt schließlich seine WM-Teilnahme ab. Er wolle in der Pandemie seine Familie nicht für einen ganzen Monat alleine lassen. Ihm folgen weitere Nationalspieler. Sie setzen damit ihr Zeichen.
Am Ende des Jahres 2020 sind die kommenden Aufgaben klar für Johannes Herber, Geschäftsführer von Athleten Deutschland: "Es ist sicherlich eine Herausforderung, diesen Schritt zu gehen. Von: eine Stimme zu haben und gehört zu werden. Zu: tatsächlich mitzubestimmen."
Die ersten Werkzeuge haben sich viele Athletinnen und Athleten in diesem Pandemie-Jahr selbst in die Hand gegeben.