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24.3.1654 - Vor 350 Jahren

Würdevoller kann Musik des frühen 17. Jahrhunderts nicht schreiten, sie atmet unverkennbar den Charakter einer festlichen Einleitung, ja eines Portals, und so ist sie auch gemeint: Das Ensemble Hespèrion XX unter Jordi Savall spielt die Intrada aus dem Instrumentalzyklus "Ludi musici" des großen Samuel Scheidt. Von dem sagte die Nachwelt, er habe neben Johann Hermann Schein und Heinrich Schütz zu den "drey berühmten S" seiner Zeit gezählt.

Von Wolfram Goertz |
    Samuel Scheidt wurde 1587 in Halle geboren, und für längere Zeit hat er seine Heimatstadt bis zu seinem Tod am 24. März 1654 nur einmal verlassen: 1607 für ein paar Monate zum Studium beim legendären Jan Pieterszoon Sweelinck in Amsterdam. Damals war Scheidt bereits Organist an der Hallenser Moritzkirche, von wo sich sein Ruhm unaufhaltsam ausbreitete. Er wurde als eine Art kirchenmusikalischer Unternehmensberater an den Magdeburger Dom geladen, er musste eine neue Orgel in Bayreuth testen, weitere Gutachtertätigkeiten führten ihn weit übers Land. Dabei traf er häufig auf seine Kollegen Michael Praetorius und Heinrich Schütz - wer damals auf sich hielt, lud die Koryphäen im Team ein. In Halle stockte man Scheidts Befugnisse bald auf, damit er, der Vielumworbene, die Stadt nur ja nicht verlasse. Er wurde städtischer Director musices, hatte aber - darin Johann Sebastian Bach vergleichbar - fortwährend Krach mit seinen Vorgesetzten. Natürlich ging es, wie sollte es anders sein, um Kompetenzen.

    Ohnehin spürte Scheidt, dass die Zeiten ruppiger und ungemütlicher wurden. Der Dreißigjährige Krieg wütete mit Macht, Halle wurde zum Spielball politischer Interessen, und der Pest von 1636 fielen vier seiner Kinder zum Opfer. Scheidt rettete sich immer mehr in seine Musik, und die konservativen Tendenzen in seiner Ästhetik stritten jetzt vehement mit seinem Willen zu künstlerischer Erneuerung. Scheidt probierte ungewöhnliche kontrapunktische Formen, er war beispielsweise ein führender Vertreter des innovativen Typs der Choralvariation, seine Streicherkompositionen sind ungewöhnlich modern und verlassen sich bereits auf einen "Basso continuo". Andererseits atmet seine Musik die Strenge der mitteldeutschen Organistentradition; zu den Tänzen aus jenem Zyklus "Ludi musici" kann man ja eben nicht tanzen. In Scheidts originellsten Momenten begegnen die beiden widerstreitenden Tendenzen einander, dann wird das Gewebe leicht und durchlässig, wie in der Choralvariation für Orgel "Christe, qui lux es et dies", gespielt von Harald Vogel. In der Oberstimme hört man vernehmlich die Choralmelodie, die Unterstimmen umranken sie in luftiger Bewegung.

    Nimmt man Samuel Scheidts Schaffen gleichsam aus der Vogelperspektive zur Kenntnis, so bemerkt man bei ihm schon in jungen Jahren einen auffälligen Zug zum Zyklischen, zur großen Einheit. Es gibt die "Cantiones sacrae", die "Tabulatura nova", eine mehrbändige Sammlung geistlicher Konzerte, die 70 Symphonien oder, als letztes Druckwerk Scheidts, das Görlitzer Tabulaturbuch mit hundert vierstimmigen Orgelchorälen. Auf dieses Kompendium ist Scheidt so stolz, dass er in der Widmung schreibt, diese Sätze seien "mit solchen Bässen und Mittelparteyen dergestalt componiret, als weder von anderen, deren Arbeit ich zur Hand gehabt, noch von mir selbsten vorher geschehen". Scheidts Musik spielte man, wo immer es ging - auch dies war für ihn ein Grund, seine Werke in Sammlungen zu bündeln, denn sie seien, wie er selbst einmal schrieb, oft "wider meinen Willen heimlich unter die Leute gebracht worden".


    Musikbeispiele

  • Scheidt, "Ludi musici", Intrada; Hespèrion XX, Jordi Savall; EMI CD 7 63067 2 (LC 0110)
  • Scheidt, Choralvariationen "Christe, qui lux es et dies"; Harald Vogel (Orgel); Organeum CD 19601 (LC 4009)