"Hegemonie kolonialer Sprachen, Hegemonie visueller Informationen ..."
Die Computerstimme plärrt mit ungerührter Intonation aus einem Lautsprecher an der Decke. Stundenlang zählt sie Krankheiten, Phobien, Unfallmöglichkeiten, schlechte Charaktereigenschaften auf. Es handelt sich um alle jemals erfassten Probleme der Welt, 30.000 sind es insgesamt."
"Es gibt die Union of United Associations, die jedes Jahr die Datenbank aktualisiert, in der sie die Probleme sammeln und die habe ich angesprochen, ob ich die verwenden darf für das Kunstwerk und dann habe ich die immer 20 im Block kopiert und in mein Buch eingefügt."
Alphabetisch sortiert: Von A wie Aarskog Syndrom, einer Erbkrankheit, bis Z wie Zoonotische Bakterienkrankheit. Melanie Bisping, Studentin der Kunstakademie Münster, hat für ihre Arbeit den ersten Platz beim Bundeswettbewerb "Kunststudierende stellen aus" in der Bonner Kunsthalle gewonnen. Und obwohl die Unmenge der Weltprobleme depressiv stimmen könnte, zeigt sich die Jury begeistert. Niklas Maak, Juror und Kunstkritiker der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung":
"Sie können es überall aufschlagen: Es gibt eine Angst vor Pilzbefall: Fungophobia, es gibt eine angst vor Wolken, die hängen bleiben und das Tal verschatten über Tage, und lauter solche verrückten Ängste. Es spielt ironisch mit einer Gesellschaft, die alles aus der Perspektive der Angst sieht."
So ein Kunstwettbewerb erinnert ein bisschen an bekannte Showformate im Fernsehen à la: Suche nach dem Superstar. Genau darauf nimmt die Gewinnerin des zweiten Preises, Hannah Cooke, spielerisch Bezug. Wie bei einer Quizshow gibt es einen Moderator und zwei Kandidaten, die gegeneinander antreten. Sie müssen die wichtigsten Strippenzieher des Kunstmarktes erraten, Carolyn Christov Bakargiew, die letzte Chefin der Documenta, ist genauso dabei wie Larry Gagosian, einflussreicher Kunsthändler mit den meisten Galerien weltweit.
"Das fand ich passend für die Ausstellung, natürlich stehen wir immer in Konkurrenz. Es werden Listen hergestellt und Preisträger gekürt, aber letztlich ist es auch nicht so ernst zu nehmen. Ich freue mich wahnsinnig über meine Auszeichnung, aber letzen Endes liegt es nicht an der Qualität der einzelnen Arbeiten."
Praxis-Check für Kunststudentin
Das Kunstsystem umkrempeln, Kategorien hinterfragen, die Jury will mit ihrer Entscheidung einen kritischen Blick wie den von Hannah Cooke auf den Kunstmarkt stärken. Auch wenn Juror Niklas Maak so seine Zweifel hat, ob ein Bundeswettbewerb eine repräsentative und objektive Auswahl sein kann.
"Das ist natürlich ein Auswahlsystem, was auf eine Spitze herauflaufen sollte. Ich hätte auch verstanden, wenn diese Studenten sagen: Wir weisen dieses System zurück, wir möchten, dass alle Kunsthochschulen das Geld unter sich verteilen, dann bleibt nur nicht mehr so viel übrig, denn wenn man an alle Kunsthochschulstudenten 30.000 Euro verteilt, dann kriegt jeder eine Pizza, deswegen macht es schon sinn, zu gucken wen kann man ermutigen."
Für die Studierenden ist die Bonner Ausstellung eine Art Praxischeck: Hier können sie, von den Mitarbeiter der Bundeskunsthalle betreut, erstmals ihre Werke einer breiten Öffentlichkeit vorstellen. Nach ihrem Studium bekommen sie keine Hilfe mehr: Sie müssen nicht nur eine Galerie finden, sondern auch sich selbst vermarkten. Christian Retschlag, der den dritten Platz für seine Fotoarbeiten gewonnen hat, ist deshalb froh, sich in der Ausstellung ausprobieren zu können.
"Die wände sind unglaublich groß und es hat eine andere Aura, seine Arbeiten an solchen Wänden zu sehen. Es macht schon Spaß, damit zu spielen, ja."
Monika Bisping hat mit ihrem Konzept zwar den ersten Preis von 13.000 Euro gewonnen, doch die Welt hat seit ihrem Sieg noch ein Problem mehr, wenn auch kein wirklich ernstes:
"Das ist mein größtes problem jetzt eigentlich, was mache ich mit dem Geld, gute Frage."