Wenn einer zwei so große Brüder hat, Jacob und Wilhelm Grimm - Monumente der Geistesgeschichte -, ein Leben lang getrieben von Ernsthaftigkeit und intellektuellem Eifer, gedrückt von der Verantwortung für vier jüngere Geschwister und eine früh verwitwete Mutter, wenn einer also der jüngste Bruder dieser über alle Zeit erhabenen Genies ist - dann bleibt ihm eigentlich nur, sich ganz der Gegenwart zu widmen. Ein Künstler zu werden, ein Lebenskünstler, freundlich, liebevoll, von allen geliebt und mit ganzem Herzen dem Zauber des Augenblicks zugetan. Genau so einer war Ludwig Emil Grimm.
"Ich habe irgendwann seine Sachen gesehen und hab' mich sofort in ihn verknallt, ja. Kann man so sagen. Und wenn ich jetzt über ihn rede, ist das so wie Liebesgestammel, was ja auch irgendwie - man kann's nicht erklären", so spricht der Hamburger Zeichner und Grafiker Albert Schindehütte über einen, der ihm als Kollege fast zwei Jahrhunderte vorausging, und der doch ein Vorbild und sogar ein Freund wurde. Ludwig Emil Grimm, geboren am 14. März 1790 in Hanau, war selber Zeichner, Maler und Radierer, in seinen späteren Jahren sogar Professor an der Akademie in Kassel - und vielleicht steckt so etwas wie Sehnsucht nach einer anderen, in aller Wirrnis doch auch gütigen Zeit dahinter, dass dieser Romantiker in seinen mit schnellem Stift erfassten Szenen aus dem täglichen Leben, aus der Familie und der Natur bis heute so sympathisch ist. Kritik? Nur unter Freunden. Und nur am Rande.
Ein Künstler des Augenblicks
Schindehütte: "Ja, man muss da natürlich ein bisschen differenzieren: Also, ich liebe wirklich seine spontan entstandenen kleinen Zeichnungen, die er gemacht hat. Die sind grandios. Bisschen Schwierigkeiten habe ich mit der Umsetzung dieser Zeichnungen in ziemlich steife Radierungen. Dann ist man nicht mehr der, der einen leichten Strich macht, sondern muss da ritzen. Aber als Maler laufe ich schreiend weg, wenn ich das sehe. Das ist so frömmelnd - also ganz merkwürdig. Wobei ich ihm dann zugute halte, dass das vielleicht Auftragsarbeiten sind. Broterwerbsbilder."
Vermutlich hätte Ludwig Emil Grimm es dem sonst so begeisterten Kollegen nicht einmal krumm genommen. Malerei ist ein langwieriges Geschäft - aber Louis, wie die Freunde ihn nannten, war ein Künstler des Augenblicks. Schon als Student an der Akademie in München. So schrieb er einmal: "Oben auf dem Gasteiberg wehte ein kühler Morgenwind. Da ging's dann unter Jodeln und Singen bis nach Harlaching, da wurde Halt gemacht, Bier getrunken, die Röcke über den Rücken gehängt, und nun den schönen Weg durch Wald und an dem dunkel bewachsenen Isarufer nach Grünwald. Das Dörfchen liegt zwischen Wäldern und Bergen und ein altes verlassenes Schloss dabei. Tief unten rauschte die wilde Isar. Die Wirtsleute kannten uns schon; die Röcke wurden ins Zimmer oben abgelegt, und so ging's in den Wald zum Zeichnen."
Liebevoller Familienmensch und ein zu Unrecht übersehener Maler
Die Lebenserinnerungen des Ludwig Emil Grimm gehören zu den wohl liebenswürdigsten Zeugnissen ihrer Zeit. Die Wanderjahre, die Sorge um die Familie, die Briefe der Brüder, deren Märchensammlung er mit seinen Illustrationen populär machte. Und die Begegnungen mit den Größen ihrer Zeit, die allesamt auch Freunde waren: Bettine von Arnim, Clemens Brentano, Ludwig Tieck, Heine, Paganini - sogar eine Begegnung mit dem großen Goethe hält der Maler in seinen Erinnerungen fest: "Er war nicht groß, aber gut proportioniert, hatte einen kleinen Ministerbauch und war schwarz angezogen, reichte uns beiden die Hand und war sehr freundlich. Wir setzten uns dann alle drei, und er sprach zuerst mit Wilhelm über gelehrte Sachen. Sein Gesicht war noch von Tisch, wo er dem Johannisberger Eilfer gehörig zugesprochen hatte, ganz rot. Wie er meine Bücher bemerkte, sagte er:'‚Ah, da bekommen wir auch etwas von der Kunst zu sehn!' Er betrachtete die Skizzen, Bildnisse und Landschaftsstudien alle und sehr langsam. Bei manchen Skizzen riet er mir an, dazu ernste Studien zu machen, da würde er raten, ein Bild von zu malen usw. Aber ich muss gestehen, dass die meisten, die er als die gelungensten nannte, mir am wenigsten gefielen."
Ludwig Emil Grimm starb 1863 in Kassel. Ein liebevoller Bruder, Gatte und Vater, ein Beobachter, ein Genießer. Als Maler einer, über den die Zeiten hinweg gegangen sein mögen. Als Zeichner noch zu entdecken. Und als Mensch einer, den man zum Freund haben möchte.