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24-Stunden-Happening in Wuppertal
Die letzte Sternstunde der Fluxusidee

Vor 50 Jahren, am 5. Juni 1965, fand in Wuppertal das "24-Stunden-Happening" statt. Es gilt heute als Höhe- und zugleich Wendepunkt der Fluxus-Bewegung in Deutschland, zu der Künstler wie Wolf Vostell, Nam June Paik, Dieter Roth, Emmett Williams oder auch Joseph Beuys gehörten.

Von Carsten Probst |
    Die Werke der Fluxus-Bewegung der 60er-Jahre finden sich inzwischen in vielen Museen weltweit, hier in Moskau 2010.
    Die Werke der Fluxus-Bewegung der 60er-Jahre finden sich inzwischen in vielen Museen weltweit. (Imago / Itar-Tass)
    "Wuppertal, Galerie Parnass. Zu einem 24 Stunden dauernden Happening in allen Räumen seines Hauses hat der Galeriebesitzer Rolf Jährling die Prominenz der in Deutschland erreichbaren Pop-Künstler eingeladen. Die Vorstellung begann um Mitternacht. (...) Für zehn Mark erstanden die Besucher die Erlaubnis, einer Supershow mit Gauklern, Geißlern und Asketen beizuwohnen. Freilich, die 24-Stunden-Übung in zeitgemäßer Kunstbetrachtung war nicht für jeden von Erfolg gekrönt."
    Am 5. Juni 1965, kurz nach Mitternacht, verteilen sich Joseph Beuys, Nam June Paik, Wolf Vostell, die Cellistin Charlotte Moorman, der Schriftsteller Bazon Brock sowie die Aktionskünstler Eckart Rahn und Tomas Schmit über die verschiedenen Räume der großen Gründerzeitvilla im Wuppertaler Stadtteil Elberfeld, die seit Anfang der sechziger Jahre Sitz der Galerie Parnass ist. Dass das ARD-Fernsehen dabei ist und anschließend eine gut zehnminütige Reportage des Happenings ausstrahlt, das ist zwar ein Stück bundesrepublikanischer Fernsehgeschichte, aber wiederum keineswegs ungewöhnlich. Die Fluxuskünstler unterhalten beste Beziehungen zu den Medien, auch bei früheren Happenings waren Radio und TV dabei.
    Wolf Vostells Aktion trägt den Titel "Die Folgen der Notstandsgesetze". Er verteilt rohe Fleischstücke, in die er Stecknadeln sticht. Später setzt er sich mit einer Gasmaske in einen Glaskasten mit zerstäubtem Mehl und einem Staubsauger, während Studenten der Werkkunstschule Wuppertal in einer Art Holzkäfig an herunterhängenden Fleischfetzen nagen.
    Nam June Paik spielt mit seinen flach auf die Klaviertasten gelegten Unterarmen ein Stück des Cage-Schülers La Monte Young. Später scheint er - wie auch Charlotte Moorman zeitweilig auf seinem Instrument eingeschlafen zu sein. Eckhart Rahn macht nebenan Geräuschmusik mit Blockflöte und Lautsprecher und liest dabei den Kinsey-Report. Bazon Brock übt Kopfstand, verbringt jedoch die meiste Zeit liegend auf einem Tisch: "Nach 20-stündiger Verrichtung zieht er Bilanz: 'Uns war das Thema gestellt, einen Zeitabschnitt von 24 Stunden durch Geschehnisse zu gestalten. Im Gegensatz zu den anderen Künstlern des Tages war ich bemüht, durch ein Minimum an Bewegung ein Maximum an Ausdrücklichkeit zu erreichen.'"
    Die Zusammenkunft in Wuppertal ist nicht die erste große Fluxus-Veranstaltung in Deutschland. Für manche Kunsthistoriker hatte die Bewegung schon 1964, nach den großen Fluxus-Festen in Wiesbaden 1962 und darauf an zahlreichen weiteren europäischen Orten ihr Ende erreicht. Manchen erschien die Wuppertaler Mammutveranstaltung nur noch als Selbstzitat, als reine Show. Andere wiederum sahen sie als die letzte große Sternstunde der Happening- und Fluxusidee - vor allem wegen Joseph Beuys und seiner Aktion "und in uns ... unter uns ... landunter", durch die er das Happening in eine Art ritualhaftes Schauspiel verwandelte und sich von den dadaistischen Zertrümmerungsaktionen vieler Fluxuskünstler abgrenzte.
    "Fünf Uhr morgens. Professor Beuys hockt immer noch auf einer Kiste. Zwischen Fuß- und Kopfkissen aus Margarine betreibt er künstlerisches Yoga. Eine Art vergeistigtes Bauchmuskeltraining. "
    Fast über die gesamten 24 Stunden kauert Beuys auf einer Apfelsinenkiste, die mit einem weißen Wachstuch überzogen ist, wie ein Schiffbrüchiger auf einer winzigen Insel. Mal streckt er sich nach verschiedenen Objekten in der Nähe aus, einem Plattenspieler etwa, einem Mikrofon oder nach den kleinen Boxhandschuhen seines Sohnes Wenzel, der zeitweilig die Aktion begleitet.
    Zu den Höhepunkten des Happenings gehört aber zweifellos das Konzert von Charlotte Moorman und Nam June Paik, die Stücke unter anderem von John Cage und Ludwig van Beethoven spielen.
    Hin und wieder steigt Moorman in ihrem Cellophankleid in eine Wassertonne, spielt danach weiter oder reitet auf Nam June Paiks Rücken. Um 24-Uhr endet das längste Fluxus-Happening der Geschichte. Und zugleich ist es die letzte Veranstaltung, eine Art rauschendes Abschiedsfest der Galerie Parnass. Rolf Jährling nämlich beendet mit diesem Ereignis seine Galeristenlaufbahn und siedelt für die folgenden Jahre über nach Afrika.