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25. EDV-Gerichtstag
"Juristen und Informatiker bewegen sich mit großen Schritten aufeinander zu"

Der 25. EDV-Gerichtstag in Saarbrücken biete Informatikern und Juristen eine gute Kommunikationsplattform, sagte der Wissenschaftsjournalist Peter Welchering im DLF. Dabei gehe es um den gemeinsamen Kampf gegen die steigende Cyberkriminalität, aber auch um die Digitalisierung der Justiz, wie bei der elektronischen Gerichtsakte oder dem digitalen Anwaltspostfach.

Von Peter Welchering |
    Eine Statue der Justitia
    Beim Deutschen EDV-Gerichtstag treffen sich seit 1992 jedes Jahr Juristen und Informatiker, um über Einsatzmöglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung in der Rechtspflege und juristische Herausforderungen im digitalen Zeitalter zu diskutieren (dpa / picture alliance / David Ebener)
    Wissenschaftsjournalist Peter Welchering im Gespräch mit Manfred Kloiber
    Manfred Kloiber: Und nicht nur bei der Diskussion um das digitale Anwaltspostfach, die elektronische Gerichtsakte oder über Cyberkriminalität zeigte sich, dass die gesamte Rechtspflege hierzulande noch großen Nachholbedarf beim informationstechnischen Wissen hat. Peter, inwieweit kann so ein EDV-Gerichtstag dazu beitragen, die großen Gräben zwischen Informatik und Juristerei zu schließen?
    Peter Welchering: Der EDV-Gerichtstag bietet eine Plattform, auf der Informatiker und Juristen mal ausprobieren können, wie es ist, wenn man miteinander spricht. Das ist aus mehreren Gründen sehr schwierig.
    Computerwissenschaftler meinen ja oft, dass sie alle Probleme der Welt mit einem Algorithmus lösen können. Und Juristen fühlen sich da angegriffen, denn Probleme lösen, entscheiden, was gut und richtig oder falsch ist, das machen Juristen seit mehr als 500 Jahren. Da wollen sie sich eigentlich von den Informatikern nicht reinreden lassen.
    Aber die Juristen merken eben auch, dass sie sich der Digitalisierung einfach nicht entziehen können. Und die Informatiker merken, dass viele Probleme nicht mit einem Algorithmus gelöst werden können, sondern eine rechtspolitische Lösung brauchen. Und da kommen die beiden dann aufeinander zu.
    Fehlt noch der Dritte im Bunde: die Politik. Die sollte nämlich auf die Expertise von Informatikern wie Juristen zugreifen. Aber diese Ausgewogenheit haben wir in der Politik noch längst nicht.
    Kloiber: Dabei stehen ja viele politische Entscheidungen in diesem Bereich gerade an. Die Fallzahlen bei der Cyberkriminalität wachsen rasant. Und auch die Justizverwaltungen müssen digitalisiert werden. Das wurde natürlich auf dem 25. Deutsche Gerichtstag in Saarbrücken in dieser Woche intensiv diskutiert. Wichtige Punkte aus den dreitägigen Fachdiskussionen haben wir zusammengefasst:

    Anwälte streuben sich gegen digitales Postfach
    Der Briefkasten des Verfassungsgerichtshofs für NRW
    Der juristische Schriftverkehr läuft immer noch weitgehend analog ab - oder aber ohne angemessene Verschlüsselung. (dpa picture alliance/Bernd Thissen)
    Juristen, das sei die Berufsgruppe, die mit dem Rücken zur IT-Zukunft stehe - diese sarkastische Redewendung war so eine Art "Running Gag" auf dem 25. EDV-Gerichtstag. Juristen arbeiteten zwar tatsächlich schon mit PC und Laptop und besäßen sogar ein Smartphone. Aber wenn ihr gutes altes aus Holz gezimmertes Anwaltspostfach bei Gericht durch ein digitales Postfach ergänzt werden solle, - wenn über dieses digitale Anwaltspostfach auch noch elektronische Gerichtsakten zugestellt würden, dann baue sich in der deutschen Anwaltschaft, bei den Richtern und den Staatsanwälten doch erheblicher Widerstand auf.
    Bundesjustizminister Heiko Maas meint, dass man hier einfach für mehr Akzeptanz für die Informationstechnik werben müsse. Doch das allein reicht Professor Stephan Ory, dem Präsidenten des Deutschen EDV-Gerichtstages, nicht aus:
    "Die Anwälte haben gegen dieses besondere elektronische Anwaltsfach noch - sagen wir mal - eine gewisse innere Distanz. Dieselben Anwälte schicken aber gnadenlos Mandatsgeheimnisse übers offene Internet, auf GMX-Accounts, völlig ohne Unrechtsbewusstsein, und wenn man mit denen mal über Ende-Zu-Ende-Verschlüsselung diskutiert und sagt, hallo, ihr habt da Geschäftsgeheimnisse eurer Mandanten im Schriftsatz, wirklich harte Zahlen, und das geht übers offene Internet.
    Über die Angriffe auf Parteien und den Bundestag, darüber hören wir, aber wir schicken weiter E-Mails mit Mandatsgeheimnissen übers offene Internet, also, das ist so ein Spagat, wo man mal wirklich drüber nachdenken muss, wie geht man damit um."
    Der wachsenden Cyberkriminalität Herr werden
    Und das ist nicht der einzige Spagat. Um der wachsenden Cyberkriminalität Herr zu werden, müssen neue Kooperationsformen von Informatikern und Juristen etabliert werden, ohne dass die alten Methoden der Beweiserhebung einfach über den Haufen geworfen werden. Die Juristin Stephanie Vogelgesang von der Stiftungsprofessur für Rechtsinformatik an der Universität des Saarlandes sieht das so:
    "Das leichte Problem könnte die fehlende Kenntnis sein. Weil im Jura-Studium wird nicht ein volles Informatik-Studium drin sein. Das geht einfach nicht. Es werden Informatiker dazugeholt, die Gutachten schreiben, die die Techniken genau beschreiben und die den Juristen helfen. Weil ohne das geht es heutzutage nicht mehr.
    Die Techniken sind jetzt schon so kompliziert, und es kommen ständig neue Techniken dazu. Da braucht man einfach Informatiker, die sich in genau dem Bereich weiterbilden, auch ein bisschen Gespür für Juristerei haben, und wenn die zusammenarbeiten, kann man diese Sachen auch einfangen und verfolgen."
    Und das ist nicht der einzige Spagat. Um der wachsenden Cyberkriminalität Herr zu werden, müssen neue Kooperationsformen von Informatikern und Juristen etabliert werden, ohne dass die alten Methoden der Beweiserhebung einfach über den Haufen geworfen werden. Die Juristin Stephanie Vogelgesang von der Stiftungsprofessur für Rechtsinformatik an der Universität des Saarlandes sieht das so:
    "Das leichte Problem könnte die fehlende Kenntnis sein. Weil im Jura-Studium wird nicht ein volles Informatik-Studium drin sein. Das geht einfach nicht. Es werden Informatiker dazugeholt, die Gutachten schreiben, die die Techniken genau beschreiben und die den Juristen helfen. Weil ohne das geht es heutzutage nicht mehr.
    Die Techniken sind jetzt schon so kompliziert, und es kommen ständig neue Techniken dazu. Da braucht man einfach Informatiker, die sich in genau dem Bereich weiterbilden, auch ein bisschen Gespür für Juristerei haben, und wenn die zusammenarbeiten, kann man diese Sachen auch einfangen und verfolgen."
    Neue drakonische Strafgesetze zur Cyberkriminalität werden formuliert
    In der Politik dagegen wird immer lauter nach neuen und schärferen Gesetzen gerufen. So wurde etwa auch der vom Land Hessen in den Bundesrat eingebrachte Gesetzesentwurf zum digitalen Hausfriedensbruch auf dem EDV-Gerichtstag sehr kontrovers diskutiert, um jedes Eindringen in ein Computersystem bestrafen zu können. Stephanie Vogelgesang rät zu einer differenzierten Betrachtungsweise:
    "Es gibt den normalen Hausfriedensbruch im StGB 123. Das stimmt, der greift nicht, weil der ein widerrechtliches Eindringen voraussetzt, also ein körperliches Eindringen in die Privatsphäre, in einen Raum.
    Wenn man zum Beispiel mit modernen Techniken von draußen Gespräche abhört oder ein Hausautomationssystem fernsteuert, ist das genauso eine Verletzung der Privatsphäre wie ein Eindringen in einen Raum. Und das fällt nicht unter 123. Deshalb muss man in diesem Bereich schon digital aufrüsten."
    Doch um einen Hackingangriff auf das smarte Heim strafrechtlich verfolgen zu können, ist die hessische Gesetzesinitiative nicht zwingend notwendig. Computersabotage und Datenausspähung sind im Strafgesetzbuch bereits geregelt.
    Rigo Wenning, der als Rechtsanwalt unter anderem das World-Wide-Web-Konsortium vertritt, sieht hier einen verhängnisvollen Trend in der Rechtspolitik. Neue drakonische Strafgesetze zur Cyberkriminalität werden formuliert, um nicht nur den Bürgern neu entstandenen Ängste zu nehmen, sondern auch den Strafverfolgern:
    "Es geht vor allen Dingen darum, dass durch die materielle Verschärfung des Strafrechtes erreicht werden soll, dass mehr Straftaten in die Schwere hineinfallen, die dann eine strafprozessuale Ermittlung nach 100a oder anderen Paragrafen der StPO erreichen sollen. Und ich habe halt kritisiert, dass die materielle Verschärfung des Strafrechts aus der Notlage der Strafverfolger heraus eigentlich falsch ist, sondern man sollte über das richtige Problem der strafprozessualen Behinderung reden und diese Diskussion offen und transparent führen."

    BKA-Präsident fordert Hintertür in Verschlüsselungssoftware
    Wissenschaftsjournalist Peter Welchering im Gespräch mit Manfred Kloiber
    Der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger Münch
    BKA-Chef Münch möchte weitere Möglichkeiten schaffen, Verschlüsselungssysteme durch Ermittlungsbehörden auszuhebeln. Das stößt selbst bei Staatsanwaltschaften nicht nur auf Beifall (picture alliance/dpa/Klaus-Dietmar Gabbert)
    Kloiber: Dabei geht es nicht nur um neue Strafandrohungen, sondern auch um neue digitale Ermittlungsinstrumente, um die gerade in der Politik gestritten wird. Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes, forderte ja kurz vor dem EDV-Gerichtstag noch einmal eine Hintertür in Verschlüsselungssoftware für die Ermittlungsbehörden. Wie ist das denn auf dem EDV-Gerichtstag diskutiert worden, Peter Welchering?
    Welchering: Auch sehr kontrovers. Aus Hessen, aus einigen rheinland-pfälzischen Staatsanwaltschaften gab es Unterstützung für diese Forderung. Markus Hartmann von der Staatsanwaltschaft Köln etwa meinte, eine solche Hintertür brächte in ermittlungstaktischer Hinsicht wenig. Er will Online-Ermittlungsbefugnisse mit strenger richterlicher Prüfung und fühlt sich da vom Gesetzgeber etwas im Stich gelassen.
    Dr. Dominik Brodowski, der Preisträger des Dieter-Meurer-Förderpreises Rechtsinformatik in diesem Jahr, der forderte vom Gesetzgeber mehr Normenklarheit. Und das war ein deutlicher Trend, eine deutliche Forderung an die Politik: Hört auf mit eurer Symbolpolitik, bei der einzelne Innenpolitiker den starken Mann spielen. Macht endlich handwerklich saubere Gesetze, die der technischen Realität gerecht werden.
    "Nicht wenige Politiker scheuen die Auseinandersetzung mit Informatikern"
    Kloiber: Das BKA-Gesetz muss nachgebessert werden. Bei der Vorratsdatenspeicherung haben die Verfassungsrichter schon vor vier Jahren dem Gesetzgeber unsaubere Arbeit ins Stammbuch geschrieben. Wie kann diese missliche Situation künftig behoben werden?
    Welchering: Indem die Informatiker und Computerwissenschaftler nicht mehr nur Handlanger sind, sondern in der politischen Diskussion um solche Rechtsnormen zu gleichberechtigten Partnern werden. Das aber hat sich bei den Juristen noch längst nicht durchgesetzt. Auch wenn diese Forderung auf einem EDV-Gerichtstag natürlich großen Anklang findet. Und nicht wenige Politiker scheuen die Auseinandersetzung mit den Informatikern, weil ihnen das alles zu kompliziert ist.
    "Da ist die Wissenschaft mit ihrem EDV-Gerichtstag in einem Elfenbeinturm"
    Kloiber: Läuft es dann auf die Forderung an die Computerwissenschaftler hinaus, weniger komplexe Systeme zu bauen?
    Welchering: Das wird kaum funktionieren. Deshalb läuft es eher auf die Forderung hinaus, eignet euch endlich die groben informationstechnischen Zusammenhänge an, damit ihr die Details, die die Informatiker bereitwillig in die Diskussion einbringen, auch rechtspolitisch einordnen könnt.
    Aber an dieser Forderung sieht man auch ganz klar: Da ist die Wissenschaft mit ihrem EDV-Gerichtstag in einem Elfenbeinturm. Und sie wird in der Politik nicht gehört. Immerhin, dass sich Juristen und Informatiker mit großen Schritten aufeinander zu bewegen, das ist ein Fortschritt. Aber die rechtspolitische Diskussion leidet noch immer darunter, dass ihre technische Grundlage nicht ernst genug genommen wird oder aber einfach ausgeblendet wird.
    Kloiber: Peter Welchering berichtete vom 25. EDV-Gerichtstag in dieser Woche in Saarbrücken - vielen Dank.