Man nennt ihn den "Vater der Geologie". Oder auch: den "Vater der geologischen Zeit", was die Sache noch besser trifft. Denn der Schotte James Hutton war der Erste, der sich intensiv mit der Frage auseinandersetzte, wie weit die Geschichte unseres Heimatplaneten in die Vergangenheit zurückreicht.
"Der Zweck dieses Referats ist es, zu einer ungefähren Schätzung der Zeit zu gelangen, die dieser Erdball schon als eine Welt existiert, die Pflanzen und Tiere erhält“, erklärte Hutton 1785 in einem Vortrag vor der Royal Society von Edinburgh, in dem er seine Vorstellung von einer geologischen Tiefenzeit zum ersten Mal öffentlich präsentierte. Allein der Gedanke, dass man es mit einer unermesslichen Zeitspanne zu tun haben könnte, war für viele eine Provokation.
War die Erde etwa nicht am 23. Oktober 4004 v. Chr. entstanden?
Hatte man doch bislang geglaubt, das Alter der Erde aus der biblischen Schöpfungsgeschichte herleiten zu können. Der irische Erzbischof James Ussher war Mitte des 17. Jahrhunderts sogar so weit gegangen, sich beim Schöpfungsakt auf den 23. Oktober des Jahres 4004 vor Christus festzulegen. Im Zuge der Aufklärung war die Deutungsmacht der kirchlichen Orthodoxie zwar geschrumpft. Aber – so die Historikerin Annette Meyer in einem Radiobeitrag über James Hutton:
"Nichtsdestotrotz ist es so, dass Hutton mit seinen Theorien aneckt in seiner Zeit; als Vertreter der Vorstellung, dass sozusagen die Veränderungskräfte der Erdentstehung fortwirken oder dauerhaft wirken, und sozusagen kein Prozess mit einem Anfang und einem Ende sind, steht er natürlich völlig entgegen allen Versuchen, neuere wissenschaftliche Entdeckungen mit dem biblischen Schöpfungsbericht in Einklang zu bringen."
Verrieten Boden- und Gesteinserosion das Alter der Erde?
James Hutton wurde am 3. Juni 1726 in Edinburgh geboren. Während seines Studiums der Geistes- und Naturwissenschaften in Edinburgh, Paris und Leiden entwickelte er eine Vorliebe für die Chemie und Mineralogie. 1754 zog er auf eine kleine Farm in Schottland, wo er Landwirtschaft betrieb und wissenschaftliche Beobachtungen machte. Hutton interessierte sich vor allem für das Phänomen der Boden- und Gesteinserosion. Konnte man aus dem Tempo und Umfang, in dem diese Erosion voranschritt, vielleicht auf das Alter der Erde schließen? Wenn ja, dann war die Erde jedenfalls nicht nur ein paar tausend, sondern viele Millionen Jahre alt:
"Da sich der Umfang und das Fortschreiten dieses Verlusts an Landmasse der menschlichen Beobachtung entziehen, können wir auch nicht ermessen, wann dieser Prozess begonnen hat. Damit hat diese Welt - im Rahmen menschlicher Beobachtung - weder einen Anfang noch ein Ende"
Von der „Hutton-Diskordanz“ zur "Theorie der Erde"
Hutton wusste, dass die Erde einen heißen Kern besaß und die durch Hitze erzeugte Gesteinsschmelze immer wieder an die Erdoberfläche drang. Neu war seine Theorie von einem Kreislauf der Gesteine, der einem permanenten Wandel von Entstehung, Zerstörung und Wiederaufbau unterlag. Mit einer Gruppe von Freunden brach Hutton zu Exkursionen ins schottische Hochland auf.
Höhepunkt war eine Bootsfahrt zum Siccar Point, einer Landspitze an der Ostküste, wo älteres, steil aufgetürmtes Sedimentgestein von leicht schräg geneigten, jüngeren Gesteinsschichten überlagert wird. Hutton erfasste mit einem Blick, dass der Aufbau dieser später nach ihm benannten „Hutton-Diskordanz“ unendlich viel Zeit in Anpruch genommen haben musste. 1795 veröffentlichte Hutton seine umfangreiche „Theorie der Erde“. Das Echo auf das Buch hielt sich zunächst in Grenzen, so Annette Meyer. Denn, "zum einen hatte er einen äußerst weitschweifigen Stil, was die Zeitgenossen bemängeln an seiner Art zu schreiben, und dann ist es sozusagen sehr wenig pointiert.“
Charles Lyell und Charles Darwin waren Hutton-Leser
Auf lange Sicht hatte das Werk von James Hutton, der am 26. März 1797 in Edinburgh starb, eine umso größere Wirkung. Sein Freund und Schüler John Playfair ließ eine kompakte Zusammenfassung von Huttons Hauptwerk drucken. Sie wurde von Charles Lyell, einem der berühmtesten Geologen seiner Zeit, aufgegriffen, und schließlich vertiefte sich auch Charles Darwin in das epochale Werk. Für Darwin hatte die Vorstellung einer unermesslichen Vergangenheit ganz besondere Bedeutung. Denn wenn seine Theorie von der Evolution des irdischen Lebens stimmen sollte, dann setzte dieser Prozess vor allem eines voraus - viel, viel Zeit.